Somms Memo

Elisabeth Kopp. Die erste Bundesrätin war auch die unglücklichste. Sie ruhe in Frieden.

image 2. Mai 2023 um 10:00
Elisabeth Kopp (1936–2023) nach ihrer Wahl in den Bundesrat, 2. Oktober 1984.
Elisabeth Kopp (1936–2023) nach ihrer Wahl in den Bundesrat, 2. Oktober 1984.
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Die Fakten: Morgen Mittwoch wird Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin der Schweiz, in Zumikon beerdigt. Es werden bis zu 700 Trauergäste erwartet. Warum das wichtig ist: Mit Elisabeth Kopp nehmen wir von einer Epoche Abschied, die schon lange vorbei ist. Die Epoche des Freisinns, der macht, was er will. Für einen Historiker wie mich ist Aufstieg und Fall der Elisabeth Kopp schwer zu deuten:
  • War es unvermeidlich, also sozusagen strukturell bedingt? Konnte eine erste Bundesrätin im Land der ältesten Männerdemokratie der Welt gar nicht anders enden als unglücklich?
  • Und musste mit ihr der Zürcher Freisinn, ihre Partei, die sich eigentlich immer schwer mit ihr getan hatte, ebenfalls untergehen (wenn ich das auch etwas zuspitze)?
  • Oder lag es an einer unwahrscheinlichen Anhäufung des Unwahrscheinlichen, dass sie überhaupt je Bundesrätin geworden war?

Für das Letztere spricht vieles: Als im August 1984 der knorrige, aber erschöpfte Bundesrat Rudolf Friedrich (FDP, ZH) seinen Rücktritt ankündigte, nachdem er nicht einmal zwei Jahre im Amt ausgeharrt hatte, traf dies den Freisinn völlig unerwartet. Zwar war das ein Freisinn, der 1983 eben die Wahlen bestens überstanden hatte und nach wie vor als stärkste Partei im Parlament galt – was Wähleranteil, Sitze und Einfluss anbelangte, doch der gleiche selbstbewusste (oder je nach Standpunkt) arrogante Freisinn fühlte sich auch etwas verunsichert:
  • Ein Jahr zuvor, im Dezember 1983, hatte die bürgerliche Mehrheit unter Führung der FDP die Wahl von Lilian Uchtenhagen (SP) zur ersten Bundesrätin der Schweiz hintertrieben. Mit einem hinterhältigen Trick hatte man in letzter Minute den rechten Sozialdemokraten Otto Stich montiert und gewählt, um die angeblich furchtbar linke Uchtenhagen zu verhindern
  • Was hatten die Bürgerlichen gelacht, als sie die langen Gesichter der Sozialdemokraten sahen. Was waren sie erleichtert gewesen, dass man es der etwas eingebildeten Uchtenhagen gezeigt hatte, die jetzt völlig verregnet im Nationalratssaal sass, ein Häufchen Elend, wo vorher ein Berg der Blasiertheit gewesen war
  • Gewiss, eingebildet war sie schon, und gegrüsst hatte sie ihre Kollegen im Rat ebenfalls eher unterdurchschnittlich, was tödlich ist, wenn man Bundesrat werden will (siehe Eva Herzog), doch es steckte mehr hinter der Abneigung. Uchtenhagen, Kind reicher Eltern aus Olten, stand für den linken Akademiker aus bürgerlichem Haus, der sich der SP angeschlossen hatte, – sie stand also für den Klassenverrat, und dass es ausgerechnet eine Frau war, zumal eine elegante, aber kühle dazu, gab den Bürgerlichen den Rest

Allein schon ihre modische Brille konnten sie nicht ausstehen. Kurz, eigentlich hatte es wenig mit Politik zu tun gehabt, dass man sie im Parlament hatte durchfallen lassen, sondern mehr mit Gefühlen, Ressentiments und verletztem, vorwiegend männlichem Stolz. Bei Stich, so meinte man, war die Geschlechterordnung noch in Ordnung – und vor allem: Stich war kein 68er. Wenn er auch genauso Akademiker war (Dr. rer. pol.), so stammte er doch aus einer Arbeiterfamilie, er roch nicht falsch – aus der Perspektive einer bürgerlichen Nase.
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Wie immer, wenn das Motiv ein schlechtes ist, kommt es nicht gut: Stichs Wahl erwies sich für die Bürgerlichen als ein Pyrrhussieg:
  • Stich politisierte als Bundesrat viel unbequemer als das Uchtenhagen wohl getan hätte, auch linker, aber eben im traditionellen Sinn der Vor-68er-Sozialdemokratie. Er bereitete den Bürgerlichen viel mehr Migränen als die vermeintliche Herrin der Migräne
  • Vor allen Dingen hinterliessen die unschönen Umstände von Stichs Wahl bei manchen Bürgerlichen ein schlechtes Gewissen. Haben wir denn etwas gegen Frauen?

Natürlich stellten die Medien sicher, dass sich jeder Nicht-Uchtenhagen-Wähler hinterher wie ein Bewohner des Fegefeuers fühlen musste. Man litt und schwitzte – und keine Ehefrau, die auf Erden zurückgeblieben war, linderte die Hitze mit ihren Gebeten. Stattdessen musste man sich auch noch bei ihr rechtfertigen.
Insbesondere der Freisinn, wo sich auch der Mastermind der Stichwahl befunden hatte, der Baselbieter Nationalrat Felix Auer, ein witziger, charmanter Typ, dem es jetzt allerdings nicht mehr zum Spassen zumute war, – in der Zitadelle der politischen Macht also nahm man sich vor, bei der nächstbesten Gelegenheit auch einmal etwas für «die Frauen» zu tun. Dass diese nächstbeste Gelegenheit schon ein Jahr später eintreffen sollte: Wer hatte das ahnen können? Warum nur musste Friedrich so früh das Handtuch werfen?
  • Mit anderen Worten, die FDP war im «Seich», wie man das intern sagte, denn um eine Frauenkandidatur kam sie jetzt nicht mehr herum
  • Zweitens: Es gab gar nicht so viele Frauen, die man nun portieren konnte

Wenn man ehrlich ist, gab es nur eine: Elisabeth Kopp.
Zumal für die FDP zu jener Zeit nur vier Frauen im nationalen Parlament sassen, (was damals als unabdingbare Voraussetzung für eine Wahl in den Bundesrat galt) – und davon kam so gut wie keine in Frage:
  1. Geneviève Aubry stammte aus dem Berner Jura. Da man einen Deutschschweizer Sitz zu besetzen hatte, stand die Welsche nie im Vordergrund
  2. Susi Eppenberger kam aus dem Kanton St. Gallen. Mit Kurt Furgler (CVP) sass aber schon ein St. Galler in der Regierung – noch waren gemäss Verfassung keine zwei Bundesräte aus dem gleichen Kanton erlaubt
  3. Vreni Spoerry. Zwar wäre sie wohl eine brillante Bundesrätin geworden, doch für sie kam es definitiv zu früh. Gerade erst (1983) war sie in den Nationalrat gewählt worden. Sie bereits jetzt in die Regierung zu befördern, schien undenkbar
  4. Elisabeth Kopp. Sie sass seit 1979 im Nationalrat und hatte als langjährige Gemeindepräsidentin von Zumikon etliche Exekutiverfahrung vorzuweisen. Auch in Bern war sie positiv aufgefallen – wenn vielleicht auch etwas zu linksbürgerlich für den Geschmack der meisten ihrer freisinnigen Kollegen, die damals noch zuverlässig rechts standen
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An Kopp kam die FDP also nicht vorbei. Wäre da nicht ein anderes, noch ernsteres Problem gewesen – und das hiess Hans W. Kopp. DER EHEMANN. Weder in Zürich noch in Bern wollte man von ihm etwas wissen, zwar war er, ein Wirtschaftsanwalt, erfolgreich und auch gefürchtet, aber eben auch ein Borderline-Typ, ein Geschäftsmann ohne Skrupel, und sicher nicht satisfaktionsfähig als Bundesratsgatte, seit ruchbar geworden war, dass er in seinem Büro Angestellte, die etwas falsch gemacht hatten, mit einer Fitze zu bestrafen pflegte. Ein paar Hiebe auf den nackten Hintern: Wem kann das schaden? Muss sich Kopp gesagt haben. Seiner Frau schadete es. Big Time. Wenn das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen einer absichtsvollen Tat je gestimmt hat, dann im Fall Kopp. Die FDP schlug zwei Kandidaten zur Wahl vor:
  • Die eine für die Galerie, das war Elisabeth Kopp, die man nur präsentierte, damit «die Frauen» zufrieden sind, und es gut aussieht (in den Medien)
  • Der andere hiess Bruno Hunziker, Parteipräsident und Nationalrat aus dem Aargau, ein konservativer, staubtrockener Solid-Freisinniger, dem man zu jener Zeit noch nicht vorwarf, das falsche Geschlecht zu besitzen. Mit ihm war es dem Freisinn ernst: Ihn wollte man im Bundesrat sehen

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Die FDP machte ihre Rechnung ohne den Wirt – und das waren die Linken, die Kopp schon im ersten Wahlgang alle ihre Stimmen gaben. Hunziker, der Mann, ging unter. Revanche für Uchtenhagen. Dass Kopp wenige Jahre darauf, 1988, zurücktreten musste, das allerdings lag nicht an der Linken, sondern an ihrem Mann. Aus Rücksicht auf ihr Amt, an dem ihr so viel lag, gab sie es auf, weil ihr Mann nie Rücksicht auf sie genommen hatte. Jahre später, nach ihrem erzwungenen Rücktritt, den sie nie verwand, sagte Elisabeth Kopp: «Wird einem der Ruf gestohlen, dann ist das fast so schlimm, als wenn man umgebracht würde.» Elisabeth Kopp ist am Karfreitag in ihrem 86. Lebensjahr gestorben. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag Markus Somm

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