Fichenskandal am Bundesverwaltungsgericht

image 15. Juni 2021 um 11:05
Am Bundesverwaltungsgericht wurden heimlich Akten über einen Richter gesammelt - unter Mitwissen der Gerichtspräsidentin Ryter. (Bild: Bundesverwaltungsgericht)
Am Bundesverwaltungsgericht wurden heimlich Akten über einen Richter gesammelt - unter Mitwissen der Gerichtspräsidentin Ryter. (Bild: Bundesverwaltungsgericht)
Während fast sechs Jahren haben zwei grüne Richterinnen und eine von der SP an der Spitze einer Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes eine Fiche über ihren SVP-Kollegen David Wenger geführt. Dies berichtet die Sonntagszeitung. Die Richterinnen haben darin zum Beispiel Arbeitszeiten, Abwesenheitsmeldungen Computerbenutzungszeiten, Mailverkehr und kritische Stellungnahmen zu Vorschlägen der Gerichtsleitung abgelegt. Doch wozu das alles?

Die Intrige

Letzten Sommer landete dieses Dossier bei der Gerichtspräsidentin Marianne Ryter. Sie wollten mit den Akten beweisen, dass Wenger sich nicht um die Weiterbildung seiner Mitarbeiter kümmert, sich selber nicht weiterbildet und vor allem, dass er in einem Fall eine Richterin habe auswechseln lassen. Das Ziel: Wenger vom Richterposten entfernen, weil er unbequeme Fragen zum Gerichtsbetrieb stellt und in Asylfragen in den Augen der Richterinnen zu hart urteilt.
Wenger bestreitet, eine Richterin ausgewechselt zu haben: Er habe bloss einen Fehler der Kanzlei bei der Zusammenstellung des Richtergremiums korrigiert. Der Fall liegt nun zur Beurteilung bei der Geschäftsprüfungskommission des Parlamentes. Sie kann der Vereinigten Bundesversammlung die Amtsenthebung von Wenger vorschlagen. Das wäre ein Vorgang, den es noch nie gegeben hat.

Die vorgesehene Wahl

Bereits morgen tritt jedoch die Vereinigte Bundesversammlung für ein anderes Geschäft zusammen. Es geht um die Wahl von zwei Bundesrichtern. Für einen Posten kandidiert ausgerechnet Marianne Ryter, Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichtes in St. Gallen.
Ryter wusste mindestens seit Juli 2020 von der jahrelang angelegten Fiche gegen Richter Wenger. Sie unternahm jedoch nichts dagegen, klärte offenbar nicht einmal ab, was es mit der Fiche auf sich hat. Dies, obwohl die Daten- und Aktensammlung über Richter Wenger weit über das in einem Betrieb Übliche hinaus geht und sehr wahrscheinlich nicht nur gegen das Datenschutzgesetz verstösst.
Brisant ist dabei: Marianne Ryter sollte sich im Datenschutzrecht auskennen, weil sie seit über zehn Jahren entsprechende Fälle beurteilt hat. Trotzdem hat sie die für die Fiche verantwortlichen Richterinnen nicht darauf angesprochen. Damit hat sie möglicherweise die Fürsorgepflicht gegenüber Wenger und ihre Pflichten als Gerichtspräsidentin verletzt.

Mitarbeit an der Fiche?

Möglicherweise wusste Ryter aber schon sehr viel länger von der Fiche. Ein Dokument in der Sammlung ist ein Mailwechsel zwischen ihr und Wenger aus dem Jahre 2017. Dieser muss von ihr in der Fiche gelandet sein, weil er an niemanden sonst ging. Marianne Ryter sagt zu ihrer Rolle im Fichenskandal nichts. Sie bestätigt schriftlich, dass die Vorwürfe im Raum stehen, sie habe der Aktensammlung seit Juli 2020 zugeschaut, der Datensammlung fehle die rechtliche Grundlage und sie habe selber ein Dokument zur Fiche beigesteuert. Aus personalrechtlichen Gründen könne sich das Gericht aber nicht weiter dazu äussern.
Wengers Anwalt, Max Imfeld, sagte der Sonntagszeitung, die Fiche über Wenger zeige eine gerichtsinterne Intrige mit dem Ziel, den unbequemen Richter Wenger loszuwerden. Das sei eine besonders perfide, weil versteckte Art des Mobbings. Wegen des Mailverkehrs zwischen Wenger und Ryter in der Fiche hat Imfeld am Montag verlangt, dass Ryter bei allen laufenden Verfahren in den Ausstand tritt.

Geschönter Lebenslauf?

Marianne Ryter will nicht zum ersten Mal weg vom Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Letztes Jahr kandidierte sie erfolglos als Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. In ihrem Lebenslauf bezeichnete sie sich gegenüber der Wahlbehörde Europarat, dem diverse National- und Ständeräte angehören, gemäss mehreren Quellen als Verfasserin dreier Urteile mit Bezug zur Rechtsprechung des EGMR. In Bern heisst es, dass Ryter aber gar nicht Autorin dieser Urteile gewesen sei und damit ihren Lebenslauf geschönt habe. Ryter war gestern nicht bereit, die erwähnten Urteile dem Nebelspalter zuzusenden. Sie betont, sie habe sich nicht als Autorin ausgewiesen. «Zur Veranschaulichung des Tätigkeitsbereiches der Abteilung I wurden unter anderem exemplarisch aktuelle Entscheide angegeben, die auch am EGMR Thema waren.»

SVP verlangt Verschiebung

Die SVP verlangt nun von der Bundesversammlung, die Wahl von Ryter zu verschieben, bis ihre Rolle in der Intrige gegen Wenger geklärt ist. Gemäss der NZZ wird Ryter von allen Fraktionen ausser der SVP unterstützt. Es gab in der Gerichtskommission jedoch mehrere Enthaltungen aus verschiedenen Fraktionen.

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