Somms Memo

Letzte Wahlen von den Nationalratswahlen: Hebt die SVP für immer ab? Warnungen vor dem Nirwana

image 3. April 2023 um 10:02
Luzerner SVP-Politiker auf dem Weg zum Sieg. Zuversicht oder Übermut? (Bild: Kanton Luzern)
Luzerner SVP-Politiker auf dem Weg zum Sieg. Zuversicht oder Übermut? (Bild: Kanton Luzern)
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Die Fakten: Die SVP legt in den kantonalen Wahlen in Luzern und Genf spürbar zu. Im Tessin deutet sich ein ähnlicher Zuwachs an.
Warum das wichtig ist: Das sind für die SVP gefährliche Resultate. Der Partei scheint es besser zu gehen, als es ihr eigentlich geht.
Wenn selbst der Tages-Anzeiger von einem «sehr positiven Momentum» für die SVP schreibt, dann sollte in der Führung der Partei Alarmstufe Rotherrschen:
  • Der Tagi schreibt das wohl, weil er nicht anders kann. Die Resultate sind wirklich gut
  • Doch wenn der linksliberale Tagi die rechte SVP lobt, dann weiss die Zeitung warum: Wer zu früh lacht, weint am längsten. Sie will die SVP dazu verführen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen
Dazu passt, dass Michael Hermann, ein kenntnisreicher, aber linksliberaler Politologe, die SVP mit ähnlichen Worten aus Zucker, Honig und Schokoladenpudding beschreibt. Im Schweizer Fernsehen sagte er:
  • «Was wir nun sehen, ist ein Aufbau dieses Rechtsrutsches, dieser Dynamik der SVP. Das kann sich noch verstärken».
Alle sind verliebt in die SVP.
  • Tatsächlich sind die Ergebnisse der letzten kantonalen Wahlen vor den Nationalratswahlen im Oktober schmeichelhaft für die SVP

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Gewählt wurde gestern Sonntag in den Kantonen Luzern, Genf und Tessinein neues Parlament sowie eine neue Regierung, wobei die Ergebnisse für den Grossen Rat im Tessin erst am Montagabend bekannt werden. Was wir aber in Luzern und Genf beobachtet haben, genügt, um sich ein Bild zu machen. Wir konzentrieren uns auf die Parlamentswahlen, da sie von höherem prognostischem Wert sind, wenn es darum geht, die Folgen für die Nationalratswahlen abzuschätzen. Diese finden im Oktober statt.
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Auf drei Phänomene kommt es an:
  1. Die SVP legt in Luzern um 3,4 % zu (Kantonsrat), in Genf ebenfalls um 3,4 % (Grand Conseil). Das ist signifikant. Insbesondere in Genf handelt es sich um einen Rechtsrutsch, zumal auch das rechte Mouvement citoyens genevois (MCG) um 2,3 % gewachsen ist. Und wenn in Luzern, einem einflussreichen Kanton, die SVP zur zweitgrössten Partei aufsteigt, dann muss sich die Mitte, die Nummer 1, Gedanken machen. 1995 kam die damalige CVP, aus der die Mitte hervorgegangen ist, noch auf einen Wähleranteil von phänomenalen 43,5 %, heute liegt sie bei 27,3 %. Die SVP wuchs im gleichen Zeitraum von 7,6 % (1995) auf 23 % (2023)
  2. Die Grünen brechen ein – wie vor kurzem in Zürich, wogegen die Grünliberalen sich halten (Luzern) oder vorwärtsmachen (Genf, + 5 %!). Von einer grünen Welle, von einer Klima-Wahl kann dennoch keine Rede mehr sein. Ernüchterung macht sich im grünen Lager breit und sie greift schneller um sich, als der Bund Windkraftwerke baut
  3. Der Rest stagniert. Weder SP, FDP oder Mitte gewinnen – noch verlieren sie, abgesehen von ein paar irrelevanten Bewegungen im Millimeterbereich. Sie verharren im Aggregatszustand der ewigen Langeweile. Die Performance der drei Parteien erinnert an ein Unterhaltungsprogramm bei einem Firmenanlass, wo man höflich über Witze lacht, die man schon letztes Jahr nicht lustig gefunden hat
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Wie sind diese Phänomene zu deuten?
  1. Wenn die SVP jetzt zulegt, dann zieht sie Nutzen aus der politischen Konjunktur. Die Zeiten sind ernster geworden – weswegen sich die Menschen eher zu konservativen, bewährten Antworten hingezogen fühlen. Keine Experimente. Krieg in der Ukraine, eine Rezession vor der Tür, Inflation, sowie ungelöste Probleme bei der Zuwanderung, zuletzt noch der Zusammenbruch der CS, auf den noch Schlimmeres folgen könnte: Wer Lösungen und Sicherheit sucht, wählt lieber erwachsene Politiker als grüne Kinderstars
  2. Die Grünen haben nicht geliefert. Ausgestattet mit viel Vertrauen und neuen Sitzen im Parlament ist es ihnen nicht gelungen, ihre Klimapolitik voranzubringen. Im Gegenteil. Gewiss, in unserem direktdemokratischen System fällt das ohnehin schwer, dennoch sind die Grünen aus Sicht vieler Wähler den Beweis schuldig geblieben, dass ihre Rezepte etwas taugen oder dass ihre Politiker etwas können, woran es den anderen mangelt. Glättli oder Rösti? Dem Letzteren, einem Solid-Politiker, traut man mehr zu als dem ausgebildeten Zürcher Philosophen
  3. Hier irritiert vor allem die FDP. In Genf verlor sie big time (- 6,1 %), doch das lag zu einem wesentlichen Teil an Pierre Maudet, dem gefallenen Engel der Partei, ein der Korruption überführter, ehemaliger Staatsrat, den die FDP ausgeschlossen hat. Dessen hastig zusammengeklebte Partei Libertés et justice sociale (LJS) erzielte auf Anhieb 8,5 %. Wertvolle Prozente, die der FDP abhandengekommen sind. Luzifers Rache. In Luzern aber verlor die FDP einfach so – ohne Skandal, ohne ein Maudet. Das klägliche Resultat (- 1,7 Prozent) gleicht dem jämmerlichen Ergebnis in Zürich (+ 0,2 %). Jämmerlich und kläglich sind die richtigen Begriffe, weil die politische Konjunktur, die der SVP hilft, auch der FDP zugutekommen sollte.

Warum schafft es die FDP nicht, wo muss Thierry Burkart, ihr rechtsliberaler Chef, unbedingt korrigieren? Indem er von der SVP lernt.
Obwohl sich das auf den ersten Blick gar nicht so aufdrängt.
  • Denn wo die FDP hinkt, schleppt sich auch die SVP von Ort zu Ort.

Was das Personal, was den Auftritt betrifft, überragt die SVP den Freisinn keineswegs so eindeutig. Ihre Führungsleute fallen nicht viel positiver auf als jene des Freisinns. Blinde und Einäugige messen sich mit Lahmen und Kurzatmigen.
Der Unterschied liegt im Inhaltlichen.
Im Gegensatz zur FDP weiss der Wähler ziemlich genau, wofür die SVP steht. Jahrzehntelange programmatische Arbeit, die in der Volkspartei geleistet wurde, zahlt sich nun aus. Ohne Genies an der Spitze zu haben, kann die SVP jetzt vorwärtseilen – selbst, wenn sie sich gelegentlich in der russischen Steppe verirrt oder um das Goldene Kalb tanzt, das sie Neutralität nennt.
Mit anderen Worten, was der FDP abgeht, ist die bürgerliche Substanz, auf die man sich immer verlassen kann. Hier muss Burkart eingreifen. Er ist ja bürgerlich – warum das nicht deutsch und deutlich sagen?
Die SVP dagegen leidet auf höherem Niveau. Vor lauter Lobpreisungen der Konkurrenz läuft sie Gefahr, sich selber für fantastisch zu halten.
Oder wie Martin Luther, der grosse deutsche Reformator, schon warnte:
«Die Welt kann nichts weniger ertragen, denn gute Tage».
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Wochenbeginn
Markus Somm

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