Somms Memo

Gerontokratie in Amerika. Warum sind seine Politiker so steinalt?

image 4. September 2023 um 10:00
Joe Biden beim Besteigen seines Flugzeugs. Oft ist es Glückssache.
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Die Fakten: 77 Prozent der Amerikaner finden, Joe Biden sei zu alt für eine Wiederwahl. Bei Donald Trump sehen sie das anders. Warum das wichtig ist: Amerika hat 332 Millionen Einwohner. Und nur uralte Präsidenten? Anmerkungen zu einer Gerontokratie. Der Anblick war schwer zu ertragen. Gefragt, ob er 2026 wieder antreten möchte, verschlug es Mitch McConnell, dem Republikanischen Minderheitsführer im amerikanischen Senat, die Sprache. Anlass war eine Pressekonferenz, die letzte Woche in Kentucky stattfand.
  • Eine Ewigkeit lang, so wirkte es, blieb er stumm – wie ein alter Mann, dem man zusehen konnte, wie er den Verstand zu verlieren schien
  • Eine Mitarbeiterin eilte ihm zu Hilfe: «Senator, haben Sie die Frage verstanden
  • McConnell blickte ins Leere, als wäre er bereits in eine andere Welt eingetreten

Der Politiker aus Kentucky ist 81 Jahre alt. Nachdem er etwa 30 Sekunden wie erstarrt war, setzte er die Pressekonferenz fort. Sind noch Fragen? Auch wenn ihm nachher ein Arzt öffentlich bescheinigte, er sei körperlich ganz in Ordnung, um sein Amt – immerhin eines der mächtigsten in Washington – weiterzuführen, ahnten alle: McConnell ist zu alt. Er sollte zurücktreten. Insbesondere die Mainstream-Medien, die allesamt auf der Seite der Demokraten stehen, entdeckten plötzlich die Tücken des hohen Alters.
  • McConnell ist unverantwortlich
  • McConnell ist senil
  • McConnell muss gehen
Ist es nicht ironisch? Es sind die gleichen Medien, die seit Monaten den viel grösseren (und fast gleich alten) Elefanten im Raum geflissentlich übersehen.
  • Wenn es um Joe Biden (80) geht, den Präsidenten, der von vorzeitiger Alterung eindeutig mehr betroffen ist, dann hört man kaum, dass er vielleicht zu alt sein könnte
  • Auch Dianne Feinsteins Gesundheit – eine Demokratische Senatorin aus Kalifornien, die seit Monaten allen Sitzungen fernbleibt – gibt kaum je Anlass zur Sorge in der New York Times oder auf CNNSie ist 90 Jahre alt
  • Noch ist John Fetterman, Demokratischer Senator aus Pennsylvania, ein Thema. Der Mann hat sich offensichtlich nicht von einem Herzanfall erholt, den er letztes Jahr erlitten hatte. Er kann kaum sprechen. Doch an seinem Amt hält er fest

Auch Heuchler müssen sterben. Wenn es einen Grund gibt, warum die amerikanischen Medien von der Hälfte der Bevölkerung für unglaubwürdig gehalten werden, dann liegt es in dieser fast grotesk einseitigen Berichterstattung. Selten verhielten sich die Journalisten unfairer.
  • Wenn McConnell einen Aussetzer hat, dann bricht geradezu Begeisterung in den Redaktionen aus, so macht es den Anschein. Den alten Republikaner wünscht man sich subito auf die Intensivstation
  • Wenn Biden dagegen nicht mehr weiss, wo er ist, oder Dinge sagt, die keinen Sinn ergeben, dann erscheinen Hymnen auf seine Wirtschaftspolitik zur besten Sendezeit

Ohne das speziell mitzuteilen, hat die Entourage von Biden schon vor den Sommerferien dafür gesorgt, dass er nur noch die kürzere Treppe benutzt, wenn er sein Flugzeug besteigt.
  • Statt 26 Stufen sind es bloss noch 14, die er überwinden muss, was möglich ist, wenn er die Air Force One in der Mitte boardet
  • Vorher war er einige Male gestolpert, als er die Treppe hinaufstieg. Ein ebenso trauriger Anblick

Erst jetzt, nach Monaten, haben das auch die Mainstream-Medien festgestellt, nachdem die konservativen Journalisten schon lange – wenn auch mit der ähnlich bösartigen Absicht – darüber berichtet hatten.

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xDoch offensichtlich lassen sich die Amerikaner nicht täuschen. Umfragen zeigen, dass selbst unter den Demokraten ein breiter Konsens vorherrscht, wonach Biden aus Gesundheitsgründen nicht mehr antreten sollte. Und obwohl sein mutmasslicher Herausforderer Donald Trump keineswegs viel jünger ist, 77, wird ihm das nachgesehen.
  • Weil er je nach Standpunkt putzmunter oder nach wie vor gefährlich wirkt?
  • Niemand steht jedenfalls unter dem Eindruck, dass dieser Mann je die Sprache verlieren könnte, selbst wenn sich das die Hälfte der Amerikaner wünschen mag

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Amerika ist ein grosses Land. Warum gibt es hier so viele uralte Politiker, als ob es an Nachwuchs mangelte? Selbst die Amerikaner zerbrechen sich darüber den Kopf. Ich weiss es nicht besser, aber einige Vermutungen habe ich:
  • In Washington kann man mittlerweile richtig viel Geld verdienen. Ist es Korruption, wie viele behaupten, oder ist es der Preis für «Professionalität», wie andere beschwichtigen? Tatsache ist: Wer etwa schon nur einen Termin mit einem Senator möchte, muss ihm einige Tausend Dollar überweisen – die dann als «Wahlkampfspende» verschleiert werden
  • Dabei ist das bloss die Spitze des Eisbergs, was man daran ermessen mag, dass so viele Politiker mausarm nach Washington kommen und als Millionäre in den Ruhestand wechseln. Oder eben nicht: Warum ein Amt aufgeben, wenn die Einnahmen so prächtig sprudeln?

Aus diesem Grund ist es auch sehr kostspielig geworden, je in ein solches Amt gewählt zu werden:
  • Wer sich 2022 um einen Senatssitz bewarb, musste durchschnittlich 19,4 Millionen $ für seine Kampagne aufwenden.
  • Während ein Sitz im Repräsentantenhaus noch etwas billiger zu haben war: 1,5 Millionen $
Kurz, solche Beträge heisst es nachher auch zu amortisieren. Hinzu kommt, dass damit ein Wahlkampf ein immer grösseres Risiko bedeutet, schliesslich sind die hohen Ausgaben keineswegs eine Garantie für eine Wahl, was wiederum alle bevorteilt, die schon lange im Amt sind.
  • Einen Bisherigen abzuwählen, kostet nicht bloss viel, viel Geld, sondern erfordert ebenso viel Geschick und Talent
  • Tritt umgekehrt jemand ab, dann ist es für seine Partei oft genauso schwierig, den Sitz wieder mit einem eigenen Kandidaten zu besetzen

Mit anderen Worten, es gibt aus Sicht eines altgedienten Politikers gar keinen guten Grund, sich je zurückzuziehen. Und die Partei hat daran ebenso wenig ein Interesse, zumal die Mehrheitsverhältnisse im Kongress so knapp geworden sind. Jeder Sitz zählt. Mitch McConnell wird deshalb nicht jünger. Aber auch Joe Biden nicht. Oder wie es die grosse Schauspielerin Bette Davis ausdrückte: «Ein hohes Alter ist nichts für Sissies.» Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Wochenstart Markus Somm

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