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Maillard vs. Nordmann. Der Showdown wird vertagt, bis es um die Berset-Nachfolge geht

image 27. Juni 2022 um 10:00
Roger Nordmann und Pierre-Yves Maillard. Statutenbruch zu einem höheren Zweck.
Roger Nordmann und Pierre-Yves Maillard. Statutenbruch zu einem höheren Zweck.
Die Fakten: Die SP Waadt interpretiert ihre Statuten neu: Roger Nordmann darf sich noch einmal zum Nationalrat wählen lassen. Damit Pierre-Yves Maillard Ständerat wird.

Warum das wichtig ist: Beide Sozialdemokraten sind mächtig in Bern, beide könnten Bundesrat werden. Der eine ist euroskeptisch, der andere europhil. Dem Entscheid kommt gesamtschweizerische Bedeutung zu.


«Für alle statt für wenige» lautet seit einigen Jahren der Claim der SP – eine schöne Losung, die angebliche Privilegien verdammen soll – solange es nicht um die SP geht:
  • Am Samstag entschied die SP Waadt an ihrem Parteitag in Payerne, dass sie für ihren Star Roger Nordmann (auch Fraktionschef in Bern) eine Ausnahme von der Ausnahme machen will
  • Nordmann, bereits in der vierten Amtszeit, hätte 2023 nicht mehr zu den Nationalratswahlen antreten dürfen – da in der Waadt die Statuten der SP eine Amtszeitbeschränkung vorsehen. Nach drei Legislaturen ist Schluss, es sei denn, zwei Drittel der SP-Delegierten gewähren eine Ausnahme
  • Schon für die letzten Wahlen 2019 bekam Nordmann eine solche Sondergenehmigung. Eigentlich gäbe es gemäss Statuten nur einmal eine Ausnahme.

Oder doch nicht. Weil Statuten wie Gesetze biegsam sind, sofern ein ebenso beweglicher Kopf sie auslegt, fand auch die SP einen Ausweg. Es sei nicht ganz klar, ob die Statuten wirklich nur von einer «einzigen Ausnahme» ausgingen, es könnten auch «mehrere» gemeint sein. Ja, wer kann das wissen?
Also schuf man Klarheit oder eine Lex Nordmann. Dem mächtigen Fraktionschef wurde erlaubt, was nicht jedem Genossen zugestanden worden wäre. Er darf 2023 zum fünften Mal zu den Wahlen antreten. Seit 2004, seit 18 Jahren, sitzt er im Nationalrat.
Für wenige statt für alle – oder wie die wenig demokratischen Römer es schon sagten:
«Quod licet Iovi, non licet bovi»
«Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt»
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Es bedurfte eines anderen Jupiters, damit Nordmann es in Bern weiterhin donnern und blitzen lassen kann.
Vielleicht ist dieser ohnehin der eigentliche Super-Jupiter:
Pierre-Yves Maillard, Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, ein noch hellerer Star als Nordmann, will Ständerat werden:
  • Und weil Nordmann das bis vor kurzem ebenfalls anstrebte, um die Amtszeitsbeschränkung zu umgehen, drohte die SP daran zu zerbrechen
  • Maillard oder Nordmann? Man wollte beide in Bern behalten

Also beugte sich Maillard über die biegsamen Statuten und fand überraschenderweise heraus, dass sich die Statuten auch anders lesen liessen. Kurz darauf zog Nordmann seine Ständeratskandidatur zurück. Am Ende waren alle glücklich – besser: zwei ehrgeizige Männer und ihre Fans. Wenige, nicht alle.
Zwar murrte der eine oder andere Delegierte, und insbesondere die Jungsozialisten, ebenso ambitioniert, nörgelten und täubelten, aber schliesslich stimmten mehr als zwei Drittel der Delegierten dem Deal zu.
  • Maillard, im Waadtland sehr populär, da ein ehemaliger Staatsrat, dürfte 2023 in den Ständerat einziehen
  • Nordmann, etwas weniger populär, da er eher wie Maillards begabter Assistent wirkt, bleibt bis auf weiteres im Nationalrat – sein Leben als Berufspolitiker wäre sonst allzu verfrüht zu Ende gegangen

Nun halte ich ohnehin nichts von Amtszeitbeschränkungen. Sie sind undemokratisch, da eine Partei sich anmasst, dem Wähler vorzuschreiben, wann er einen Politiker nicht mehr wählen darf.
Im Fall der SP entbehrt der Regelbruch allerdings nicht der Ironie – zumal diese Partei sonst nicht genug Regeln haben kann – solange wir Ochsen uns daran zu halten haben. Wenn es sich um Sozialdemokraten dreht, gelten offenbar höhere Regeln, die Regeln der politischen Vernunft oder besser: die Regeln der nackten Macht.
Was in der Waadt an Fantasie aufgebracht wurde, um lebendige Statuten zu toten Statuten zu machen, diesem machiavellistischen Statutenmord, kommt gesamtschweizerische Relevanz zu.
  • Maillard und Nordmann gelten als aussichtsreiche Bunderatskandidaten, sobald Alain Berset den welschen SP-Sitz in der Regierung freigibt – ein Ereignis, das wohl eher früher als später eintrifft
  • Die SP-Fraktion zieht Nordmann vor, besonders die Europhilen unter ihnen
  • Sie verzeihen Maillard nicht, dass er und seine Gewerkschaften das Rahmenabkommen in die Luft gesprengt haben
  • Maillard ist ausserdem ein Ausnahmepolitiker, der in der SP aber aus der Zeit gefallen ist: Ein Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen steht er für eine alte, solid linke Sozialdemokratie. Mehr Sozialstaat statt mehr Gendersternchen. Er ist ein Prolo-Linker im Gegensatz zu Nordmann, einem Repräsentanten der SP-Velo-Akademiker-Fraktion. Symbolisch gesprochen: Er isst Fleisch, nicht Kichererbsen
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Pablo Picasso (1881-1973) bei der Arbeit. 
Mit anderen Worten wäre Nordmann in Payerne gescheitert, hätte mit ihm auch die Mittelschichtspartei SP verloren, die dominante Strömung der Partei im Bundeshaus, die den Bundesrat gerne wieder mit einem der Ihren besetzt hätte – also mit einem so gewandten, zuverlässigen und europhilen Technokraten wie Berset oder einer ebenso zuverlässigen Hochleistungsbeamtin wie Sommaruga, die mehr an die Konsumenten als an die Arbeiter denkt.
Wenn ein Mann der SP den Schlaf raubt, dann ist es wohl weniger irgendein Bürgerlicher, sondern Maillard, der Solid-Linke, der nicht unbedingt alles, was die EU tut, für eine linke Offenbarung hält. Der versteht, wie es einfachen Leuten geht, wogegen die übrigen Sozialdemokraten aus akademischem Haus das oft nur aus der Geschichte der Arbeiterbewegung kennen.
Maillard, der ungeliebte, geliebte Superstar.
Vermutlich hätte er den Ausstich gegen Nordmann gewonnen. Er wäre also gar nicht auf die neue, kreative Interpretation der Statuten angewiesen gewesen, diese half Nordmann mehr, als er sie nötig hatte, vor allem aber half Maillard damit der eigenen Partei.
Maillard. Machiavelli: Will er je Bundesrat werden, wird sich die Partei an seine Hilfsbereitschaft erinnern – oder an sein Talent, die Regeln im richtigen Moment zu brechen.
Oder wie es Pablo Picasso, der grosse spanische Maler, einmal ausgedrückt hat:
«Lerne die Regeln wie ein professioneller Fachmann, damit Du sie wie ein Künstler brechen kannst.»

Ich wünsche Ihnen einen schönen Wochenbeginn Markus Somm

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