Somms Memo

Kommen die Grünen jetzt in den Bundesrat? Nein.

image 23. Juni 2023 um 10:00
Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen, einer Partei mit Ambitionen.
Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen, einer Partei mit Ambitionen.
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Die Fakten: Die Grünen wollen in den Bundesrat – falls nötig, auch auf Kosten der SP. Warum das wichtig ist: Haben die Grünen gute Argumente, um sie in den Bundesrat aufzunehmen? Nein. Aline Trede, die stets fröhliche, durchaus patente Fraktionschefin der Grünen, die in manchem einer Pfadiführerin gleicht, die ihre Buben und Mädchen zum Bräteln treibt, brauchte nicht lange, um den bald leeren Sitz von Alain Berset(SP) für ihre Partei zu beanspruchen:
  • «Wir Grünen werden im Dezember antreten», sagte sie schon am Mittwoch dem Tages-Anzeiger, kaum hatte Bundespräsident Berset bekanntgegeben, dass er auf Ende Jahr sein aufgebe
  • Von Anstandsfrist, von Pietät keine Spur. Bundesratsrücktritte gleichen in der Schweiz Trauerfällen. Es gehört sich nicht, das Testament schon am Todestag zu eröffnen

Das richte sich aber gegen die SP, gab der Tages-Anzeiger besorgt zu Bedenken. Haben die Grünen nicht versprochen, den SP-Sitz in Ruhe zu lassen? Trede – ohne jede Rücksicht auf die Hinterbliebenen:
  • «Ein solches Versprechen gibt es nicht. Das war ein Beschluss der Fraktion für diese Legislatur». Und diese dauert bis zu den Nationalratswahlen – im Oktober.

Seither ist Feuer unter dem Dach. Wenn sich das auch niemand in der SP öffentlich anmerken lassen würde, wie unverschämt man diese Äusserungen findet, und manche sich Hoffnung machen, es handle sich bloss um die übliche Kampfrhetorik einer Pubertierenden, die ihren Eltern deren ganzes Leben als missraten vorwirft:
  • Die SP steckt in der Bredouille

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Aus zwei Gründen:
1. Kulturell: Die SP ist die ältere Schwester in der linken Familie, während die Grünen als jüngere Schwestergelten. Zwar hat man es mit der Jüngeren immer lustiger, aber ernst nimmt sie niemand. Wenn etwa über den Erbgang verhandelt wird, dann wendet man sich lieber an die ältere Schwester.  Umso mehr kann sich die SP schwer damit abfinden, dass die Grünen nun dieser Position als Juniorpartnerin entwinden möchten
2. Politisch-taktisch: Ein Streit unter den beiden linken Parteien nützt keiner, weder der SP noch den Grünen, zumal viele linke Wähler Harmoniesucht für eine typisch linke Tugend halten – vor allen Dingen nach aussen. (Wer je in linken Grüppchen aktiv war, wie ich selbst, weiss, wie es in Tat und Wahrheit zugeht: Wie im Zelt von Dschingis Khan). Mit anderen Worten, ein Krach unter Linken schadet dem Wahlkampf und mithin dem gemeinsamen Wahlerfolg

Also ist man gut beraten, den Mund zu halten. Denn ein Drittes kommt hinzu:
3. Wenn sich die Linke zu offensichtlich die Köpfe einschlägt, könnte das die Bürgerlichen dazu verleiten, sich einzumischen. Und das wäre der Super-GAU.
Wie sähe das aus? Indem etwa die SVP zum Schluss käme, es nütze der bürgerlichen Sache, wenn die linken Parteien sich auf Dauer entfremdeten – was etwa dann der Fall wäre, wenn man der SP einen Sitz wegnimmt und ihn den Grünen gibt. So dass am Ende die Linke zwar mit zwei Sitzen in der Landesregierung vertreten bliebe, aber mit je einem für die SP und einem für die Grünen, so wie wir das in der Zürcher Regierung kennen. Machiavelli würde sich im Grab umdrehen – und mit Genugtuung kichern. Der grosse florentinische Staatsdenker (1469-1527) gilt als Erfinder des Machiavellismus, der politischen Ruchlosigkeit, des amoralischen Ränkespiels, der Technik der Macht. Wenn die SVP diese Erbschleicher-Strategie verfolgte, müsste sie nur einen Teil der Mitte und des Freisinns davon überzeugen (die verstimmten Grünen machen sowieso mit), und die SP sähe sich auf den Pflichtteil herabgesetzt.  Es wäre das Ende der SP, wie wir sie kennen. Überleben mit einem einzigen Sitz im Bundesrat? Fragen Sie die CVP (heute Mitte). Wie realistisch ist ein solches Szenario?
  • Ich würde sagen: 20 Prozent Wahrscheinlichkeit
  • Wogegen 80 Prozent für den Status quo sprechen, also je zwei Sitze für SP, FDP und SVP im Bundesrat, sowie einen für die Mitte

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Dass dieses (aus Sicht der beobachtenden Journalisten) sicher langweiligste Szenario des Status quo im Dezember als Realität fortgeschrieben wird, das liegt allerdings auch an den Grünen:
  • Sie sind viel zu brav (und zu links), will heissen: sie geben den Bundesratsparteien keinerlei Anlass, sich vor ihnen in Acht zu nehmen. Die Grünen wirken wie Abgängerinnen eines welschen Mädchenpensionats in den 1920er Jahren, beste Manieren, schüchterner Blick, frisch gekämmt
  • Wer in den Bundesrat will, muss an der Tür zum Bundesratszimmer poltern – nicht höflich um Eintritt bitten und einen Knicks machen

Noch tun die Grünen nur so, als wären sie eine «schampar unbqueme» Opposition (SP-Präsident Helmut Hubacherüber die SP). Tatsächlich sind sie eine städtische Partei der ewigen Studenten, immer klug, immer flott, für die eine Karriere in der Bundesverwaltung das höchste der Gefühle zu bedeuten scheint.  Selbstverständlich bilden die vier Bundesratsparteien ein Kartell. Das kann man beweinen und beklagen. Das hilft aber nichts. Wenn die Grünen in den Bundesrat aufgenommen werden wollen, dann müssen sie so unangenehm auffallen, dass den etablierten Parteien nichts anderes mehr übrigbleibt. Fragen Sie die CVP (1891), die SP (1943) oder die SVP (2003). Ansonsten drohen die Grünen zu jener Partei zu werden, deren Programm daraus besteht, nie Bundesrat zu werden. Oder wie es Giulio Andreotti (1919-2013), italienischer Politiker und praktizierender Machiavellist, einmal ausgedrückt hat: «Macht nutzt den ab, der sie nicht besitzt.» Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende Markus Somm

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