Printausgabe

Happy Birthday, Dr. Knock

image 28. Juni 2023 um 07:00
Clemens Ottawa
Clemens Ottawa
Hundert Jahre alt ist er geworden, und so jung wie nie: Docteur Knock, die Titelgestalt aus Jules Romains Komödie «Knock oder Der Triumph der Medizin». Nicht weniger als drei Filme wurden gedreht, der berühmteste 1951 mit Louis Jouvet in der Hauptrolle. Die satirische Botschaft lautet: Der Gesunde ist ein Kranker, der noch nicht darüber aufgeklärt ist, dass er krank ist. Heute, nach Corona, kann man sich fragen, ob die Wirklichkeit die Satire nicht längst überholt hat.

«Gesundheit ist Phase I der Krankheit»

In der Satire von Jules Romain übernimmt Docteur Knock eine Landarzt-Praxis, in die sich nur selten und in Notfällen ein Einwohner der gesunden Landbevölkerung verlor. Knock ändert dies sogleich mit einer wöchentlichen Gratis-Sprechstunde, wo er die Einwohner darüber aufklärt, von wie vielen gefährlichen Krankheiten sie tagtäglich bedroht werden. Deren Keime sie vielleicht unwissentlich bereits in ihrem Körper tragen. Und deshalb auch nicht wirklich gesund seien. Oder, wie es der Schweizer Gesundheitsökonom und Aphoristiker Gerhard Kocher zeitgemässer ausdrückt: «Gesundheit ist die Phase I der Krankheit» («Vorsicht, Medizin!»).
Als der Vorgänger Knocks nach einem Jahr ins Dorf zurückkehrt, trifft er auf eine kranke, verunsicherte Dorfbevölkerung. Das Dorfgasthaus ist zu einem Lazarett umfunktioniert. Doch auf seine Frage, ob er denn keine Skrupel habe, antwortet Dr. Knock, das tue er keineswegs, denn er ordne schliesslich alles «dem höchsten Interesse der Medizin» unter. Wem es da nach den Jahren der Pandemie nicht in den Ohren klingelt, dem ist nicht zu helfen. Wahrscheinlich müsste er mal zum Ohren-, Nasen- und Halsarzt …

Heute wäre Dr. Knock Gesundheitsminister

Denn heute wird nicht einem Dorf auf dem Land, sondern der ganzen Bevölkerung eingeredet, sie sei von tödlichen Gefahren für ihre Gesundheit umzingelt: Nicht nur vom Corona-Virus, zu dessen Abwehr man diese Bevölkerung von Amtes wegen eingeschränkt und eingesperrt hatte, sondern auch von den schlimmen Substanzen des Tabaks, des Alkohols, des Zuckers, des Salzes, der einseitigen Ernährung, der fehlenden Bewegung – unvergessen die vor einigen Jahren jeweils geradezu panische Aufforderung an ältere Menschen in allen Medien, sich im Sommer auf keinen Fall den tödlichen Strahlen der Sonne auszusetzen!
Und natürlich ist es nicht mehr der Landarzt, der seine Dorfbevölkerung ins Bockshorn jagt. Sondern es sind die Experten des Bundesamtes für Gesundheit, die Gesundheitsstatistiker mit ihren Modellrechnungen, die nationalen und kantonalen Epidemiologen und Fachleute, nicht zu vergessen die Psychologinnen und Soziologen, die vor den Folgeschäden für Junge, Alte, Schwangere und alle anderen «vulnerablen Personen» warnen (also eigentlich alle). Der Tod ist uns allen gewiss. Wenn nicht heute, so doch in Zukunft.
Darauf wären wir ohne Experten ja nie gekommen.
Aber was wären diese Experten ohne die Masse der Medien, welche die Szenarien, Statistiken, drohenden Gefahren und Präventionsmassnahmen unisono, pausenlos und in grösster Lautstärke verbreiteten! Täglich mehrmals, in unzähligen (angeblich) wissenschaftlichen Variationen des Schreckens, schwarzgemalt von TV-Weisskitteln: 50 shades of black.
2023 ist Dr. Knock deshalb wohl Gesundheitsminister und heisst – zum Beispiel – Lauterbach.
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