Somms Memo
Eine Feier der christlichen Hegemonie. Zur Beerdigung der Queen
Queen Elizabeth II. wurde am Montag beerdigt. Die Trauerfeier in Westminster Abbey.
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Die Fakten: Queen Elizabeth hat ihre eigene Beerdigung im Detail geplant. Die gläubige Christin machte sie zu einer Feier des christlichen Abendlandes. 4 Milliarden schauten zu.
Warum das wichtig ist: Als hätte sie nie etwas von Inklusion und Diversität gehört, setzte die Queen allein auf die christliche Tradition. Vielleicht liegt darin das Geheimnis ihrer globalen Beliebtheit.
Andere Religionen kamen am Montag bei der Beerdigung der Queen kaum vor. Es war eine Trauerfeier im Zeichen der christlichen Hegemonie.
Zwar durften zu Beginn der Trauerfeier in Westminster Abbey die Würdenträger und Abgeordneten fast aller in Grossbritannien vertretenen Kulte wie Kirchendiener zuerst einziehen. Es kamen:
- Repräsentanten des Zoroastrismus
- der Sikhs
- des Bahaitum (ursprünglich aus Mesopotamien)
- des Jainismus (4,4 Millionen Gläubige in Indien)
- der Buddhisten
- der Hindu (eine Million Gläubige im UK, 1 Milliarde in Indien)
- natürlich der Muslime (3,3 Millionen Gläubige im UK)
- und als Letzter, als Ehrengast sozusagen, trat der Chief Rabbi von Grossbritannien auf
Dann war aber Schluss mit Diversität. Die Christen übernahmen. Alles, was nachher die Trauerfeier prägte, war christlich, genauer: protestantisch
- die Lieder, die Hymnen, die Musik
- die Gebete, die Sermone, die Lesungen
Selten ist in den letzten Jahren der christliche Kern des Westens so stolz, so selbstverständlich und so überaus beeindruckend zur Schau gebracht worden.
Da wurde nirgends ein Kompromiss gemacht, keine Konzession an den Zeitgeist war zu erkennen, keine gendergerechte Version der christlichen Botschaft vorgetragen, keine Mode befolgt.
- Während man in der reformierten Kirche von Wädenswil, wo alle meine Kinder konfirmiert worden sind, schon froh sein muss, wenn ein einziges Gebet und ein kurzer Text aus der Bibel vorkommt und der Rest des Gottesdienstes aus therapeutisch-politischem Schnickschnack besteht,
- Feierte die Church of England unter Führung ihres geistlichen Oberhaupts, des Erzbischofs von Canterbury, einen Gottesdienst, wie man ihn auch um 1901 oder 1603 oder 1547 nicht sehr viel anders begangen hätte
Die Zeit stand still, weil die Zeit in England für die Könige nie zu vergehen scheint.
Die Queen lebte, starb und liess sich begraben gemäss jenen uralten Traditionen, wie sie schon die 61 christlichen Könige und Königinnen ihres Landes seit Alfred dem Grossen beachtet hatten. Dieser war 886 gekrönt, und 899 in Winchester beerdigt worden, der ersten Hauptstadt Englands, bevor London diese Stellung errang.
«O death, where is thy sting? O grave, where is thy victory?»
«Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo bleibt nun deine Macht?» (1 Kor 15,55)
Als Baroness Scotland of Asthal, die Generalsekretärin des Commonwealth, diese Stelle aus dem ersten Korintherbrief vorlas, ging mir durch den Kopf:
Wie gewaltig, wie grandios diese Texte doch sind, die Paulus hinterlassen hat.
Der Gottesdienst war auch eine Wiederbegegnung mit der Bibel – was ja immer so sein sollte – aber in den protestantischen Kirchen auf dem Kontinent zusehends rarer zu erfahren ist.
Wenn ein Text in der Westminster Abbey gelesen wurde (ausser der Predigt), dann stammte er stets aus der Bibel, selbst Premierministerin Liz Truss hatte sich daran zu halten. Sie trug die zweite Lesung vor:
«Thomas saith unto him, Lord, we know not whither thou goest; and how can we know the way? Jesus saith unto him, I am the way, the truth, and the life: no man cometh unto the Father, but by me.»
Selbstverständlich handelt es sich hier um die alte Version aus der King-James-Bibel («thou» für you, eigentlich: du, «saith» für said, etc.). Das ist die offizielle Übersetzung aus dem Jahr 1611, die König Jakob I. seinerzeit in Auftrag gegeben hatte.
Warum auch ändern, was nicht älter als fünfhundert Jahre ist?
«Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ausser durch mich.» (Joh 14,6)
Wenn die Menschen in aller Welt – man redet von 4 Milliarden, die diese Beerdigung am Fernsehen oder im Internet verfolgt haben – wenn die Menschen dieser Welt sich so verhalten hätten, wie es jene erwarten, die der politischen Korrektheit, den Lehren von der Inklusion und der Diversity anhängen, dann hätten sich die meisten wohl enttäuscht oder gar verletzt von der Live-Schaltung abgewandt.
Wurden hier nicht einzig die Christen – wenn nicht allein die Europäer und Amerikaner – angesprochen?
Von Queen Elizabeth II. kann man vieles lernen – es wurde in diesen Tagen dutzendfach wiederholt:
- Pflichtgefühl, Disziplin
- Humor
- Unverwüstlichkeit
Was mich aber am meisten fasziniert, ist die Tatsache, dass die grosse britische Königin und die Art, wie sie ihre Beerdigung inszeniert hat, all jenen zu denken geben müsste, die meinen, die koloniale Hinterlassenschaft der Briten, ja aller Europäer, diskreditiere den Westen auf Dauer – und in den Augen aller.
- Wäre es so, warum wirkt dann die Queen auf vier Milliarden Menschen so unwiderstehlich?
- Warum weinen Mütter in Indien, warum beten Grossväter in Afrika für die Queen, warum singen die Nachfahren von Sklaven, die einst von Engländern in die Karibik verschleppt worden waren: «God save the King»?
- Und wie ist es zu verstehen, dass so viele Gläubigen anderer Religionen diese allerchristliche Trauerfeier offensichtlich nicht als Provokation oder Mikroaggression empfinden?
Die Queen war eine tiefgläubige Christin, sie las in der Bibel, so oft sie konnte, sie betete, sie sprach aber nicht davon – wie die Frommen es gerne tun. Wem das bisher verborgen geblieben war, der merkte es jetzt sozusagen im letzten Moment, als die Queen beerdigt wurde – gemäss ihren Anweisungen. Nichts hatte sie dem Zufall – oder ihren Dienern überlassen, alles war von ihr vorgeschrieben worden:
- Der Ablauf des Gottesdienstes, die Lesungen, die Gäste
- die Route der Prozession
- die Musik (so gut wie ausschliesslich britische Komponisten, mit der einen Ausnahme von Bach)
Queen Elizabeth II. (1926-2022)
Nie hätte die Queen ihren Glauben und ihre Nation verleugnet. Nie sich geschämt dafür, woher sie kam.
Als sie als erste Königin nach der Unabhängigkeit Irland besuchte, ein Land, das die Engländer jahrhundertelang misshandelt hatten, entschuldigte sie sich nicht, und trotzdem waren die Iren versöhnt. Sie heilte Wunden – ohne zu sagen: Ich heile Euch, denn ich bin eine Gute!
Das Geheimnis der Inklusion, das lehrt die Queen, ist eben nicht, dass der Westen sich verleugnet, sondern dazu steht, wofür er berühmt geworden ist. Für Dunkles gewiss, aber auch für viel Helles:
- Unter anderem das Christentum
Diversity? Toleranz? Ausbeutung und Verfolgung? Auch wenn die Christen ihren eigenen Glauben oft verrieten – dass sie es taten, lag nicht am Christentum.
Oder wie es Paulus seinem Brief an die Kolosser ausdrückte:
«Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.» (Kol 3,11)
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag
Markus Somm