Somms Memo
Elon Musk erfindet Twitter neu – und redet davon. Es ist selten, dass man einem Genie bei der Arbeit zusehen kann.
Elon Musk, Commodore des Kapitalismus, abgehobener Fantast und harter Realist zugleich.
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Die Fakten: Elon Musk hat die Belegschaft von Twitter von 8000 auf 1500 Leute abgebaut, derweil nimmt die Zahl der Visits zu, ebenso jene der User.
Warum das wichtig ist: Wenn Musk scheitert, dann haben es die Journalisten schon immer gewusst. Wenn nicht, dann würden sie sich am liebsten umbringen.
Es gibt kaum einen Unternehmer, den die Journalisten (und manche Politiker) inzwischen mehr hassen als Elon Musk:
- Der Mann, den die meisten von ihnen (sofern sie links stehen, was die Regel ist) noch vor kurzer Zeit bewundert haben, weil er dem Tesla zum Durchbruch verholfen hat (E-Autos sind gute Autos),
- ist nicht mehr so populär, seit er sich als Champion der Meinungsäusserungsfreiheit inszeniert und zu diesem Zweck die Social-Media-Plattform Twitter gekauft hat
Dafür bezahlte er einen enormen Preis, 44 Milliarden Dollar – und weil er kurz darauf ein aus linker Sicht wahres Gruselkabinett von Publizisten und Politikern zurückgerufen hat (unter anderem den Leibhaftigen namens Trump), hoffen nun alle auf seinen Untergang.
Zahlreich sind die Artikel, Sendungen und Podcasts, wo Journalisten tränenreich und mit gespielter Trauer ausdrücken, wie sie das Schicksal von Twitter belastet:
- Die Firma stehe unmittelbar vor dem Bankrott
- zumal die besten Köpfe und Freaks, die Twitter zu einem Wunder der modernen Kommunikation gemacht hatten, das Weite suchen
- ebenso die User und die Werbekunden (um die sich Journalisten sonst kaum je kümmern)
Mit anderen Worten, man warnt vor der Apokalypse, die in San Francisco, dem Hauptsitz von Twitter, vorzeitig stattgefunden haben soll, man zeichnet ein Bild der Hölle, wie es der niederländische Maler Hieronymus Bosch (1450-1516) nicht besser hätte erschaffen können.
Die Hölle (Gemälde von Hieronymus Bosch, 1505).
Wenn morgen in Elon Musks Firma Kinder lebendig gefressen werden, dann wäre niemand überrascht. Selbst die sogenannten Fact-Checker würden die Nachricht sofort bestätigen.
Wie gut oder schlecht es um Twitter steht, weiss niemand – ausser Musk, zumal er die Aktie von der Börse genommen hat und seither kaum Zahlen veröffentlicht hat.
Zwar gibt er an, dass er nach einem Verlust von 3 Milliarden Dollar, den er Ende 2022 erlitten habe, im ersten Quartal 2023 nun wieder einen positiven Cash Flow verzeichne, doch das sagt Musk, der begabteste Promotor seiner selbst, – so dass wir kaum sicher sein können, was nun stimmt.
Tatsache allerdings ist, dass Musk schon innert kürzester Zeit Twitter neu erfunden hat:
- Nach dem Vorbild des chinesischen Social-Media-Riesen WeChat will er Twitter zu einer App «for everything» umbilden – für alles, was man sich auch nur denken und wünschen kann
- Auf Twitter sollen die User alles kaufen, ob Bücher, Filme, Lebensmittel oder Kleider, er will ihnen die Möglichkeit verschaffen, hier ihre Börsengeschäfte abzuwickeln, ihr Bankkonto zu verwalten oder ihre Freunde zu einem Dinner einzuladen, kurz, das ganze Leben eines Users soll sich künftig auf Twitter zutragen
Originell ist diese Idee nicht, was Musk auch nie behauptet hat, sondern ohne falsche Bescheidenheit bezeichnet er WeChat als Modell – was seine Idee umso bestechender erscheinen lässt: Was aus Twitter werden soll, gibt es bereits, und WeChat hat sich in China als äusserst erfolgreich erwiesen. 1,3 Milliarden Menschen nutzen mittlerweile die App.
Warum soll es bei Twitter anders sein?
Um diese neue Ära von Twitter zu unterstreichen, hat Musk die Firma umgetauft: sie heisst nun X.com, und die Holding firmiert als X Corp. Gleichzeitig hat er deren Sitz von Delaware nach Nevada verlegt. Ausserdem rief Musk X.AI ins Leben, ein Unternehmen, das die künstliche Intelligenz vorantreiben soll. Dafür stellte er einen angesehenen Chef ein, der vorher bei Google für Furore gesorgt hat.
Aus Sicht eines (sehr sporadischen) Benutzers, wie ich das bin, sind die Neuerungen interessant, die Musk auf der Plattform im engeren Sinne realisiert hat:
- Wer einen Tweet abgesetzt hat, erfährt nun laufend, wie viele Leute ihn angeklickt und gelesen haben. Um diese ständigen Updates zu leisten, müssen die Server von Twitter in einer Sekunde bis zu 3 Millionen Berechnungen vornehmen – und das jede Sekunde
- Ebenso können User nun zusätzliche Fakten an einen Post heften. Wenn genügend davon auftauchen, deren Perspektiven sich zudem unterscheiden, dann werden sie öffentlich gezeigt. Angebliche «Fact-Checker», die oft auf eine sehr einseitige Weise Fakten «überprüfen», werden so leicht korrigiert oder relativiert
- Vor wenigen Monaten führte Twitter ein neues Feature ein, das es dem Benutzer gestattet, alle neuesten Tweets über eine Firma zu erfahren. Wer ein Dollarzeichen und das Tickersymbol eines Unternehmens eintippt, – zum Beispiel $NOVN für Novartis – dem werden alle Informationen zugespielt. Neu soll man so auch die entsprechende Aktie erwerben oder verkaufen können
Noch steht in den Sternen, ob Musk jene Sonnensysteme erreicht, zu denen er sich aufgemacht hat.
Eines allerdings ist klar: Wenn es je einen energischen Unternehmer gegeben hat, dann ist das Musk. Während er alle diese Innovationen und Erweiterungen durchsetzte, hat er die Kosten ohne Federlesens hinuntergefahren
- Musk selbst gibt an, es handle sich um einen Faktor drei oder vier, um den er die Kostenstruktur reduziert habe
- So hat er seit Ende Oktober 2022, als er der neue Besitzer von Twitter geworden war, rund 8000 Leute entlassen
- 1500 Angestellte sind übriggeblieben, die – so darf man vermuten – nun einfach vier Mal mehr arbeiten
Musk ist wohl der Prototyp des Unternehmers. Ruchlos, effizient, narzisstisch und voller Fantasie, unerschrocken und mit unerschöpflichen Kräften ausgestattet, bricht er ständig nach neuen Kontinenten auf, um Märkte und Kunden zu erobern. Ein Commodore des Kapitalismus.
Wenn ich an Musk denke, fällt mir Joseph Schumpeter (1883-1950) ein, der eminente Ökonom, der als einer der ersten dieses neuzeitliche Phänomen analysiert hat.
«Der typische Unternehmer fragt sich nicht, ob jede Anstrengung, der er sich unterzieht, auch einen ausreichenden ‹Genussüberschuss› verspricht. Wenig kümmert er sich um hedonistische Früchte seiner Taten.»
Was aber treibt den Unternehmer an? Schumpeter:
«Da ist zunächst der Traum und der Wille, ein privates Reich zu gründen, meist, wenngleich nicht notwendig, auch eine Dynastie. Ein Reich, das Raum gewährt und Machtgefühl, das es im Grund in der modernen Welt nicht geben kann».
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag
Markus Somm