SOMMS MEMO
Gasnotstand in Deutschland. Warum hat das Land je Putin vertraut?
Beste Freunde: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin.
Die Fakten: Deutschland bereitet sich auf den Gasnotstand vor. Die Zufuhr aus Russland stockt. Am 11. Juli stehen tagelange Wartungsarbeiten an den Pipelines bevor.
Warum das wichtig ist: Sollte Putin den Gashahn zudrehen, stürzt Deutschland wohl in eine Rezession. Es rächen sich fünfzig Jahre falsche Politik.
Vor kurzem hat der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) die «Alarmstufe» ausgerufen, was die Gasversorgung seines Landes betrifft.
- Das ist die zweite Stufe des sogenannten «Notfallplanes Gas». Die erste, die Frühwarnstufe, war schon Ende März eingeleitet worden
- Alarmstufe bedeutet, dass der Staat die Versorger anweist, Notfallmassnahmen zu ergreifen: wie etwa die Gasspeicher zu füllen oder anzuzapfen, neue Lieferanten zu erschliessen oder Gas, das für andere Standorte bestimmt wäre, umzuleiten oder zurückzuhalten
- Die dritte Stufe heisst Notfallstufe. Jetzt greift der deutsche Staat ein. Gas wird «priorisiert» und «rationiert». Der Bundesnetzagentur in Bonn steht es jetzt zu, bis ins Detail festzulegen, wer Gas bekommt und wer nicht
Und wer hat dann Priorität? Die Industrie, die ohne Gas zusammenbricht, oder die Menschen in ihren Häusern, die ohne Gas im Kalten sitzen und sich keine warme Suppe mehr kochen können?
Mit anderen Worten: Was wäre Ihnen lieber? Die Pest oder die Cholera? Bitte ankreuzen.
Selten hat ein Staat seine Wirtschaft und seine Bürger in eine solch verzweifelte Lage gebracht. Ob mutwillig und sehenden Auges – oder aus ideologischer Verblendung oder geopolitischem Wunschdenken, ist heute schwer zu entscheiden.
- Schon in den 1970er Jahren hatten die deutschen Politiker den Pakt mit dem Teufel geschlossen: Russisches Erdgas gegen Entspannung. In der Hoffnung, die Sowjets mit guten Geschäften für die Ostpolitik günstig zu stimmen, sorgte der damalige Kanzler Willy Brandt (SPD) dafür, dass deutsche Industriefirmen und Banken die nötigen Pipelines bauten und finanzierten
- Seither stieg der Gasimport aus Russland Jahr für Jahr. 1973 lag der Anteil des russischen Gases an der gesamten Gaseinfuhr Deutschlands noch unter 5 Prozent, bis ins Jahr 2020 schwoll er auf 55 Prozent an
- 2005 unterzeichnete die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) eine Absichtserklärung zum Bau einer direkten Pipeline aus Russland nach Deutschland, die Nord Stream 1. 2011 wurde sie in Betrieb genommen
- 2015 vereinbarte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Russen den Bau einer zweiten Pipeline, die Nord Stream 2. Ein Jahr zuvor hatte Putin die Krim völkerrechtswidrig annektiert
- Zur gleichen Zeit verkaufte die Firma BASF rund einen Viertel der deutschen Gasspeicher an die Gazprom, einem Unternehmen, das dem russischen Staat gehört. Inbegriffen war der grösste deutsche Speicher in Niedersachsen, dem bei der Krisenvorsorge eine hervorragende Bedeutung zukommt. Das deutsche Wirtschaftsministerium (damals von der SPD geführt) hatte daran nichts auszusetzen, da der Kauf durch die Gazprom über eine deutsche Tochterfirma abgewickelt worden sei
Noch Fragen? Besinnungsloser kann man sich einem anderen Land nicht ausliefern.
Wenn es sich dann noch um ein Land wie Russland handelt, das seine Nachbarschaft regelmässig mit Kriegen überzieht und die interne Opposition wahlweise vergiftet oder nach Sibirien verschickt, dann muss man vollends am Verstand der deutschen Politiker zweifeln.
Seit der russische Präsident Wladimir Putin im Februar die Ukraine überfallen hat, lebt Deutschland deshalb zwischen Himmel und Hölle.
- Am liebsten würde man kein russisches Gas mehr kaufen
- Am schlimmsten wäre es, wenn man kein russisches Gas mehr bekäme
Inzwischen ist in Berlin Panik ausgebrochen. Unter dem Vorwand, die Pipelines warten zu müssen, hat Putin seit Mitte Juni die Lieferungen nach Deutschland zurückgefahren, am 11. Juli, so heisst es, will er den Gashahn ganz abdrehen, um die übliche Generalüberholung durchzuführen. Zehn Tage soll das dauern – oder zwei Monate? Vielleicht auf immer?
Es ist eingetroffen, worauf man in Berlin nicht vorbereitet war. Stattdessen muss man nun den Gasnotstand vorbereiten.
Dabei hatte es an Warnungen nicht gefehlt.
Die USA haben seit jeher die deutsch-russische Freundschaft im Zeichen des Gases mit Argwohn verfolgt:
- Als die deutsche Regierung unter Helmut Schmidt (SPD) 1980 die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau ausbauen wollte, drohte der damalige US-Präsident Ronald Reagan mit einem Embargo, was nur nach zähen Verhandlungen abgewendet werden konnte
- Auch einer seiner Nachfolger, Donald Trump, hatte vergeblich versucht, die Deutschen von ihrer Vorliebe für russisches Gas abzubringen. Er bot ihnen stattdessen amerikanisches Flüssiggas an. Darüber hinaus offerierte er gar den Bau der speziellen Terminals, die es braucht, um Flüssiggas anzuliefern
Doch wer war Trump in den Augen der deutschen Elite? Ein Dummkopf, der zu dumm war, das selbst zu merken. Ein Brandstifter, der sich als Feuerwehrmann ausgab.
Nun brennt die Welt tatsächlich lichterloh.
Gewiss, aus Sicht der Deutschen war es verständlich, dass man sich geopolitisch freizuspielen suchte, indem man sich ein wenig den Amerikanern entzog und stattdessen den Russen Avancen machte. Es war nachvollziehbar, es war treulos:
Wenn ein Land den USA viel verdankte, dann die Bundesrepublik Deutschland. Wenn eine Nation aber auch unter der Grosszügigkeit der Amerikaner litt, dann ebenso die Deutschen. Alles begann mit dem Krieg:
- Zuerst fügten die Amerikaner den Deutschen im Zweiten Weltkrieg die brutalste und verheerendste Niederlage der Weltgeschichte zu
- Dann halfen sie dem Land beim Wiederaufbau, so selbstlos und klug, wie ein Sieger wohl noch nie einen Besiegten behandelt hatte
Es ist eine alte Regel. Wer schenkt, macht sich glücklich. Wer beschenkt wird, fühlt sich manchmal unglücklicher.
So ist der Mensch. So erging es auch den Deutschen. Das ist die Quelle des anti-amerikanischen Ressentiments, das in Deutschland ab und zu aufkommt, wie eine Leidenschaft, die nie vergeht, was uns neutralen Schweizern nur deshalb so unverständlich vorkommt, weil wir gegen die Amerikaner keinen Krieg verloren haben.
Oder wie es Carrie Fisher ausgedrückt hat, die amerikanische Schauspielerin, die Prinzessin Leia in Star Wars gespielt hat:
«Ein Ressentiment ist wie ein Gift, das man trinkt, und dann wartet, dass der andere daran stirbt.»
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag
Markus Somm