Presseschau zum «Fall Walder» nach Nebelspalter-Recherche: Attackierte «Bild» reagiert, «Blick»-Journalisten wütend
Der «Blick» ist wegen Aussagen seines CEO in aller Munde. Illustration: Gino
Die Recherche des «Nebelspalters» zu den Aussagen von Ringier-Chef Marc Walder sorgt schweizweit (und auch in Deutschland) für Schlagzeilen.* Die Kritik an Walder und seiner Haltung ist gross. Der Ringier-Mitbesitzer hatte in einer Gesprächsreihe im Februar letzten Jahres gesagt: «Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: ‹Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.›» (Lesen Sie hier die ganze Recherche)
Dass der Fall an Ringier nicht spurlos vorbeigeht, zeigt die Reaktion des Unternehmens: Nicht nur gab es eine öffentliche Stellungnahme, in der versucht wird, den Sachverhalt kleinzureden, auch Walder selbst relativiert das Gesagte nun in Interviews. In der NZZ sagt er: «Der Ausschnitt aus dem Video, das seit einigen Tagen zirkuliert, hat zu Missinterpretationen geführt, was ich verstehen kann. Der Satz war unglücklich. Er war überflüssig.» Und er verneint, dass man der Regierung nach dem Mund rede und priorisiert Zugang zu Informationen erhalte.
Im gleichen Gespräch bittet Walder explizit auch die «Bild»-Zeitung, das zum Medienhaus Axel Springer gehört, um Entschuldigung. Axel Springer arbeitet unter anderem in Osteuropa mit dem Ringier-Konzern zusammen. Die «Bild» titelt über den «Fall Walder»: «Schwere Vorwürfe gegen Schweizer Verlags-Chef.» Die grösste Zeitung Deutschlands betont deutlich, dass Walder in der Schweiz von den meisten Medien harsch kritisiert werde.
In der Tat wird das Vorgehen Walders getadelt. Die «Neue Zürcher Zeitung» setzt Walder im oben erwähnten Interview ordentlich unter Druck. In einem Kommentar schreibt Feuilleton-Chef Benedict Neff: «Was der CEO eines der grössten Medienunternehmen der Schweiz da zum Ausdruck bringt, ist eine journalistische Bankrotterklärung. Mildernde Umstände gibt es nicht, denn Walder scheint zu wissen, was er tut. Die Bitte um Vertraulichkeit – ‹da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt› – deutet darauf hin, dass er sich durchaus bewusst ist, gerade die Werte seines eigenen Geschäfts zu verraten.»
Walder hat sich unterdessen bei der «Blick»-Redaktion (und besonders beim Politikressort) in einer Videokonferenz entschuldigt und Fragen beantwortet, berichteten die Zeitungen von CH Media. Viele seien «wütend» auf Walder. Ein Redaktor wird anonym zitiert: «So eine Äusserung darf einem erfahrenen Mann wie Walder nicht passieren, egal in welchem Kontext sie gefallen ist.»
Viele Journalisten des Boulevardblatts seien konsterniert. Ein weiterer Journalist sagt: «Er begreift nicht, dass seine demonstrativ gepflegten Freundschaften zu den Mächtigen unserer journalistischen Glaubwürdigkeit schaden.» Laut CH Media bezweifeln viele Redaktoren, dass Walder «geläutert aus der Krise» hervorgehe.
Die Recherche des «Nebelspalters» gibt seit Tagen zu reden, wie das grosse Medienecho zeigt.
Tages-Anzeiger: «Gift für die Demokratie»
Auch der «Tages-Anzeiger» – beim Corona-Dossier selber im Verdacht stehend, überaus regierungsnah zu berichten – sieht grundlegende journalistische Werte verletzt – und übertitelt seinen Kommentar scharf: «Gift für die Demokratie». Die Autorin, Michèle Binswanger, schreibt weiter: «In einer Zeit des galoppierenden Vertrauensverlusts in die freie Presse ist Walders Aussage katastrophal. Er bestätigt damit die Verschwörungstheoretiker und ‹Lügenpresse!›-Rufer, die schon immer überzeugt waren, dass die Presse gelenkt wird. Denn wenn bei Corona geklüngelt wird – warum sollte es bei anderen grossen Themen wie zum Beispiel beim Klimawandel anders sein?»
In der «Tagesschau» des Westschweizer Fernsehens (RTS) wird der Recherche von Autor Philipp Gut am Montagabend ein längerer Beitrag gewidmet. Gut, der sich auch gegen das Mediengesetz, über das am 13. Februar abgestimmt wird, engagiert, erklärt darin das aus seiner Sicht problematische Verständnis Walders. Dem stimmt der Deutschschweizer Korrespondent von RTS, Jean-Marc Heuberger, in seinem Kommentar zu – und er sagt auch, dass das für die Unterstützer des Mediengesetz ganz schlechte Nachrichten seien.
CH Media: Kritik am Autor
Die Deutschweizer Kollegen von SRF wählen in ihrer Berichterstattung den Ansatz der Expertenbefragung. Vinzenz Wyss, Medienwissenschaftler von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sagt in der Sendung «Rendez-vous»: «Unabhängig vom Kontext, in dem diese Aussage gemacht wird, ist sie hoch irritierend und eigentlich unjournalistisch. Auch in einer Krise muss Journalismus kritische Distanz bewahren, um glaubwürdig zu bleiben. Das heisst, den politischen Akteuren immer auch kritisch auf die Finger zu schauen.» Matthias Künzler, Projektleiter an der Fachhochschule Graubünden, entgegnet Wyss: «Medien sollen informieren, aber auch eine Alltagshilfe erbringen. Gerade in solchen Krisenlagen sollen sie Orientierung schaffen.»
Die Zeitungen von CH Media bringen einen Kommentar mit einem zwiespältigen Urteil. Es gibt Kritik an Walders Vorgabe: «Es ist nicht Aufgabe der Journalisten, die Beschlüsse der Landesregierung grundsätzlich gutzuheissen. Im Gegenteil sollten sie eine skeptische Grundhaltung zeigen und die Arbeit der politischen Behörden kritisch verfolgen.» Man müsse sich jedoch keine Sorge machen, dass sich die Medien vom Bund kaufen liessen. Zudem giftelt der Autor, Francesco Benini, gegen den Absender: «Den Text über Marc Walders zweifelhafte Aussagen schrieb Philipp Gut. Er arbeitet als Journalist und leitet zugleich die Kampagne gegen das Medienpaket. Das ist eine dubiose Rollenvermischung, denn ein Journalist sollte beobachten und einordnen, aber nicht selber zum Akteur werden.»
Inside Paradeplatz: «Boulevard aufgegeben»
In der «Weltwoche» betrachtet Chefredaktor Roger Köppel den Aufreger etwas anders. Köppel schreibt, dass Walder als Chef eines Medienhauses das Recht habe, seine Journalisten auf einen bestimmten Kurs zu trimmen. Es sei ja niemand gezwungen, für Ringier zu arbeiten. «Auch die Offenheit, mit der Walder die überdeutliche, unübersehbare Tatsache ausspricht, dass sein Verlag aufgrund bewusster Managemententscheide auf Regierungstreue eingeschworen ist, hat nichts Verwerfliches», betont Köppel. Aber: «Das Problem ist die Haltung, das journalistische Credo der Firma Ringier an sich, ihre zu grosse Nähe zu den Mächtigen, ihre devote Obrigkeitsfrömmigkeit, die Walder zu einem Akt staatsbürgerlicher Verantwortung schönzureden probiert.»
Und für «Inside Paradeplatz» ist klar, dass Walder den Journalismus «verrät» – und das nicht nur wegen der Regieanweisung bei Corona. Lukas Hässig schreibt: «Unter Walder hat Blick den Boulevard aufgegeben. Nur die ‹Kleinen› werden geplagt, oder jene, die nicht zu Freunden, Geldgebern und Regierenden zählen. Pierin Vincenz war als Freund tabu: Der gefallene Raiffeisen-Chef und der Ringier-Boss mochten sich, die beiden zeigten sich Seite an Seite im Scheinwerferlicht. Kurz vor Vincenz’ Verhaftung durfte der Bündner ein grosses Interview im Sonntagsblick geben – befragt von Walder himself.»
*Artikel aktualisiert