Regierungskrise in Grossbritannien

Lehren für nicht-linke Politiker – auch in der Schweiz

image 22. Oktober 2022 um 03:00
Liz Truss gibt am Donnerstag ihren Rücktritt als Premierministerin bekannt. (Bild: Keystone)
Liz Truss gibt am Donnerstag ihren Rücktritt als Premierministerin bekannt. (Bild: Keystone)
Nach 45 Tagen ist Schluss: Liz Truss ist die Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in der 300 Jahre langen Reihe der britischen Regierungschefs. Und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Eine britische Boulevard-Zeitung wettete vorgestern, dass Liz Truss nicht länger im Amt bleiben werde als ein Salatkopf frisch bleibt. Der Salatkopf gewann – nach einem Tag.
Doch damit nicht genug: Die (linke) Presse höhnte, Truss sei Opfer ihrer eigenen marktwirtschaftlichen Vorschläge geworden. Der Kapitalismus habe sie abgewählt, schreibt die Aargauer Zeitung.

Der Plan war richtig, die Umsetzung weniger

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Liz Truss wollte mehr Wachstum für das Vereinigte Königreich. Und dazu schlug sie den Verzicht auf die im Frühling beschlossene Erhöhung der Unternehmenssteuern, die Streichung von Regulierungen und Steuersenkungen für alle natürlichen Personen – auch jene mit dem höchsten Einkommen – vor. Truss wollte Fracking erlauben, um unabhängiger vom Ausland zu werden und Jobs zu schaffen und mit staatlichen Interventionen die Preise für Energie garantieren. Ende des Monats wollte sie weitere Deregulierungen bekannt geben.
Ihr Vorhaben war gar nicht so extrem, wie nun überall geschrieben wird, sondern einfach das, was die Briten «conservative» und wir hier «bürgerlich» nennen. Extrem war höchstens, dass Truss die Staatsausgaben nicht senken, sondern ihren Wachstumsplan mit zusätzlichen Schulden finanzieren wollte. Die Steuersenkungen hätten 45 Milliarden Pfund gekostet. Das Budgetdefizit wäre gemäss Bloomberg auf 100 Milliarden Pfund pro Jahr gestiegen. Das wäre 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung – viel im Vergleich zur haushälterischen Schweiz, aber wenig im Vergleich zu den USA.

Die Last ihrer Vorgänger

Schauen wir auf die jüngste Vergangenheit, so zeigt sich: Truss ist nicht Opfer ihres Wachstumsplanes geworden, sondern der falschen Wirtschaftspolitik ihrer drei konservativen Vorgänger. Sie haben zwölf Jahre lang alles andere als eine konservative Politik gemacht. David Cameron, Theresa May und Boris Johnson haben die Steuern in Grossbritannien auf das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg gehoben, mit Regulierung jede Innovation abgeklemmt und mit teuren Infrastrukturprojekten inklusive einer «grünen industriellen Revolution», grüner Klimapolitik und teuren erneuerbaren Energien die Staatsausgaben in ungeahnte Höhen getrieben. Finanziert wurde das ganze mit billigem Geld. Daran hatten auch die Finanzmärkte ihre Freude – und der daran verdienende britische Geldadel sowieso. Die Inflation trifft nun aber vor allem die normalen Bürger.
Natürlich waren Truss’ Vorgänger keine Labour-Regierungen. Doch sozialdemokratisch war deren Politik allemal. Sie haben den kleiner werdenden Kuchen verteilt, statt ihn zu vergrössern. Die Chance dank des Austritts aus der EU endlich Regulierung und Steuern abzubauen und die Zuwanderung zu regeln, wurde von keiner Regierung genutzt. Dafür rieb man sich mit der EU am Nordirland-Protokoll, das, schlimm genug, Wurstlieferungen über die irische See erschwerte. Das staatliche Gesundheitswesen wurde von keinem Konservativen angetastet, obwohl es immer mehr kostet – und immer weniger liefert.

Hohe Steuern, tiefes Wachstum

Zwölf Jahre nach der Machtübernahme der Tories ist Grossbritannien ein Land mit hohen Steuern, hoher Inflation, niedrigem Wachstum und – nachdem Liz Truss mit ihrem Vorhaben gescheitert ist – keiner Perspektive, wie sich das ändern könnte.

Nicht der Kapitalismus hat Liz Truss abgewählt, sondern ihre konservative Fraktion, die keine Lust auf konservative Politik mehr hat.


Was wir daraus lernen können: Wenn Nicht-Linke an die Macht kommen und jahrelang linke Politik machen, haben sie irgendwann keine Zeit, ja keine Chance mehr, das zu tun, was sie ursprünglich einmal wollten und ihren Wählern versprochen haben. Und es fehlt ihnen an der nötigen Überzeugung, nicht-linke Politik zu machen. Nicht der Kapitalismus hat Liz Truss abgewählt, sondern ihre konservative Fraktion, die keine Lust auf konservative Politik mehr hat.
Diese Lehre sei auch den Schweizer Bürgerlichen ins Aufgabenheft geschrieben. Sie sind auf dem Papier seit Ewigkeiten in der Mehrheit und müssen deshalb die Verantwortung für die Politik im Land übernehmen. Und sie müssten das Land bürgerlich gestalten. Doch auch sie sind längst auf den Geschmack interventionistischer, ja linker Politik gekommen.

Bürgerliche machen linke Politik

Nur ein paar Beispiele: Es gibt Bürgerliche, die wollen mit Strom aus den fossilen Energien aussteigen, gleichzeitig die Kernkraftwerke abstellen und das ohne Gaskraftwerke oder Speichertechnologie. Elf Jahre links-grüne Energiepolitik liess den dringend benötigten Ausbau der Stromproduktion im Inland liegen – und alles, was wir gemäss Energieministerin Simonetta Sommaruga jetzt gegen den Strommangel noch machen können, ist zu zweit duschen. Gleichzeitig stellt sie acht teure Ölkraftwerke auf, damit es nicht zum Blackout kommt. Auch unsere Klimapolitik ist teuer und nützt wenig.
Wir haben seit zwanzig Jahren eine freie Zuwanderung aus der EU, welche die Infrastruktur und die Umwelt belastet und den Ansässigen kaum Wachstum pro Kopf bringt – dafür administrative Hürden für Talente aus Drittstaaten, welche die Wirtschaft benötigt. Wir haben eine Altersvorsorge, welche die demografische Herausforderung nicht löst – selbst wenn jüngst immerhin eine erste kleine Reform geglückt ist. Wir haben eine Sozialhilfe, die zur Hängematte geworden ist, statt Menschen in Not auf die Beine zu helfen – und entsprechend kostet.

Stets wachsender Staat

Wir haben zehn Jahre Stillstand in der Gesundheitspolitik, die in staatliches Mikromanagement abgleitet, statt Wettbewerb um Qualität und Preise zuzulassen. Wir haben eine links-grüne Verkehrs- und Raumordnungspolitik, die Entwicklung verhindert, statt sie zu ermöglichen. Bald zehn Jahre Bemühungen, nach einem fundierten Bericht des Bundesrates die Regulierungsdichte zu senken, haben kaum etwas Zählbares gebracht. Und ein stetig grösser werdender Staatssektor ist zum Dreh- und Angelpunkt einer Gesellschaft geworden, die eigentlich die Entfaltung von Talenten und Träumen zulassen statt mit Steuern und Vorschriften behindern sollte.
Irgendwann fehlt die Zeit und das Geld, das Ruder herum zu reissen. Und irgendwann fehlt den Bürgerlichen die Überzeugungskraft, nicht-linke Politik zu machen. So wie Liz Truss und den Tories im Vereinigten Königreich.

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