somms memo

Impfpflicht in Österreich. Von einem Schlag ins Wasser, der daran selbst ertrank

image 24. Juni 2022 um 10:05
Glückliches Österreich, geimpftes Österreich? Fiaker in Wien.
Glückliches Österreich, geimpftes Österreich? Fiaker in Wien.
Die Fakten: Österreich will die Impfpflicht gegen Corona aufheben. Anfang Juli entscheidet das Parlament.

Warum das wichtig ist: Selten hat eine Massnahme weniger bewirkt und mehr Bürger aufgebracht. Der Staat stiess an seine Grenzen.


Ich habe gar nichts gegen Sonderwege – im Gegenteil –, doch der österreichische Sonderweg in Sachen Corona erwies sich als Weg ins Nirwana:
  • Nachdem die Impfpflicht Anfang Februar eingeführt worden war, blieb die Wirkung aus: die Impfquote stieg nicht
  • Was stattdessen stieg, war die Quote des Zorns. Immer mehr Bürger legten sich quer – aus Trotz. Der österreichische Grantler löste Mozart als Nationalhelden ab
  • Schon einen Monat später trat der grüne Gesundheitsminister zurück – Impfgegner hätten seine Familie bedroht, hiess es. Sein Nachfolger, ebenfalls ein Grüner, kündigte an, die Impfpflicht auszusetzen. Omikron, eine ungefährlichere Covid-Variante, mache das möglich. In drei Monaten müsse man die Massnahme allenfalls wieder anwenden, sagte er tapfer
  • Drei Monate später empfiehlt der gleiche Minister die vollständige Beseitigung der Impfpflicht

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Regulierungen allein ein Problem nicht aus der Welt schaffen, dann dieser österreichische Versuch, die eigenen Bürger zu Impffreunden zu machen, indem man sie zuerst zu Feinden erklärte.
Der Bürger ist ein seltsames Wesen. Zwar vertraut er sich zuweilen gerne dem Staat an – zu gerne, wie die Pandemie leider bewies – aber irgendwann kommt der Punkt, da gar nichts mehr geht, und jedes Gesetz und jede Massnahme des Staates bei den Untertanen auf ein Misstrauen stossen, als handelte es sich um eine Medienmitteilung von Dschingis Khan.
Vielleicht liegt es auch an der habsburgischen Tradition, dass in Österreich die Regierung so überzog, als sie Corona bekämpfte
  • Die Habsburger erliessen zwar viele Gesetze in ihrem riesigen Reich auf allen Kontinenten, aber selten wurden sie auch vollzogen
  • Das wusste der Bürger, das wusste die Regierung
  • Deshalb führte die Regierung immer strengere Gesetze ein, im Wissen, dass der Bürger sie dann selbst abmilderte, indem er sich nicht an sie hielt

Tatsächlich ging kaum ein Land so weit wie Österreich. So gut wie niemand in Europa setzte auf ein Impfobligatorium – obwohl vielen Politikern das wohl gepasst hätte.
  • In Europa tat es nur der Vatikan, sicher kein Staat, wo Rebellen wohnen
  • Immerhin: in Griechenland und Italien galt eine Impfflicht für gewisse Altersgruppen
  • Eine strikte Impfpflicht wie in Österreich galt sonst nur in Ländern wie Tadschikistan, Turkmenistan und Indonesien. Halbe Diktaturen, wo es auf das eine oder andere Gesetz auch nicht mehr darauf ankam

Immerhin, was Karl Kraus, der Österreicher, einmal über Österreich gesagt hatte, stimmte dieses Mal nicht:
«Wird in Österreich ein Verfassungsbruch begangen, so gähnt die Bevölkerung.»
Von Gähnen keine Spur, – von Granteln, Murren und Stampfen dafür sehr wohl. Die österreichische Demokratie erwies sich als intakt. Faktisch dauerte die Impfpflicht nur wenige Wochen, richtig vollzogen wurde sie nie.
Ausser Spesen nichts gewesen.
image
Wenn man den österreichischen Sonderweg mit anderen Sonderwegen vergleicht, etwa dem schweizerischen, dann zeigt sich ohnehin, was die ganze Corona-Politik weltweit geprägt hat:
Niemand weiss genau, welche Massnahmen wirklich etwas bewirkt haben. Die Empirie entzieht sich einfachen Schlüssen:
  • Österreich ordnete eine Impfpflicht an, trotzdem blieb ihre Impfquote durchschnittlich
  • Portugal zwang ihren Bürgern nichts dergleichen auf, dennoch erreichte das Land eine der höchsten Impfquoten
  • Und die Schweiz? Sie begab sich zwar auf einen Mittelweg: keine Impfpflicht, aber via Zertifikat wurde ziemlich viel Druck auf die Ungeimpften ausgeübt. Ohne Erfolg. Die Impfquote blieb bei rund 70 Prozent stehen. Kein Debakel, aber auch kein Rekord

Das gleiche ambivalente Bild, was die Empirie anbelangt, zeigt sich, wenn man die Zahl der Todesfälle betrachtet - eine Zahl, der ja eigentlich am meisten Bedeutung zukommt:
  • Österreich auferlegte seinen Bürgern vier harte Lockdowns, so viele wie kaum ein anderes Land in Europa
  • Die Schweiz dagegen begnügte sich mit einem einzigen Lockdown
  • Trotzdem weist Österreich mehr Todesfälle pro eine Million Einwohner auf als die Schweiz: 2244 versus 1600
image
Und wer sich noch einmal durch die Fakten verwirren lassen möchte:
  • In kaum einem Land waren die Menschen skeptischer als im Kosovo: bloss 47 Prozent liessen sich impfen
  • Dennoch hatte der Kosovo nur geringfügig mehr Todesfälle zu beklagen als etwa die Schweiz: 1676 versus 1600 (pro Million Einwohner)
  • Wogegen in Portugal, einem Champion des Impfens, deutlich mehr Menschen an Covid starben als im Kosovo

Wunder des Wissens. Damit man mich nicht missversteht: Ich bin überzeugt, dass die Impfung, insbesondere was die Delta-Variante betraf, einen Segen darstellte.
Vor allen Dingen – und das war vielleicht von noch mehr Belang – ermöglichte die Impfung es den verschreckten Politikern, aus ihrem eigenen mentalen Lockdown auszubrechen. Ohne Impfung wäre die Pandemiepolitik noch lange betrieben worden – ganz gleich, was die empirischen Daten ergaben.
Manchmal bekam man den Eindruck, dass Fakten ausgerechnet bei jenen keine Rolle spielten, die sich dauernd auf Fakten beriefen.
Oder um es mit Mark Twain, dem Erfinder von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, zu sagen:
«Man muss die Fakten kennen, bevor man sie verdrehen kann.»

Ich wünsche Ihnen ein wundervolles Wochenende Markus Somm

#WEITERE THEMEN

image
Facetten einer liberalen Wirtschaftsordnung (2/7)

Das überschätztes Problem der Lohndiskriminierung und die unterschätzen Probleme bei deren Analyse

28.5.2023

#MEHR VON DIESEM AUTOR