Somms Memo

Gehört der Ringier Verlag nun Alain Berset? Zur Kommunikationspolitik eines unkollegialen Bundesrats

image 16. Januar 2023 um 11:00
Bundesrat Alain Berset, Vorsteher des Departementes des Innern, und sein Kommunikationschef Peter Lauener (Quelle: Keystone)
Bundesrat Alain Berset, Vorsteher des Departementes des Innern, und sein Kommunikationschef Peter Lauener (Quelle: Keystone)
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Die Fakten: Bersets Kommunikationschef arbeitete eng mit Ringier zusammen. Er gab Vertrauliches weiter, er berichtete über Dinge, bevor der Bundesrat sie entschied.
Warum das wichtig ist: In diesem Ausmass hat wohl noch kein Bundesrat die Kollegialität untergraben wie Berset – oder seine Leute.

Peter Lauener, ein promovierter Germanist, einst stellvertretender Generalsekretär der SP und vorher Gewerkschafter, heisst der Mann, der gut zehn Jahre lang die Kommunikation von Bundesrat Alain Berset (SP) geprägt hat – bis er im Sommer vor einem Jahr eher unfreiwillig seine Stelle aufgab.
Heute kann man das besser nachvollziehen. Die Luft muss für Lauener sehr dünn geworden sein. Denn gegen Lauener läuft seit längerem ein Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung – und am Samstag veröffentlichten die Journalisten Francesco Benini und Patrik Müller in der Schweiz am Wochenende die Protokolle der Einvernahme durch den ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes sowie weiteres Beweismaterial, insbesondere SMS und E-Mails von Lauener.
Wer je daran gezweifelt hat, dass am Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung etwas dran ist, der zweifelt nicht mehr länger.
  • Lauener hat Vertrauliches aus dem Bundesrat und aus seinem Departement weitergegeben – als hätte er nie etwas von Vertraulichkeit und Kollegialität gehört
  • Dabei bediente er natürlich nicht Krethi und Plethi, sondern am liebsten den Ringier Verlag, in der Regel Marc Walder, den CEO, persönlich

Wenn man Peter Laueners E-Mails an Walder liest, dann fühlt sich das an, als ob der Ringier Verlag neuerdings Alain Berset gehörte. Lauener informierte – im Wissen, dass die Medien von Ringier, in erster Linie der Blick, dann genauso das Publikum unterrichteten, wie es Alain Berset sich wohl wünschte.
  • Lauener an Walder (10. November 2020): «Vertraulich einige Infos: Die Gelder für den Impfstoff sollten wir wohl erhalten». Und weiter: «Wir unterzeichnen nächstens einen Vertrag mit Pfizer, die den angeblich sehr wirksamen Impfstoff entwickelt haben. Das kommt zu zwei anderen bereits reservierten Impfstoffen, die vielversprechend sind.»
  • Einen Tag später (11. November 2020), einem Mittwoch, unmittelbar vor der Bundesratssitzung, schreibt der Blick: «Doch ‹Blick› weiss: Der Bund steht schon länger in Verhandlungen, ein Vorvertrag ist weit gediehen

Einige Stunden später durfte der Bundesrat dann beschliessen, was Ringier von Lauener bereits vorher erfahren hatte, als wäre es schon entschieden. Man erhöhte den Kredit für die Covid-Impfstoffe um 100 Millionen Franken. Mit anderen Worten, Berset war sich so sicher, dass die Regierung macht, was er will, dass der Blick das vorab melden durfte.
  • Und wenn der eine oder andere Bundesrat noch Bedenken gehabt hätte, dann wurde er vom Blick rechtzeitig eines Besseren belehrt. Oder unter Druck gesetzt
  • Welcher Bundesrat hätte sich jetzt noch getraut, den Vertrag mit Pfizer & Co. genauer anzusehen?

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Das macht deutlich, dass es in dieser Affäre Lauener um viel mehr geht als um einen plauderseligen Sprecher. Ob Berset von Laueners unorthodoxer Kommunikationspolitik gewusst hat oder nicht: Er liess zu, dass sein Sprecher wiederholt die Kollegialität verletzte. Spätestens nach dem zweiten Fall hätte er Lauener zur Ordnung rufen müssen. Das tat er nicht. Im Gegenteil, manche Indizien deuten darauf hin, dass Lauener tat, was Berset wusste, guthiess, wenn nicht gar anordnete.
  • An einem Montag setzt Lauener Walder ins Bild, dass am Freitag «wichtige Entscheide» des Bundesrates bevorstünden
  • «Wenn es Ihnen dient, kann ich gerne einen Austausch mit Bundesrat Berset gegen Ende Woche organisieren.»

Redet ein Sprecher so mit dem CEO von Ringier, wenn er davon geht, dass Berset ganz ahnungslos das Telefon abnimmt, wenn dieser CEO anruft?
  • Lauener an Walder bei anderer Gelegenheit (2. März 2021): «Sehr unter uns: Wir bringen am Freitag ein umfangreiches Testpaket in den Bundesrat, das hoffentlich als Gamechanger hilft. Details kann ich Ihnen zirka am Mittwochabend geben. Es wird geklotzt, nicht gekleckert

Das klingt, als ob Lauener im Bundesrat sitzt – oder Berset als Kommunikationschef amtet.
Als Bundesrat Ueli Maurer (SVP) seinerzeit ein Hemd der Corona-kritischen Freiheitstrychler überzog, was zu Recht als ein kleiner Akt des Widerstands betrachtet wurde und damit die Kollegialität bestimmt ritzte, hagelte es in allen Medien Kritik:
  • «Ueli der Zündler», schrieb der Tages-Anzeiger
  • «Bundesrat giftelt im Trychler-Shirt gegen seine Kollegen», titelte der Blick: «Maurer spaltet aktiv das Land»
  • Er habe damit seine Bundesratskollegen «frontal angegriffen»

Dass Alain Berset gleichzeitig die Kollegialität in die Luft sprengte, indem er dauernd mit Indiskretionen Entscheide des Kollegiums vorspurte und seine Politik von einem der grössten Verlage des Landes bejubeln liess (wie nur der Blickbestens wusste): Das verunsicherte die Journalisten des gleichen Blicks oder anderer Medien offensichtlich nicht.
  • Man schimpfte mutig über Maurer, der einen etwas eigenartigen, politisch motivierten Modegeschmack verraten hatte
  • Man gurgelte wie ein Baby voller Vorfreude, wenn Papa Berset weitere Massnahmen vorab im Blick bekannt geben liess

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Wie geht es weiter? Eine parlamentarische Untersuchung drängt sich ohne Zweifel auf. Zwei Argumente:
  • Wenn ein Bundesrat so systematisch ein Medium mit Indiskretionen und Vorabmeldungen gefügig macht, um sich damit eine wohlwollende Berichterstattung zu erkaufen, dann grenzt das an Korruption
  • Zweitens liegt vermutlich ein bewusster, wiederholter Bruch der Kollegialität vor. Es kann nicht sein, dass ein Bundesrat ein Medium nutzt, um die Regierung vor vollendete Tatsachen zu stellen und sich so durchzusetzen

Als Alain Berset 2021 seinen 49-jährigen Geburtstag feierte, schickte ihm auch Peter Lauener seine besten Wünsche:
  • «Cher Alain. Unglaublich, was du seit deinem letzten Geburtstag alles geleistet, gelernt, ausgehalten, erreicht hast. Und dabei hast du Professionalität, Konzentration, Humor und Empathie gewahrt.»
  • Und Lauener beendete sein E-Mail mit den Worten: «Von Herzen alles Gute und eine grosse Zigarre mit lieben Freunden und leckerem Wein.»

Derweilen warnt das Bundesamt für Gesundheit (zuständig: Alain Berset) auf jeder Zigarrenschachtel:
«Rauchen ist tödlich».
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Wochenbeginn
Markus Somm

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