Kusters Wochenschau 3/2022
Strippenzieherin OECD: Mindeststeuer und Länderbericht
Gibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris der Wirtschaftspolitik in Bundesbern den Takt vor? Diesen Eindruck hinterlassen zwei Meldungen, eine von diesem und eine vom Donnerstag vergangener Woche.
Vor Wochenfrist nahm der Bundesrat dazu Stellung, wie er die OECD-Mindeststeuer für international tätige Unternehmen hierzulande umzusetzen gedenkt (Medienmitteilung). Er will dafür eine neue Verfassungsgrundlage schaffen und mit einer temporären Verordnung dafür sorgen, dass die Mindeststeuer per 1. Januar 2024 greift, und danach die Gesetzesgrundlage im ordentlichen Verfahren erarbeiten.
Grosser Empfang am Hauptsitz der OECD für US-Aussenminister Antony Blinken (rechts) im Sommer 2021, links Mathias Cormann, Generalsekretär der Organisation seit Anfang Juni. Bild: Keystone
Die unter dem Dach der OECD, de facto aber von den G20-Staaten beschlossene internationale Steuerharmonisierung betrifft international tätige Unternehmen mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro und beträgt 15 Prozent, «auf der Basis einer international vereinheitlichten Bemessungsgrundlage». Besteuert ein Land ein Unternehmen tiefer, können andere Länder es zusätzlich belasten, wofür der Bund den schönen Begriff «unterbesteuerte Unternehmen» verwendet, was zur neckischen Frage verleiten könnte, wo der Satz liegt, ab dem ein Unternehmen denn «überbesteuert» wäre. Durch die Übernahme ins hiesige Recht werde sichergestellt, dass die Schweiz «keine ihr zustehenden Steuereinnahmen verschenke», führt der Bundesrat aus. Das ist zwar deutsch und deutlich, aber Begriffe wie «verschenken, «schenken» oder «Geschenke» sind im Zusammenhang mit Steuern fehl am Platz, weil sie falsche Assoziationen wecken.
An diesem Donnerstag präsentierte die OECD an einer Online-Medienkonferenz ihren Länderbericht zur Schweiz, wobei Bundesrat Guy Parmelin und die Direktorin des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, das Untersuchungsobjekt vertraten. Die OECD analysiert alle zwei Jahre die Wirtschaft jedes Mitgliedlands eingehend, unterzieht die Wirtschaftspolitik einer gründlichen Überprüfung und publiziert die Resultate samt konkreten Empfehlungen in sogenannten Länderberichten. Der letzte Bericht für die Schweiz wurde im November 2019 veröffentlicht.
Auch die jüngste Ausgabe ist eine Fundgrube, nicht nur für wirtschaftlich Interessierte. Die OECD befasst sich darin mit den geld- und wirtschaftspolitischen Instrumenten, mit denen die Schweiz die Verwerfungen der Coronakrise begrenzt hat – und der Wettbewerbspolitik als Mittel zur Steigerung der Produktivität. Auch die Nachhaltigkeit darf natürlich nicht fehlen, wobei die Frage lautet: Wie können Ressourcen effektiv eingesetzt werden, um den Lebensstandard aller zu erhöhen und das Wachstum nachhaltiger zu machen? Ein Spezialkapitel widmet die OECD dem Schweizer Arbeitsmarkt.
Online-Präsentation des Länderberichts 2022: Bundesrat Guy Parmelin und die Direktorin des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Marie-Gabrielle Ineichen Fleisch.
Die OECD bescheinigt unserem Land, gut durch die Coronakrise gekommen zu sein. Doch könnten sich durch die Krise Präferenzen der Konsumenten dauerhaft geändert haben, was zu einer strukturell tieferen Nachfrage nach bestimmten Gütern und Dienstleistungen führe. Sie warnt davor, das an sich sinnvolle Instrument der Kurzarbeitsentschädigung zu überstrapazieren, weil so auch Entlassungen bei Unternehmen, die am Markt nicht mehr überlebensfähig sind, hinausgeschoben werden – diese Arbeitskräfte fehlen dann in produktiveren Wirtschaftsbereichen. Weniger fundiert erscheint die Sorge der OECD, die Corona-Schulden würden wegen der Schuldenbremse zu schnell abgebaut, was die Fiskalpolitik zu restriktiv werden liesse. Durchaus vernünftig hingegen ist die Empfehlung, das Rentenalter für beide Geschlechter auf 65 Jahre anzuheben und mit der Lebenserwartung zu verknüpfen (siehe Interview mit Aymo Brunetti).
Der Länderbericht 2022 enthält eine Fülle von Informationen und Empfehlungen, die man teilen mag oder auch nicht. Wer das Ganze einordnen will, sollte wissen, dass solche Berichte in enger Zusammenarbeit mit den Behörden des jeweiligen Staates verfasst werden, in der Schweiz also mit dem Bund und der Nationalbank. Und es gehört zu den ureigenen Aufgaben der OECD, internationale Vergleiche anzustellen (und dafür entsprechend vergleichbare Statistiken zu führen), ihre Mitgliedländer bei der Wirtschaftspolitik zu beraten und den nationalen Behörden als Sparringspartner zu dienen.
Ganz anders verhält es sich mit der Mindeststeuer: In den letzten 20 Jahren hat die OECD im Steuerbereich Aufgaben übernommen, für die sie nicht geschaffen wurde; sie hat zum Lieblingskind der Steuerkartellisten aller Länder mutiert. Diagnose: «Mission Creep». Sie wird, nicht ohne eigenes Verschulden, von den G20 instrumentalisiert. Das ist ein Ad-hoc-Gremium ohne völkerrechtliche Grundlage, das nicht einmal über klare Aufnahmekriterien verfügt und wo die Schweiz, anders als bei der OECD, nicht dazugehört. Aber vielleicht sollte man nicht ganz so kritisch sein, lautet doch der «Claim» der OECD «Better policies for better lives», und dagegen lässt sich ja schwerlich etwas einwenden.
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Zinswende: Ist diesmal alles anders?
Die Zinsen steigen, nicht nur in den USA, sondern sogar in Europa. Diese Woche haben zwei wichtige Referenzsätze, die Renditen für die zehnjährige deutsche und die Schweizer Bundesanleihe den negativen Bereich verlassen und notieren nun ganz wenig über der Nulllinie. In den vergangenen Jahrzehnten kannte der Verlauf der Zinsen nur eine Richtung: nach unten. Wer zum Beispiel 1996 in die Welt der Finanzen einstieg, hat noch eine Rendite der zehnjährigen Anleihe der Eidgenossenschaft von über 4 Prozent erlebt.
Das wurde damals allerdings nicht als besonders hoch empfunden, im Gegenteil. Nachdem die Rendite etwas unter diesen Wert fiel, sprach man prompt von einer «Tiefzinsphase». Alles eine Frage der Perspektive, wie wir heute wissen. Die Antwort auf die Frage, ob wir heute wirklich die Zinswende erleben, hängt ebenfalls von der Perspektive ab. Einerseits wurde im letzten Vierteljahrhundert immer wieder eine Zinswende angekündigt. In der Realität erwies sich dies bislang stets als Fehlalarm – oder als unerfüllte Hoffnung, auch dies ist eine Frage der Perspektive. Andererseits fängt jede Zinswende klein an und kümmert sich wenig um die Argumente der Ökonomen. Heute gibt es viele gute Gründe, weshalb die Zinsen nicht mehr wesentlich steigen können sollten, genauso wie es Anfang 1997 gute Gründe gab, sich sicher in einer Tiefzinsphase zu wähnen.
Preisschub auf der vorgelagerten Stufe – ein Puzzleteil im Gesamtbild
Diese Woche hat das Bundesamt für Statistik die Zahlen zum Produzenten- und Importpreisindex publiziert. Der Gesamtindex (früher sprach man anschaulich vom Grosshandel, heute etwas abstrakter vom Gesamtangebot) ist im Dezember gegenüber dem Vorjahresmonat 5,1 Prozent gestiegen, die durchschnittliche Jahresteuerung 2021 belief sich auf 2,7 Prozent; wenig überraschend ist der grössere Teil des Schubs auf die höheren Importpreise (beispielsweise für Energie) zurückzuführen. Demgegenüber betrug die für die Verbraucher massgebliche, am Landesindex der Konsumentenpreise gemessene, durchschnittliche Jahresinflation 2021 nur 0,6 Prozent; für den Dezember resultierte ein Plus von 1,5 Prozent (Medienmitteilung).
Der Zusammenhang zwischen dem Produzenten- und Importpreisindex zum einen und dem Konsumentenpreisindex zum anderen ist historisch betrachtet schwach ausgeprägt. Einer der Gründe dafür ist, dass der Produzentenpreisindex die Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen misst, die von inländischen Unternehmen erbracht werden, aber eben auch ins Ausland verkauft werden. So beträgt das Gewicht des Produzentenpreisindexes am Gesamtangebot rund zwei Drittel. Wird nur auf den Inlandabsatz abgestellt, vermindert er sich auf 45 Prozent. In dieser Betrachtungsweise hat also der Importpreisindex, der die eingeführten Produkte erfasst, die von der Schweizer Wirtschaft benötigt werden, knapp die Oberhand.
Aber vielleicht ist der Preisanstieg auf der vorgelagerten Stufe diesmal doch gar kein so schlechter Indikator für den Konsumenten und passt ins Gesamtbild. Ein Bild, das der Konsument aus vielen mitunter scheinbar nebensächlichen Beobachtungen gewinnt – wie die sich mehrenden Hinweise in Läden oder an Marktständen, wonach man sich leider gezwungen sehe, Preiserhöhungen bei Rohstoffen und Vorprodukten an die geschätzte Kundschaft weiterzugeben.
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