Somms Memo

Junge Frauen sind immer linker. Was ist zu tun? Tee trinken

image 21. April 2023 um 10:00
Junge Frauen an einer Demonstration. Die Freiheit der Andersdenkenden.
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Die Fakten: Junge Schweizerinnen werden zusehends linker, gleichaltrige Schweizer immer rechter. Der Gender Gap in der Politik hat deutlich zugenommen. Warum das wichtig ist: Dieser Trend ist im ganzen Westen zu beobachten. Er dürfte die Polarisierung verschärfen. Anekdotisch ist es ein No-brainer: Junge Frauen denken linker als junge Männer.
  • Das merkt man, wenn man wie ich ab und zu ein Referat an einer Schule hält, und dann die Fragen kommen: die Gymnastinnen empören sich, die Gymnasiasten erkundigen sich nach einem Praktikum beim Nebelspalter
  • Es wird klar, wenn man an einer Familienfeier mit jungen Frauen der Verwandtschaft ins Diskutieren kommt und sich bei allen notorischen Fragen in die Haare gerät, wie etwa Gendern oder Klimapolitik (OK, bei den eigenen drei Töchtern ist das nicht der Fall)

Was mir subjektiv schon lange so vorkommt, lässt sich nun auch empirisch belegen. Das Zürcher Meinungsforschungsinstitut Sotomo hat exklusiv für den Nebelspalter die politischen Vorlieben der jungen Schweizer untersucht – und nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Dabei stützte man sich auf die Daten der Vox-Abstimmungsbefragungen von 1988 bis 2022.
Drei Ergebnisse stechen ins Auge:
  1. 18- bis 29-jährige Frauen verorten sich selbst mehrheitlich links der Mitte
  2. Wogegen sich dies bei den jungen Männern gerade umgekehrt verhält
  3. Diese Entwicklung ist nicht alt, zwar gab es immer Nuancen, doch hat sich dieser sogenannte Gender Gap in der Politik in den vergangenen Jahren beträchtlich vertieft
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Bis Anfang des 21. Jahrhunderts bekam man selten völlig entgegengesetzte Antworten, wenn man junge Frauen und Männer nach ihren politischen Präferenzen befragte: Es hielten sich stets etwa gleich viele Männer für links wie Frauen – bzw. für rechts. Gewiss, die Mehrheitsverhältnisse variierten, manchmal schätzten sich mehr Männer als links ein, dann wieder waren es die Frauen – aber das Geschlecht stellte grundsätzlich keinen eindeutigen Indikator für eine politische Haltung dar, will sagen: was ich zu Anfang als anekdotischen Befund vorgestellt habe, wäre mir noch vor zwanzig Jahren nie eingefallen. Ab 2002 überstürzen sich die Dinge, zum ersten Mal laufen die Ansichten der beiden Geschlechter – wir reden ausschliesslich von der jungen Generation – spürbar auseinander, um sich allerdings schon wenige Jahre später wieder anzugleichen. Er war eine kurze Versöhnung: ab 2010 öffnet sich der Gender Gap wieder – und zwar Jahr für Jahr breiter, so dass wir heute feststellen müssen:
  • So verschieden haben junge Frauen und Männer die Politik und damit die Frage, wie eine Gesellschaft aussehen und wohin sie sich bewegen soll, noch nie beurteilt
  • In Zahlen ausgedrückt, beträgt dieser Unterschied gegen 25 Prozentpunkte
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Was Michael Hermann und seine Leute bei Sotomo zutage gefördert haben, ist kein Einzelfall. Ein praktisch gleichlautendes Resultat ermittelte 2022 eine Studie im Auftrag des American Enterprise Institute (AEI), einem renommierten wirtschaftsliberalen Think Tank in den USA:
  • 44 Prozent der jungen Amerikanerinnen bezeichneten sich 2021 als links (Englisch: «liberal»)
  • Während nur 25 Prozent der jungen Amerikaner sich als links einstuften
  • Damit ergab sich ein Gender Gap von fast 20 Punkten, ein Rekordwert

Und geradeso wie in der Schweiz hat sich dieser Graben erst vor kurzem dermassen ausgeweitet:
  • Noch zehn Jahre zuvor zeigte sich ein vernachlässigbarer Unterschied zwischen den Geschlechtern, was die Politik anbelangt
  • 27 Prozent der Männer bezeichneten sich als links, 30 Prozent der Frauen

Was ist geschehen? Wenn wir uns in der Forschungsliteratur umsehen, dann gibt es bisher kaum einschlägige Studien, so dass ich hier mehr spekulieren muss als belegen kann. Zwei Vermutungen drängen sich auf:
1 Links heisst heute etwas anderes als früher. Die soziale Frage, der Klassenkampf, Verteilungskonflikte, Wirtschaft überhaupt, kurz, fast alles, was die alte Arbeiterbewegung mehr als ein Jahrhundert lang beschäftigt hat, bestimmen die aktuelle Debatte immer weniger Die neuen politischen Anliegen insbesondere der Linken haben mehr mit Lebensführung, mit moralischen Dingen wie «Rassismus» oder «Sexismus» zu tun, mit sprachpolizeilichen Auseinandersetzungen um das richtige Pronomen oder den falschen Mohrenkopf, es sind Ziele, für die Frauen offenbar leichter zu gewinnen sind als Männer. Das gilt nicht zuletzt für die Umweltpolitik, wo Frauen dezidiert anders entscheiden als Männer, wie eine weitere Umfrage aus Amerika nahelegt (ebenfalls im Auftrag des AEI):
  • 65 Prozent der gut ausgebildeten Frauen (College-Absolventinnen) finden der Schutz der Umwelt ist vorrangiger als Wirtschaftswachstum, d.h. sie nähmen in Kauf, ärmer zu werden, um damit die Umwelt zu schonen
  • Damit stellen sie sich in klaren Widerspruch zu den schlecht ausgebildeten Männern (kein College-Abschluss): nur 45 Prozent teilen diese Ansicht, 51 Prozent sehen es genau umgekehrt: an Wachstum liegt ihnen mehr als an der Umwelt

2 Frauen sind zusehends besser ausgebildet als Männer – und weil Akademiker inzwischen eher nach links neigen als andere Menschen (die Ursachen dafür sollen uns hier nicht weiter beschäftigen) gibt es auch immer mehr Frauen, die nach links tendieren. In der Schweiz beträgt der Anteil der Mädchen in den Gymnasien bereits 57 Prozent, und die Maturitätsquote der Frauen liegt bei 48 Prozent, während sie bei den Männern auf bloss noch 36 Prozent kommt (2020), Tendenz weiter abnehmend. Diese auseinanderstrebende Entwicklung hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren ständig mehr ausgeprägt. Es handelt sich um eine tektonische Verschiebung: Noch 1980 machten mehr Buben die Matura als Mädchen, 1990 waren es etwa gleich viel, seit 2000 hängen die Mädchen die Buben ab

Angesichts der Tatsache, dass man heute in manchen Fakultäten als Grüne oder als Sozialdemokrat diplomiert wird, wenn man die Universität verlässt, kann uns nicht überraschen, dass so viele jungen Frauen sich eher zu Mitte links hingezogen fühlen. Ist also Hopfen und Malz verloren – für die liberalen, bürgerlichen Kreise in diesem Land? Thema für ein nächstes Memo.
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Rosa Luxemburg (1871-1919), Kommunistin und Andersdenkende.
Vorerst mag man sich mit Rosa Luxemburg trösten, der deutsch-polnischen Kommunistin, auch wenn ihre Prognosen eigentlich noch nie gestimmt haben: «Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.» Ich wünsche Ihnen ein geruhsames Wochenende Markus Somm

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