Eine der Öffentlichkeit nahezu unbekannte britische Organisation rettet die Welt. Selbstlos und rein beratend. «Inclusive Minds» heisst sie, und Buchverlage können sich an sie wenden, wenn sie Angst davor haben, dass die von ihnen verlegten Werke das Böse enthalten könnten.
Sobald «Inclusive Minds» einen Auftrag erhält, gehen die inklusiven Geister auf Spurensuche, ackern sich durch die Wälzer und sagen danach, was alles abgeändert werden muss, damit man das Ergebnis einer Leserschaft zumuten darf. Das betrifft vor allem Bücher für zarte Kinderseelen.
Meist geht es um Offensichtliches: die richtige Bezeichnung für bestimmte Hautfarben, der korrekte Begriff für die Ureinwohner Nordamerikas und so weiter. Aber «Inclusive Minds» ist noch viel kreativer. Es kegelt ganze Hauptfiguren aus Werken der Weltliteratur, verändert Schauplätze und wirft massenweise Frauen in die Handlung. So wird aus einem üblen Machwerk, das zuvor vollgestopft mit Rassismus, Diskriminierung und Patriarchalismus war, endlich ein Buch, das den Leser zu einem besseren Menschen macht.
Eine Frauendomäne
Der Autor Roald Dahl ist 1990 gestorben und kriegt es deshalb nicht mehr mit, wie sein legendäres Buch «Matilda» soeben fit getrimmt wurde fürs 21. Jahrhundert. Er entschied sich beispielsweise einst, darin ein Kind «enormously fat» (enorm fett) zu nennen, nun ist es nur noch «enormous». Väter und Mütter gibt es nicht mehr, nur noch «parents», also Eltern. Das Wort «female» (weiblich) wurde gestrichen mit der Begründung, dass nicht jede Frau weiblich sein müsse. Und dass bei einem überraschenden Ereignis die Frauen im Raum kreischen und die Männer weiss im Gesicht werden, geht natürlich gar nicht – nun kreischen einfach alle Anwesenden. Selbst wenn, ganz offen, in der Realität das Kreischen in hohen Tönen durchaus eher eine Frauendomäne ist.
Kalifornien statt Indien
Aber das alles reichte noch lange nicht. Das Mädchen Matilda reist im Original zusammen mit dem Schriftsteller Rudyard Kipling («Das Dschungelbuch») nach Indien. Aber Kipling gilt heute als «Kolonialist» und «Imperialist». Deshalb tritt Matilda ihren Trip nun nach der Überarbeitung zusammen mit John Steinbeck («Von Mäusen und Menschen») an, über den nichts Nachteiliges bekannt ist, und das Reiseziel heisst Kalifornien. Was mit Indien nicht stimmen soll, weiss man nicht. Und dann fährt sie noch mit Jane Austen («Stolz und Vorurteil») herum, die im Original nicht vorkommt. Weshalb? Weil es gar nicht angeht, dass in dem Buch gar keine schreibenden Frauen vorkommen, sondern nur diese Machos der Weltliteratur.
Mit anderen Worten: Das Ergebnis hat mit dem Buch «Matilda» von Roald Dahl nicht mehr viel zu tun. «Inclusive Minds» hätte sich vermutlich viel Arbeit gespart, wenn sie das Ding einfach gleich komplett neu geschrieben oder verbrannt hätten.
Wenn neu, dann richtig
Hier kostenlos mein Vorschlag. Wie wäre es, wenn Matilda von zwei Müttern (die nicht zwingend weiblich sind) aufgezogen wird, mit Hillary Clinton nach Schweden fährt, dort Greta Thunberg trifft und sich von dieser inspiriert nach der Rückreise auf der Golden Gate Bridge in San Francisco festklebt? Dort wird sie vom Truck eines Trump-Anhängers überrollt, überlebt wundersam, um danach einen Friseursalon zu eröffnen. Spezialität: Die Entfernung von Rastazöpfen bei Weissen, die gemerkt haben, dass sie das nie hätten tun dürfen. Der Trump-Fan wird nach 20 Jahren in der Todeszelle hingerichtet, ein Buch braucht schliesslich ein Happy End.
Das wäre ein korrektes Buch. Und nicht dieser hilflose Versuch, mit ein paar Eingriffen das Werk eines Antisemiten zu verbessern. Ein solcher war Dahl bedauerlicherweise. Was uns zur Frage führt: Warum ist der Verlag überhaupt noch dazu bereit, «Matilda» zu verkaufen, wenn doch schon der Autor selbst eine Unperson ist? Könnte das damit zu tun haben, dass das Buch immer noch guten Absatz findet? Es geht doch nicht etwa um Geld, oder?