Somms Memo
Freisinn und Klimaschutzgesetz: Volle Fahrt voraus in den Eisberg. Oder neueste Nachrichten von der Titanic.
Titanic, kurz vor dem Untergang. (Schlussszene aus dem Film Titanic von James Cameron, 1997).
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Die Fakten: Laut Umfragen sind die FDP-Wähler gespalten, wenn es um das Klimaschutzgesetz geht. Am Samstag entscheiden die Delegierten.
Warum das wichtig ist: Subventionen, Subventionen, Subventionen. Eigentlich ein No-Brainer für den Freisinn: Das lehnt man ab. Oder etwa nicht?
Beim CO2-Gesetz, über das wir im Juni 2021 abgestimmt hatten, war Petra Gössi, die damalige FDP-Präsidentin, untergegangen wie die Titanic – in einem Eismeer von freisinnigem Zorn.
Sie hatte ihre Partei auf ein Ja eingestellt und dabei vergessen, dass sie auch noch lästige Wähler hatte, die es eventuell anders sehen. Anders in der Tat:
- 63 Prozent der Freisinnigen verwarfen das CO2-Gesetz, das im Wesentlichen aus Verboten und Subventionen bestand – und der Hoffnung, dass sich damit das Klima retten liesse
- Nur 27 Prozent hatten Ja gestimmt, wie ihnen das von Gössi nahegelegt worden war. Das zeigten die wissenschaftlichen Nachbefragungen
Wer passte da nicht zu wem? Die Partei zur Präsidentin oder die Präsidentin zur Partei?
Angesichts dieser eklatanten Fehleinschätzung der eigenen Wähler trat Gössi zurück – eine eigentlich konservative, bodenständige, sympathische Politikerin, die aber leider auf die falschen Leute gehört hatte. Die meisten von ihnen lebten in rot-grünen Städten. Sie hielten sich für liberal – dabei waren sie einfach grünliberal. Gedanklich waren sie bereits in eine andere Partei eingetreten.
Nun steht Thierry Burkart, der heutige Präsident der FDP, vor einer ähnlichen Ausgangslage. Wieder im Juni, aber bloss zwei Jahre später, sollen wir an der Urne über das «Klimaschutzgesetz» befinden, das
- Im Wesentlichen aus Verboten und Subventionen besteht – und der Hoffnung, dass sich damit das Klima retten liesse
- Demokratiepolitisch betrachtet ein Gewürge und eine Zwängerei, zumal das Parlament dem Souverän fast das Gleiche von neuem vorlegt, was er bereits einmal verschmäht hatte. Auf politische Anstandsfristen wird in Bern offenbar nicht mehr viel gegeben
Darum geht es mir hier aber nicht. Mehr Sorgen macht mir Thierry Burkart. Am Samstag sollen die Delegierten der FDP an ihrer Versammlung in Kreuzlingen die Parole zum Klimaschutzgesetz fassen – und es sieht ganz danach aus, als ob sie die falsche Parole fassten. Nämlich ein Ja. Warum falsch?
Laut der jüngsten Umfrage von Tamedia und 20 Minuten, einer Pendlerzeitung, zeigen sich die freisinnigen Wähler heute nicht spürbar begeisterter vom Klimaschutz durch Subventionen als vor zwei Jahren:
- Bloss 27 Prozent sind sicher für ein Ja, 22 Prozent immerhin eher
- 30 Prozent sprechen sich aber klar für ein Nein aus, 15 tendieren dazu
Mit anderen Worten, rund sechs Wochen vor der Abstimmung bricht der Freisinn fast genau in der Mitte auseinander – wie einst die Titanic kurz vor dem Sinken, um im schiefen Bild zu bleiben:
- 49 Prozent sind dafür
- 45 Prozent sind dagegen
Das nennt man einen Aufenthalt im perfekten Sturm. Wenn wir ausserdem davon ausgehen, dass sechs Wochen eine lange Zeit sind, in der sich die Meinungen oft erst verfestigen, dann wird die Lage vollends unberechenbar. Aus Sicht von Thierry Burkart, der sich gut überlegen muss, was er seinen Delegierten empfehlen will. Er hat die Wahl zwischen Sodom und Gomorrha. Oder um ihn zu trösten: Zwischen Pest und Cholera.
Vielleicht hat Burkart sich selbst und den Freisinn bereits aufgegeben. Dem Vernehmen nach soll in Kreuzlingen keine offene Pro– und Contra-Debatte stattfinden, sondern die linksfreisinnige Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher darf die Vorlage den Delegierten «erklären» – ausgerechnet sie, eine Verliererin, die vor wenigen Wochen in den Ständeratswahlen in St. Gallen wie ein schwerer Stein untergegangen ist, weil sie selbst einen Teil der eigenen Leute nicht von sich zu überzeugen vermochte.
Warum lernt der Freisinn nie dazu?
Irgendetwas stimmt doch nicht, dass es dem Freisinn immer wieder gelingt, bei jenen Themen, die die Menschen am meisten erregen, sich selber zu versenken, weil man keine einheitliche Meinung zustande bringt. Alle Mann auf Deck, aber die einen haben das falsche Schiff bestiegen und schauen zu, wie die anderen um ihr Leben schwimmen.
- Dabei pflegt man mit geradezu selbstzerstörerischer Leidenschaft die Spaltung zwischen Elite und Basis
- Fast immer politisiert die Elite linker als die Basis
- Auch das stellt den Untergang sicher
Jahrzehntelang betrieb man dieses Schiffli-Versenken in eigener Sache beim Thema Europa. Jetzt, da wir Freisinnigen (ja, ich zähle mich nach wie vor dazu) endlich hoffen durften, dass der Spuk ein Ende nehmen würde, nachdem das Rahmenabkommen mit der EU erledigt schien, haben einige gedankenlose Linksfreisinnige das Klima als neue Axt entdeckt, mit dem man den Schiffsboden bearbeiten kann.
- Wenn einem am Klima so viel liegt (wie mir genauso), warum dann als FDP nicht auf das einzige taugliche Mittel setzen, um den CO2-Ausstoss zu verringern – auf die Atomkraft?
- Wenn man den Klimawandel ernst nimmt (was auch ich tue), dann müssen Freisinnige über Innovationen reden – und nicht für Subventionen stimmen. Das ist ein No-Go. Das ist linke Politik, die sich liberal schminkt, um die Liberalen als nützliche Idioten zu verführen
Kurz, die FDP hätte alles daran setzen müssen, dass wir nach zwei Jahren nicht abermals über ein wirkungsloses, etatistisches Klimaschutzgesetz entscheiden, das mit Klima nichts zu tun hat, dafür alles mit dem Schutz von Partikularinteressen, nicht zuletzt dem Staat.
Wenn die Delegierten am Samstag über ihre Parole abstimmen, hilft es vielleicht, sich daran zu erinnern, wie falsch man lag, als es ums CO2-Gesetz ging:
- Wie gesagt: 63 Prozent der FDP-Wähler lehnten es an der Urne ab, bloss 27 Prozent stimmten zu
- Zuvor hatte die Delegiertenversammlung genau das Gegenteil beschlossen: 218 Delegierten unterstützten die Ja-Parole, 60 wandten sich dagegen
- Oder in Prozenten: 62,5 Prozent sagten Ja, 27,5 Nein. Siehe oben.
Wie geht es weiter? Womöglich hat der Freisinn den Point of no Return bereits überschritten. Statt sich dem Wähler anzupassen, der nichts von der Sache versteht, sollte man sich vielleicht besser an Bertolt Brecht halten, den grossen deutschen Autor, der seiner kommunistischen Regierung in der DDR nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom Juni 1953 riet:
«Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?»
Ich wünsche Ihnen einen freisinnigen Tag
Markus Somm