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Millionäre auf der Flucht. Die Schweiz profitiert

image 29. Juni 2022 um 10:00
Hong Kong, eine der reichsten Städte der Welt. Wie lange noch?
Hong Kong, eine der reichsten Städte der Welt. Wie lange noch?
Die Fakten: Millionäre verlassen derzeit zu Tausenden prekäre Länder wie Russland, China oder Hong Kong. Sie fliehen nach Australien, Israel oder in die Schweiz.
Warum das wichtig ist: Es gibt kaum ein härteres Zeichen für den Niedergang eines Landes als die Flucht der Millionäre.
Millionäre kommen mir vor wie der berühmte Kanarienvogel im Bergwerk.
Um stets zu wissen, ob es noch genug Sauerstoff gab, nahmen die Bergleute früher einen Kanarienvogel im Käfig mit, wenn sie sich unter Tag begaben. Vögel haben eine andere Lunge als wir. Sie vertragen nur Frischluft, so dass sie schon beim ersten Auftreten von schlechter oder gar vergifteter Luft buchstäblich von der Stange fielen – und so die Bergleute warnten, die dann fluchtartig den Stollen verliessen.
  • Die Kanarienvögel starben, damit die Menschen überlebten
So schlimm dürfte es den meisten Millionären nicht ergehen. Im Gegenteil. Vor die Wahl gestellt, ihr Vermögen in einem politisch unsicheren Land zu verlieren oder ihre Heimat aufzugeben, ziehen sie immer den Exodus vor
  • Weil sie reich sind und es bei ihnen etwas zu holen gibt, geraten sie rascher ins Visier der Autokraten
  • Sie sind auch besser im Bild, – vor allem in der Vergangenheit war das der Fall. Wenn ein Land in die Diktatur abglitt, erfuhren es die Reichen meistens als Erste – oft sogar früher als die künftigen politischen Gegner des neuen Regimes
  • Natürlich fällt es den Millionären auch leichter, eine Aufenthaltsbewilligung in einem sicheren Land oder einen neuen Pass zu erhalten. Alles hat sein Preis
Es ist kein neues Phänomen. Ich würde es als eine Art Naturgesetz bezeichnen, das mehr aussagt über den Zustand eines Landes als viele Statistiken und Berichte.
  • Als die Französische Revolution ausbrach, tauchten schon am Morgen darauf die ersten Aristokraten als Flüchtlinge in Genf auf. Wo sie ein Bankkonto besassen
  • Als es in den 1970er Jahren aussah, als würden in Italien die Kommunisten die Macht ergreifen, waren es die Reichen, die zuerst die Konsequenzen zogen. Manch ein Millionär zog in die Schweiz – und blieb, selbst nachdem klar geworden war, dass die Flucht verfrüht gewesen war. Man kann nie wissen
2022 dürften 15 000 russische Millionäre ihre Heimat verlassen, wie dem neuesten Henley Global Citizens Report zu entnehmen ist, den Henley & Partners regelmässig publiziert. Die Firma sitzt in London und berät weltweit Millionäre in Panik.
Dass so viele reiche Russen das Weite suchen, liegt natürlich an den Sanktionen des Westens gegen Putin, den Kriegsherren, – aber es zeigt auch, wie gerade Russen, denen es unter Putin offensichtlich gut gegangen ist, das Vertrauen in ihn verloren haben.
15 000 russische Millionäre. Es ist ein Rekord – wie er das letzte Mal wohl 1917 erreicht worden war, als die Oktoberrevolution Russland schon einmal in den politischen Abgrund gerissen hatte. Wovon sich das Land bis heute nicht erholt hat.
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Wenn es den Russen in erster Linie darum geht, den Folgen des Krieges zu entkommen, was schlimm genug ist, dann stellt sich die Lage für die chinesischen Millionäre vielleicht als noch verzweifelter dar.
  • Hier herrscht kein Krieg, aber Xi Jinping
  • China hat sich unter Führung von Xi, dem Staatschef, zurückentwickelt – vom kommunistischen Mittelalter in die kommunistische Steinzeit
Besonders gelitten hat Hong Kong, die einstige, blühende Kolonie der Briten, wo faktisch nun die Kommunisten aus Peking regieren. Wer kann, bringt sich in Sicherheit.
Henley & Partners rechnen mit 3000 Millionären, die Hong Kong im Jahr 2022 verlassen, und mit gar 10 000, die das übrige China aufgeben werden. Sie wenden sich nach Singapur oder nach Australien und Grossbritannien, das ein spezielles Aufnahmeprogramm für seine ehemaligen Untertanen aufgelegt hat.
Hoffentlich finden einige Chinesen aus Hong Kong auch den Weg in die Schweiz.
Ich habe vor kurzem ein Buch über den wirtschaftlichen Aufstieg der Schweiz geschrieben. Wenn es eine Konstante in unserer Geschichte gibt, dann die Tatsache, dass wir seit Jahrhunderten – ja, seit Jahrhunderten – aus der Einwanderung von tüchtigen, ehrgeizigen Flüchtlingen Nutzen gezogen haben
  • Im Jahr 1555 nahm Zürich so gut wie alle Protestanten von Locarno auf. Sie waren von den Katholiken vertrieben worden. Ihre Integration in Zürich erwies sich als hart. Ohne Arbeitsbewilligung in ihrem Handwerk (die Zünfte unterbanden das), sahen sich die Locarner gezwungen, ein anderes Auskommen zu finden. Also begründeten sie die zürcherische Textilindustrie und machten Zürich zu einer der reichsten Städte von Europa
  • Immer wieder nahmen Genf, St. Gallen oder Basel Hugenotten auf, Protestanten aus Frankreich, die man dort ebenso verfolgte. Vom Zuzug der Franzosen profitierte die Schweiz, während Frankreich diesen Verlust nie mehr überwunden hat
Viele dieser Glaubensflüchtlinge waren Reiche – zumal die Schweiz damals sehr wählerisch war. Millionäre.
Es ist eine Einsicht, die alten Klassenkämpfern schwerfallen mag, und doch trifft sie zu: Wer es gut haben will, muss dafür sorgen, dass es auch den Millionären gut geht.
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Dagobert Duck in seinem Element.
Gewiss, wenn Sie Donald Duck fragen, hat das Dagobert Duck, der reiche Onkel und Misanthrop, nicht verdient.

Ich wünsche Ihnen einen prächtigen Tag Markus Somm

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