Somms Memo

Russland und China. Der Bär wärmt sich am Feuer des Drachens. Neuestes aus Moskau.

image 22. März 2023 um 11:01
Xi Jinping zu Besuch bei Wladimir Putin in Moskau.
Xi Jinping zu Besuch bei Wladimir Putin in Moskau.
Bern einfach feiert 500. Sendung:
Profitieren Sie von einem Sonderrabatt aufs Jahresabo.
Jetzt abonnieren


Die Fakten: Xi Jinping besucht drei Tage lang Wladimir Putin. Waffen hat er ihm nicht versprochen, aber beste Beziehungen.
Warum das wichtig ist: Es ist der Beginn einer grossen Freundschaft. Stets meinten die Zaren, dann Stalin das Reich der Mitte bald zu beherrschen. Nun ist es umgekehrt.



Noch glaubt Putin wohl, der Krieg gegen die Ukraine komme für ihn gut:
  • Tatsächlich wankt die Ukraine, und sollten die Russen gewinnen, sie sind wieder eine Grossmacht, wenn auch eine geschrumpfte – nach wie vor
  • Dem Westen gelingt es nicht, die Welt gegen Putin aufzubringen, die Sanktionen gehen ins Leere, viele Länder in Afrika und Asien unterstützen insgeheim ihn, den Champion aller, die den Westen noch nie gemocht haben

Der Preis dafür ist allerdings gross. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dann erhielt man ihn beim Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Moskau, der heute Mittwoch zu Ende ging.
  • Wer hier der Chef war, den man mit Bücklingen zu verehren hatte, wie einst die russischen Leibeigenen ihren adligen Herren, stand ausser Frage: Es war der Chinese
  • Neben dem bulligen Xi wirkte der viel schmächtigere Putin ein wenig wie der russische Buchhalter eines chinesischen Grossgrundbesitzers: «Wollen Sie diese Bauern da wirklich verkaufen

image
Der Bär traf den Drachen. Dabei fletschte er zwar freundlich die Zähne, aber es war der Drachen, der festlegte, wann Feuer gespien wird – wenn überhaupt. Seit Jahrhunderten steht der Bär für Russland, während der Drachen das chinesische Reich seit fast zweitausend Jahren verkörpert.
In der Substanz gewann Putin natürlich viel:
  • China will die wirtschaftlichen Beziehungen vertiefen, die in den vergangenen Jahren bereits sehr eng geworden sind. 2022 erreichte der bilaterale Handel mit einem Volumen von 190 Milliarden Dollar einen Rekord (gemäss russischen Angaben)
  • es verspricht Know-how und neue Technologien; chinesische Firmen ersetzen westliche, die aufgrund der Sanktionen ausgezogen sind. 11 von 14 Autofirmen, die in Russland vertreten sind, stammen inzwischen aus China
  • und es nimmt den Russen noch mehr Öl und Gas ab, das nicht mehr in den Westen geliefert werden kann. Zu diesem Zweck sollen weitere Pipelines von Sibirien nach China gebaut werden

Von Waffen und Munition war zwar nicht die Rede, und dennoch glaubt man zu wissen, dass Putin auf Xi Jinping zählen kann, sollte sich das Kriegsglück je gegen ihn wenden.
image
Vor allen Dingen aber gewährt China Russland politische und symbolische Hilfe – einem Land im Krieg, das vom Westen zur Hölle erklärt worden ist, die man besser meiden soll.
Xi betrat die Hölle gerne – und lud Putin sogar zu einem Gegenbesuch ins kommunistisch-kapitalistische Paradies von China ein.
Wenn Xi den amerikanischen Präsidenten Joe Biden als alternden Adler darstellen wollte, dessen Flugkünste eher an jene eines Papageis erinnern, dann brachte er das jedenfalls fertig:
  • Putin gilt eigentlich als mutmasslicher Kriegsverbrecher
  • der Internationale Strafgerichtshof im Haag sucht ihn per Haftbefehl – was Biden seinerzeit ausdrücklich begrüsste
  • Sollte Putin in Amerika einreisen wollen, würde er verhaftet. Stattdessen fliegt er nach China zum Staatsbesuch. Mit einer Verhaftung ist nicht zu rechnen

Amerika, die letzte Supermacht der Welt? Der amerikanische Adler trudelt.
Was den Krieg in der Ukraine betrifft, hat China neuerdings einen unbrauchbaren Friedensplan vorgelegt, der in Washington, Berlin, Paris und London wohl kaum gelesen worden ist, – umso sorgfältiger beugte man sich in Moskau darüber. Man las ihn wie einen Krimi:
  • Putin lobte die chinesische Initiative – etwas beflissen, keine Frage. Wer hatte vom russischen Buchhalter auch etwas anderes erwartet?
  • Dabei lächelte Xi undurchsichtig und sagte: «Wir stehen immer für Frieden und Dialog. Wir wollen immer auf der richtigen Seite der Geschichte stehen».

Ein grosses Wort, ein marxistisches Wort. Karl Marx und seine Millionen von Anhängern in aller Welt waren zutiefst davon überzeugt, auf der «richtigen Seite» der Geschichte zu stehen. War die Revolution nicht unumgänglich – da wissenschaftlich bewiesen?
Wenn viele im Westen sich wundern, wie empathisch der Chinese Xi den Russen Putin behandelt, dann unterschätzen sie wohl eine Verbundenheit, wie es sie nur unter alten Kommunisten gibt – ehemaligen oder geläuterten:
  • Aufgewachsen in der Sowjetunion, die er offensichtlich liebte – deren Zusammenbruch hatte er als «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts» bedauert – war Putin sein Leben lang ein glühender Kommunist; bevor er den linken Glauben vordergründig verlor und Jesus in seiner russisch-orthodoxen Version entdeckte
  • Nicht anders Xi, der 1953 in Maos China geboren worden war. 2012 stieg er zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas auf – was er seither geblieben ist

Die beiden können sich also über den marxistisch-leninistischen Kanon bestens unterhalten, Zitate abfragen oder über die neuesten Marx-Engels-Witze lachen, sofern vorhanden, zumal laut Zeitgenossen niemand humorloser war als Marx und Engels.
Übrigens bestand die gleiche Vertrautheit zwischen Putin und Angela Merkel, der deutschen Bundeskanzlerin, die in der DDR gross geworden war. Wer Merkel gut kennt, erzählt davon, wie sie Putin oft Bier aus Dresden zustellen liess (wo Putin als KGB-Agent gelebt hatte), ebenso tauschten sich die beiden sehr regelmässig am Telefon aus, manchmal jede Woche. Ob sie dabei deutsch oder russisch sprachen (beide beherrschen beide Sprachen), weiss ich nicht. Vielleicht kicherten sie ja auch über Marx-Engels-Witze.
image
Jedenfalls steht fest:
Ohne Sowjetunion – das fördert die Intimität genauso – wäre Rot-China auch gar nicht erst entstanden. Stalin war nach dem Zweiten Weltkrieg das Kunststück gelungen, Mao an die Macht zu bringen, obwohl Stalin vorher den Chinesen nie beigesprungen war bei ihrem Verzweiflungskampf gegen die japanischen Besatzer.
  • Stattdessen hatte Stalin stets darauf geachtet, Japan ja nicht den Krieg zu erklären. Er wollte keine Front im Osten, der Krieg gegen die Deutschen reichte ihm
  • Erst zwei Wochen vor Kriegsende zog er auch noch gegen Japan in den Kampf, um auch hier bei den Siegern dabei zu sein

Und wer besiegte die Japaner, die in China zahllose Massaker angerichtet, die gewütet hatten wie die Nazis in Europa?
Wer befreite die Chinesen?


Die Amerikaner. Zum Dank wurden die Chinesen Kommunisten.
Oder anders gesagt, wie es der amerikanische Schriftsteller Elbert Hubbard einmal ausgedrückt hat:
«Der Undankbare ist ein Mensch, der etwas für nichts bekommen hat, und der zu denselben Bedingungen mehr haben will.»


Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Mittwoch
Markus Somm

#WEITERE THEMEN

image
Abstimmung

Klimaschutzgesetz: Will Balthasar Glättli eine Klimasteuer?

25.5.2023
image
Sponsored Content

«Silber ist das wichtigste Geldmetall der Geschichte»

21.5.2023

#MEHR VON DIESEM AUTOR