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Femme fatale: Was können Sie mir noch sagen

image 20. Juni 2023 um 07:00
Petra Kaster
Petra Kaster
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Wenn Sie sich vom obigen Titel provoziert fühlen, haben Sie wohl keinen guten Tag erwischt und ihn zudem missverstanden. Die Frage sollte keinesfalls eine Überzeugung implizieren, nichts mehr dazulernen zu können. Sie ist vielmehr generell an die Gesellschaft gerichtet. Und vielleicht ist «können» auch das falsche Modalverb. Vielleicht wäre «wollen» das passendere.
Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen: Es geht um Kommunikation und ihren Wandel. «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold», lautete ein bekannter Slogan von Kavalieren aus der Vergangenheit, die – wohlerzogen und jovial – nichts sagten, obwohl sie es vermeintlich besser wussten.
Allerdings haben sich die Zeiten geändert. War der persönliche Dialog früher der einzige Weg, sich direkt auszutauschen, gibt es heute zig Arten zur unmittelbaren Kommunikation. Hier ein Tweet, da eine Whatsapp, dort eine DM (für Menschen über 40: DM steht für Direct Message) auf Insta – es mag nicht erstaunen, dass uns dieser Zustand die Lust am fröhlichen Parlieren geraubt hat.

Die Stille boomt

In der Tat boomen Dienstleistungen, bei denen bewusst auf direkte Kommunikation verzichtet wird. Die automatischen Self-Checkout-Kassen in den Supermärkten ersparen einem etwa das Antworten auf die zuweilen nervtötende Frage, ob man für den Einkauf eine Quittung erhalten möchte.
So kann man die Ohrstöpsel mit der Lieblings-Playlist auf dem Weg nach draussen gleich drin lassen – ohne Gefahr zu laufen, dass einen das Pflichtgefühl doch noch zu einem Small Talk verleitet.

Ruhe beim Friseurbesuch

In Coiffeursalons werden neuerdings «Silent Cuts» angeboten, also Haarschnitte, bei denen im Vorherein definiert wird, dass sich die Kundschaft nicht mit dem Friseur oder der Friseurin unterhalten möchte. Entstanden ist diese Business-Idee in Grossbritannien, wobei der Stein des Anstosses erstaunt: Eine Salon-Besitzerin erklärte sie damit, dass ein immer grösserer Teil der Kundschaft mit psychischen Problemen zu kämpfen habe.
Das Beispiel unterstreicht eindrücklich, in welche Richtung sich die Kommunikation entwickelt hat: War der Coiffeur früher ein Garant für das Abhören jeglicher Sorgen, so kriegt man heute eine Garantie dafür, ihm nichts mehr erzählen zu müssen.

Die Sprache verroht

Sind also alle Gespräche geführt und Diskussionen geklärt? Alle Meinungen gegeigt? Mitnichten! Noch immer wird kommuniziert, nur versteckt sich ein grosser Teil der Bevölkerung dafür im Internet hinter Avataren, was den Vorteil der Anonymität mit sich bringt und auch denjenigen, dass man sich bei der Ausdrucksweise nicht mehr zurückhalten muss.
Es kann kein Zufall sein, dass gleichzeitig auf Orthografie sowie Stilistik nicht mehr sonderlich wert gelegt wird und die Sprache verroht. So scheint es, als hätten wir uns – im persönlichen Dialog – nichts mehr zu sagen. Und darüber müssen wir reden!

Ab ins Plaudertraining

Man kann dagegenhalten, dass die politisch aufgeheizten Zeiten mit Debatten über Gender-Tage an Schulen oder dem kompletten Woke-Wahnsinn nicht eben begünstigende Begleitumstände sind, um frei von der Leber weg zu plaudern.
Dennoch hat uns im zwischenmenschlichen Bereich eine ohrenbetäubende Stille befallen, der Einhalt geboten werden muss. Ein erster Ansatz kommt aus Basel, wo das Pilotprojekt «Plauderkasse» die zahlende Kundschaft animiert, sich mit der Kassiererin oder dem Kassierer zu unterhalten.
Auch im Alltag kann die direkte Kommunikation trainiert werden. Lassen Sie bei der nächsten Zugfahrt Ohrstöpsel und Handy in der Tasche. Meiden Sie Self-Checkout-Kassen. Fragen Sie Ihren Friseur, wie sein Tag war. Es wird den Ihren aufwerten. Das kann ich Ihnen sagen!
Femme fatale
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