Bundeshaus-Briefing #14

EU-Politik, Kriegsmaterial, Eigenmietwert

image 17. Juni 2023 um 03:30
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer diagnostizierte «kalte Füsse» bei der SVP. (Bild: Keystone)
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer diagnostizierte «kalte Füsse» bei der SVP. (Bild: Keystone)
Wilkommen zum Bundeshaus-Briefing Nummer 13 des Nebelspalters. Hier lesen Sie, was nächste Woche aktuell ist.
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Das gibt zu reden

Es war das taktische Manöver der Sommersession: Am 5. Juni stimmte der Nationalrat mit einer Stimme Unterschied für einen Gegenvorschlag zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen. Eine Woche später stemmte sich die eiligst einberufene Sozialkommission des Nationalrates gegen den Entscheid, liess das Geschäft kurzfristig erneut auf die Traktandenliste setzen und siehe da: Der Nationalrat stimmte nun plötzlich (und mit 140 gegen 42 Stimmen deutlich) gegen einen Gegenvorschlag. Umgekippt waren die Grünliberalen und die Mehrheit der SVP.  Den freisinnigen Unterstützern der Initiative war der Frust schon vor der Abstimmung anzumerken. Der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod fühlte sich die französische Comicfiguren «Les Shadoks» erinnert, die bekannt sind für ihre absurden Lebensweisheiten (Quelle):   «Ils disent que là où il n'y a pas de solution, il n'y a pas de problème. Eh bien c'est un petit peu ce que le Parlement a fait au cours de la semaine écoulée.» (dt.: «Sie sagen, dass es dort, wo es keine Lösung gibt, auch kein Problem gibt. Das ist ein wenig das, was das Parlament in der vergangenen Woche getan hat.») Bloss: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sprach aus, was bei SVP und Grünliberalen den Umschwung verursacht hat (Quelle):  «Ja, es scheint schon so, dass ein paar hier drin kalte Füsse vor den Wählerinnen und Wählern bekommen haben und dass sich eine Rentenaltererhöhung im Wahljahr vielleicht doch nicht so gut macht.» Das Parlament will jetzt also doch bis 2026 warten. Bis dann sollte Bundesrat Alain Berset (oder sein Nachfolger) eine AHV-Revision ausarbeiten. Wenn das Geschäft rund ein Jahr später im Parlament besprochen wird, dürften die gleichen Kräfte wieder kalte Füsse haben. Auch 2027 ist ein Wahljahr.  Die Taktik von SP, Grünen und Mitte ist einfach: Reformen verzögern oder verhindern, damit einst angesichts tiefroter Zahlen beim wichtigsten Sozialwerk nur noch das bleibt, womit die AHV seit einem Vierteljahrhundert immer saniert wird: Steuererhöhungen. 

Milliardenverluste bei der AHV

Die Zahlen lassen das voraussehen. Rechnet man die Querfinanzierung durch den Bundesanteil aus der AHV-Rechnung heraus und schaut nur das reine Umlageverfahren an, schreibt die AHV fast eine Milliarde Franken Verlust – pro Monat! Und die Aussichten sehen düster aus: Bis ins Jahr 2030 steigt die Zahl der jährlichen Neueintritte von knapp 45'000 auf 60'000 – und diese Baby-Boomer leben dann noch knapp zwanzig Jahre mit Rente. Die AHV muss statt heute 47 Milliarden Franken 62 Milliarden pro Jahr ausgeben. Es fehlen bis ins Jahr 2050 allein rund 100 Milliarden Franken.  Aber wenn es keine Lösung gibt, dann ist es politisch naheliegend so zu tun, als gebe es kein Problem. Mindestens bis nach den Wahlen. Affaire à suivre... Und dann noch dies: Die Liste aller vom Parlament in der Schlussabstimmungen der Session genehmigten Vorlagen finden Sie hier.
Was nächste Woche aktuell wird
Nach der Session ist vor der Session. Da ab dem 7. Juli der Parlamentsbetrieb für fünf Wochen ruht und danach schon bald die Herbstsession ansteht, bricht nächste Woche die parlamentarische Geschäftigkeit aus. Der Bundesrat geht übrigens schon eine Woche vorher in die Sommerpause.  Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates will am Montag mit einem von Eric Nussbaumer (SP, BL) und Präsident der Europäischen Bewegung Schweiz angestossenen «Planungsbericht über die Zusammenarbeit mit der EU in den Bereichen ausserhalb des Marktzugangs» den Druck auf den Bundesrat erhöhen, mit den  «Eckwerten» für ein Verhandlungsmandat mit der EU vorwärts zu machen.

Was auf dem Spiel steht

Doch angesichts der Forderungen der Gewerkschaften ist dem Bundesrat und den Wirtschaftsverbänden die Lust am EU-Dossier bereits wieder vergangen. Zumindest will man es den Wählern nicht zumuten. Bei den Wirtschaftsverbänden droht zudem die Spaltung, weil die Konzerne, organisiert beim Dachverband Economiesuisse oder bei Swissholdings nicht verstehen, was auf dem Spiel steht: der liberale Arbeitsmarkt und damit ein zentraler Standortvorteil der Schweiz (und Teil ihrer Glaubwürdigkeit).  Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates nimmt einen weiteren Anlauf, das Kriegsmaterialgesetz so anzupassen, dass die Schweiz künftig indirekt der Ukraine oder anderen angegriffenen Staaten helfen kann, aber die Neutralität bestehen bleibt. Was nach einer Quadratur des Zirkels aussieht, ist es auch:
  • Variante 1: Das Wiederausfuhrverbot wird auf fünf Jahre befristet, wenn das «Bestimmungsland von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch». Bestehende Nicht-Wiederausfuhrerklärungen werden fünf Jahre rückwirkend aufgehoben. Das ist ursprünglich eine Variante von FDP-Präsident Thierry Burkart. Sie wird von der SP bekämpft, weil der Vorschlag auch der schweizerischen Rüstungsindustrie zugutekommen würde. Dieser Vorschlag scheiterte bisher im Nationalrat an der SVP und der SP.
  • Variante 2: Diese Variante ist ganz ähnlich, aber der Gebrauch des Selbstverteidigungsrechts muss vom Uno-Sicherheitsrat oder der Uno-Generalversammlung festgestellt werden. Der Vorschlag wird nun vom Nationalrat ausgearbeitet. Weil SVP und FDP nicht gemeinsam hinter Variante 1 stehen konnten, schaffte es die maximal komplizierte Variante.

Wieviel vom Eigenmietwert soll bleiben?

Auch der Ständerat arbeitet noch drei Wochen, bevor es ganz still wird im Bundeshaus. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben bekommt es wieder mit der Abschaffung des Eigenmietwertes zu tun. Der Nationalrat hat der Vorlage zugestimmt. Er will im Unterschied zum Ständerat den Eigenmietwert komplett abschaffen. Die Ständeräte zweifeln, ob das Geschäft so ein (wahrscheinliches) Referendum von links überstehen wird. Sie wollen Zweitwohnungen weiterhin besteuern, um neben SP und Grünen nicht auch noch die Bergkantone gegen sich zu haben.  Die Wirtschaftskommission des Nationalrates beginnt mit der Beratung des «Unternehmensentlastungsgesetzes». Der Ständerat hat die Vorlage befürwortet, aber ganz im Sinne des Bundesrates das Kernstück der ursprünglichen Forderung abgelehnt, eine Regulierungsbremse und eine unabhängige Stelle, welche die Regulierungskosten von politischen Geschäften unter die Lupe nimmt. Der Schweizerische Gewerbeverband, von dem die Idee stammt, dürfte versuchen, diese Massnahme wieder ins Gesetz zu bringen. Dessen Präsident, Fabio Regazzi (Mitte, TI), sitzt in der Kommission, fraglich ist, ob seine Parteikollegen mitziehen.

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Will Regulierungskosten bremsen: Mitte-Nationalrat und Gewerbepräsident Fabio Regazzi (TI). (Bild: Keystone)

Zu achten ist auf:

  • Bundesrat Ignazio Cassis: Der Eiertanz um ein neues Verhandlungsmandat hat sich der FDP-Bundesrat selber eingebrockt. Er hat einen Fahrplan verkündet, den er nur dann einhalten kann, wenn er den Forderungen er Gewerkschaften komplett nachgibt. Die Frage ist, ob er sich aus der Schlinge befreit, oder ob ihm seine Entourage einreden, die Schlinge um seinen Hals sei sein Rettungsseil.
  • Mauro Tuena, Jean-Luc Addor, Erich Hess, Stephanie Heimgartner, Thomas Hurter, Bruno Walliser, David Zuberbühler: Bleibt die SVP-Delegation in der Sicherheitspolitischen Kommission bei ihrer Total-Ablehnung jeder Anpassung des Kriegsmaterialgesetzes?
  • Kathrin Bertschy, Jürg Grossen, Martin Landolt, Markus Ritter: Die Mitglieder der Wirtschaftskommission aus der Mitte und der GLP sind entscheidend, ob die Regulierungsbremse noch eine Chance erhält.

Was sonst noch läuft

Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates berät über eine uralte Motion, die der Bundesrat partout nicht umsetzen will. 2010 haben die Räte einen Vorstoss angenommen, der vom Bundesrat verlangt, beim Sicherheitsrat der Uno zu intervenieren und ihm mitzuteilen, dass die Schweiz einige Resolutionen zur Terrorismusbekämpfung nicht mehr umsetzen wird, weil die Uno damit «das Fundament unserer Rechtsordnung» untergrabe.
Was bei der Terrorismusbekämpfung gilt, trifft auch auf andere Politikbereiche zu: internationale Abkommen und Resolutionen werden am Parlament und damit am Volk vorbei umgesetzt. Dieses «Soft-Law» ist gar nicht so «soft», genau deshalb hat der Bundesrat nicht vor, mit der Umsetzung der vorwärts zu machen. Schon gar nicht, solange die Schweiz selber im Sicherheitsrat sitzt. Das Parlament hat schon zehn Berichte dazu geschrieben und die Frist zur Umsetzung neunmal verlängert. Und es wird es ein weiteres Mal tun.
«Bezahlte Demokratie ist Demagogie», findet die Waadtländer Grüne Nationalrätin Leonie Porchet. Sie hat eine Parlamentarische Initiative mit diesem Titel eingereicht, welche das Unterschriftensammeln gegen Bezahlung verbieten will. Porchet hat jedoch eine Ausnahme eingebaut. «Sammlungen, die von Personen organisiert oder durchgeführt werden, die bei Organisationen angestellt sind, welche zu einem Initiativ- oder Referendumskomitee gehören» sind nicht betroffen. Auf Deutsch heisst das: rot-grüne NGOs und Gewerkschaften dürfen Unterschriften kaufen, alle anderen nicht. Demagogisch ist die «bezahlte Demokratie» nur bei den anderen. Es wäre ein weiterer Vorteil für die Organisationen, die heute schon illegalerweise als gemeinnützig anerkannt und steuerbefreit sind.
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende – bis nächsten Samstag (oder Freitag)!

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