Steuerhölle Solothurn: Freisinniger Staatsfilz
Gegen tiefere Steuern: Die Solothurner FDP mit Regierungsrat und Finanzvorsteher Peter Hodel (rechts).
Der Kanton Solothurn ist eine Steuerhölle. Insbesondere der Mittelstand, also die grosse Mehrheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, wird im Vergleich zur übrigen Schweiz massiv geschröpft. Dies will die Volksinitiative «Jetzt si mir draa. Für eine Senkung der Steuern für mittlere und kleine Einkommen» ändern. Dabei ist das erfolgreich zustande gekommene Volksbegehren keineswegs radikal.
Es orientiert sich nicht etwa an Tiefsteuerkantonen wie Zug, Schwyz oder Obwalden, sondern ausdrücklich am schweizerischen Durchschnitt. Solothurn soll von den hintersten Plätzen wegkommen und sich im Mittelfeld einreihen, so das Ziel des überparteilichen Initiativkomitees, dem neben bürgerlichen Politikern auch ein ehemaliger Gewerkschaftssekretär angehört.
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So weit, so nachvollziehbar. Das Erstaunliche ist nun aber die Position der Solothurner FDP und der kantonalen Wirtschaftsverbände. Von ihnen würde man erwarten, dass sie sich aus Überzeugung für das Anliegen der Initiative stark machen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sowohl die FDP-Fraktion im Kantonsrat als auch der Vorstand der Solothurner Handelskammer lehnen die Initiative ab. Der Kantonal-Solothurnische Gewerbeverband (kgv) hat zwar noch keine Parole gefasst, doch es würde an ein Wunder grenzen, wenn er noch ausscheren würde. Wie ist das möglich? Wie kann es sein, dass ausgerechnet sie die moderate Steuersenkung ablehnen?
Liberaler Etatismus
Für Nicht-Solothurner ist das schwer zu verstehen. Insider erklären es mit dem bösen Wort «Staatsfilz». Gemeint ist damit vor allem die Tatsache, dass die FDP als prägende politische Kraft im Kanton seit langem stark etatistisch ausgerichtet ist. Gleichzeitig dominieren FDP-Vertreter und ehemalige Staatsbeamte die Wirtschaftsverbände.
Das zeigt sich zum Beispiel in der Person von Daniel Probst. Er sitzt für die FDP im Kantonsrat und ist Direktor der Handelskammer. Zugleich ist er Verwaltungsrat der Städtischen Betrieb Olten (SBO). Als solcher geriet er mit seinen Kollegen vor drei Jahren wegen «doppelten Entschädigungen» in die Schlagzeilen, wie die «Solothurner Zeitung» meldete. Der Trick: Die SBO lagerte den ganzen Betriebe an die Tochtergesellschaft a-en aus. So wurden die SBO-Verwaltungsräten auch zu Verwaltungsräten der a-en - wodurch sich ihr Honorar quasi verdoppelte.
FDP warnt vor Steuerausfällen
Die Volksinitiative würde «nicht verkraftbare Steuerausfälle beim Kanton, bei den Gemeinden und bei Kirchgemeinden verursachen», sagte Probst in der Kantonsratsdebatte. Darum lehne die FDP-Fraktion die Initiative «grossmehrheitlich» ab. Auf «Tele M1» doppelte Probst nach und warnte vor «sehr grossen Steuerausfällen», sollte die Initiative angenommen werden. Dann würde es zu einem «Abbau» bei Bildung und Infrastruktur kommen.
Gegenüber dem «Nebelspalter» kritisiert Probst weiter, dass die Initiative «den Tarif an eine vom Kanton Solothurn nicht beeinflussbare Grösse, nämlich an den Durchschnitt aller Schweizer Kantone», binde. «Wir wollen die Finanz- und Steuerpolitik in den eigenen Händen behalten und sie nicht fremden Steuervögten in anderen Kantonen überlassen.» Schliesslich würde eine Annahme der Initiative «zu höheren Steuern bei den juristischen Personen führen», da die Gemeinden die Steuerausfälle bei den natürlichen Personen kompensieren wollten.
Probst ist in der FDP mit seiner Meinung nicht allein. So gehört der Solothurner Finanzdirektor Peter Hodel der FDP an. Ebenso wie der Sprecher der Finanzkommission, Christian Thalmann. Dieser brachte sein Credo in der Parlamentsdebatte so zum Ausdruck: «Für die Finanzkommission sind die erwarteten Steuerausfälle bei der Volksinitiative zu hoch.» Die Kommission sei nicht nur für das Steuergesetz verantwortlich, sondern auch dafür, «dass der Staatshaushalt im Lot bleibt».
Von der Finanzverwaltung zum Gewerbeverband
Illustrativ für den Kanton Solothurn und das Phänomen, um das es hier geht, ist auch die Karriere der Gewerbeverbandspräsidentin Pia Stebler: Sie war Finanzverwalterin des Kantons und hatte weitere «Schlüsselpositionen in der öffentlichen Verwaltung» inne, wie sie auf ihrer Website schreibt. Auch mit ihrer Consulting-Firma berät sie vor allem staatliche Behörden und Politiker. Auf Anfrage des «Nebelspalters» wollte sie sich vor der offiziellen Parolenfassung ihres Verbands nicht positionieren.
Mehrbelastung für Pendler und Hauseigentümer
Fazit: Die Spitzen der Solothurner Wirtschaftsverbände sind also eher Staatswirtschaftler und (Ex-)Beamte als Unternehmer. Diese angeborene Nähe zum Staat erklärt – neben den personellen Verflechtungen – sicher zu einem erheblichen Teil ihre Opposition gegen die liberale Steuersenkungsinitiative.
Wirtschaftsverbände und FDP unterstützen stattdessen den Gegenvorschlag der Regierung. Dieser gilt als «Kind» von FDP-Finanzdirektor Hodel. Die Initianten allerdings können damit nichts anfangen. «Der Gegenvorschlag entlastet nur wenige statt alle», sagt SVP-Kantonsrat und Mitinitiant Rémy Wyssmann. Bei Pendlern und Hausbesitzern führe er sogar zu höheren Steuern.
Tatsächlich würde gemäss Gegenvorschlag der bisher unlimitierte Pendlerabzug auf 7000 Franken beschränkt. Gleichzeitig will die Regierung die sogenannten Katasterwerte revidieren, was zu einer deutlichen steuerlichen Mehrbelastung der Hauseigentümer führt.
Wenn das Mittelmass zu viel ist
Für Wyssmann und seine Mitstreiter ist deshalb klar: Würde der Gegenvorschlag anstelle der Initiative angenommen, würde der Mittelstand in Zukunft noch stärker belastet als heute schon. Das wäre das genaue Gegenteil dessen, was die Initianten fordern. Für die Vertreter des Solothurner «Staatsfilzes» hingegen ist offenbar schon das Mittelmass zu viel. Damit die Kirche im Dorf bleibt, bleiben sie lieber in der Steuerhölle sitzen.