Somms Memo

Lausige Noten für den Bundesrat. Müssen wir uns Sorgen machen oder eher freuen?

image 29. August 2022 um 10:00
Der schweizerische Bundesrat im Jahr 2022.
Der schweizerische Bundesrat im Jahr 2022.
Die Fakten: Eine neue Umfrage zeigt: Der Bundesrat hat insgesamt an Popularität eingebüsst. Berset bleibt der Star, Cassis das Kellerkind.

Warum das wichtig ist: Als Corona herrschte (und polarisierte), genoss die Regierung viel Vertrauen. Das hat sich geändert. Strommangel und Ukraine-Krieg setzen ihr zu.


Bundesrats-Rankings sind eigentlich Teil der Unterhaltungsindustrie. Sie sind:
  • Überflüssig
  • Und doch aufschlussreich
  • sicher lustig

Denn in einem Land, wo die einzelnen Bundesräte gar nicht vom Volk gewählt werden, sondern vom Parlament, ergibt es streng genommen wenig Sinn, deren Beliebtheit in diesem Volk zu messen.
Ob beliebt oder unbeliebt: Das braucht einen Bundesrat nie zu kümmern. Er tritt zurück, wann immer es ihm gefällt, auf das Volk muss er dabei am wenigsten Rücksicht nehmen. Die eigene Frau oder der eigene Mann sind wichtiger.
Trotzdem wollen wir Journalisten auch etwas zu lachen haben – und natürlich lassen sich Schlüsse aus diesen Evaluationen der magistralen Tagesform ziehen.
So auch aus der jüngsten Umfrage von Tamedia und 20 Minuten. Wenn sie uns sogar verblüfft, dann liegt das an Alain Berset (SP), unserem angeblichen oder tatsächlichen Lieblingsbundesrat, der trotz nicht abreissender Kapriolen nach wie vor als der populärste Magistrat herausragt.
Auf die Frage, welche Schulnote man ihm geben würde, antworteten die befragten Schweizerinnen und Schweizer:
  • 4,11
Wogegen der offenbar ungeliebte Ignazio Cassis (FDP) eine
  • 3,51 erhielt.
Das ist die tiefste Note. Die Werte der übrigen Bundesräte liegen dazwischen – dabei gelten die alten Schulnoten des späten 20. Jahrhunderts: 1 heisst sehr schlecht, 6 hervorragend.
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Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Befragten trotz aller Schulreformen der jüngsten Vergangenheit nach wie vor ein Bauchgefühl für Noten besitzen, dann muss man auch mit Blick auf Berset sagen:
Das sind hundslausige Noten.
Ein «Vierer» begeisterte früher niemanden, wenn er seine Prüfung zurückbekam, sondern in der Regel atmete man auf, im Wissen, knapp der Todeszone entronnen zu sein, und doch überwog die Trauer. Ein «Dreieinhalber», also Cassis’ Note, wirkte dabei fast noch weniger schlimm als ein «Vierer», weil man ahnte: Es hätte noch schlimmer kommen können. Warum nicht ein Zweier?
Kurz, diese Regierung ist unpopulär, oder genauer: Man mag vielleicht diese gutmütigen Schüler und Schülerinnen, doch traut man ihnen immer weniger zu. Bei der vorletzten Umfrage, die im Winter 2021 vorgenommen wurde, sahen alle Werte durchs Band besser aus, sowohl für Berset als auch Sommaruga oder Cassis.
Ob Nachsitzen etwas bringt? Auch da bestehen Zweifel.
Zumal die Umfrage genauso untersuchte, wie die Bürger die Leistung der Regierung in einzelnen, konkreten Politikbereichen beurteilten.
  • Im Winter 2021 – die Pandemie hatte uns noch fest im Griff – erklärten 75 Prozent, sie seien mit der Krisenpolitik des Bundesrates «zufrieden»
  • Inzwischen sind nur 65 Prozent davon überzeugt, dass der Bundesrat die bevorstehende Strommangellage abzuwenden in der Lage ist
  • Ebenso können viele der Regierungspolitik in Sachen Ukraine-Krieg wenig abgewinnen. Man hält den Bundesrat für überfordert oder konfus
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Müssen wir uns Sorgen machen?
Kaum.
Zum einen ist der Bundesrat ein Kollektiv. Ob Cassis abfällt oder Sommaruga (zweitschwächste in der Klasse), es hat keinerlei Auswirkungen auf die Gesamtleistung.
Zum andern ist der Schweizer selten begeistert von seiner Regierung, die er ja auch genauso zusammensetzt, damit er nie begeistert sein muss. Jedenfalls, so scheint es, kommt das Parlament diesem Wunsch des Volkes stets nach, wenn es die Regierungsmitglieder wählt:
  • Man zieht den Langweiler dem Charismatiker vor. Ausnahmen (Berset, Blocher, Couchepin) bestätigen die Regel
  • Weil kein Bundesrat von seiner Partei, also den eigenen Anhängern gewählt wird, sondern von seinen Gegnern, kann es auch nicht anders sein: Wer, der bei Verstand ist, gönnt der gegnerischen Partei denn ein Genie in der Regierung? Lieber einer, der die Akten liest, die man selbst nie lesen will. Beförderung als Strafe
  • «Mittlere Unzufriedenheit» ist vielleicht die beste Umschreibung jener stillen, nicht vorhandenen, eher ranzigen Leidenschaft, die der Schweizer mit seinem Bundesrat verbindet. Man liebt den Biedermeier im Bundeshaus, ohne das zuzugeben, man schätzt den mittelmässigen Schüler, den man bedauert, wenn er einen «Vierer» schiesst, während man selber einen «Dreier» bekommen hat

Wäre das Gegenteil der Fall, müssten wir uns Sorgen machen. Wer seiner Regierung einen «Sechser» geben möchte, hat den Sinn von Demokratie nicht ganz verstanden. Demokratie ist zu einem wesentlichen Teil nichts anderes als das institutionalisierte Misstrauen der Bürger gegenüber ihrer Regierung.
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Euripides (485/480 v.Chr. bis 406 v.Chr.). Theaterdichter und Genie.
Beginnen Bürger dagegen ihre Regierung zu bewundern, dann stimmt etwas nicht mehr. So gesehen gilt: lieber ein «Dreieinhalber-Bundesrat» als ein «Sechser-Dreamteam». Oder wie es Euripides, der grosse griechische Dichter, ausdrückte:
«Wenn einer mit honigsüsser Stimme, aber bösem Verstand die Massen verführt, dann droht dem Staat grosse Not.»

Ich wünsche Ihnen einen perfekten Wochenbeginn Markus Somm

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