Somms Memo
Die Schweiz greift China an. Haben wir unsere Panzer schon eingeschifft? Vom Unsinn einer moralistischen Aussenpolitik.
Fabian Molina (SP, ZH) im Nationalrat: Taiwan oder gar nichts.
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Die Fakten: Der Nationalrat will seine Zusammenarbeit mit Taiwan «verstärken» und «vertiefen». Die Volksrepublik China reagiert verärgert.
Warum das wichtig ist: Was der Nationalrat beschlossen hat, ist eine überflüssige Provokation. Wenn Baby-Aussenpolitiker Baby-Politik machen.
Mit 97 zu 87 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) hat der Nationalrat gestern einen Vorstoss des Sozialdemokraten Fabian Molina angenommen, der den Beziehungen zu Taiwan eine neue Qualität verleihen soll:
- SVP und FDP votierten (nahezu geschlossen) dagegen
- SP, Grüne und GLP dafür
- Die Mitte lag in der Mitte und verteilte ihre Stimmen brüderlich und schwesterlich auf beide Seiten, ein Drittel dagegen, zwei Drittel dafür, darunter Parteipräsident Gerhard Pfister und Fraktionschef Philipp Bregy
Gemäss Vorstoss schwebt dem Nationalrat vor, den «wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch» mit Taiwan zu «vertiefen» und die Zusammenarbeit zu «verstärken».
Um zu verhindern, dass der Ständerat, der in dieser Frage wohl vorsichtiger gewesen wäre, sich dazu äussern kann, spricht der Nationalrat explizit nur von seinen eigenen Beziehungen, will heissen: Wenn der Ständerat das Gegenteil machen will, dann soll er doch.
- Allein diese Schlaumeierei zeigt, wie seriös hier Aussenpolitik betrieben wird
- Baby-Politiker, die glauben, die Welt sei ein Spielzimmer, betreiben Baby-Politik
- Nimmst Du mir mein Lego weg, gebe ich meiner kleinen Schwester dein Playmobil
Denn was soll dieser Vorstoss erreichen? Die Schweiz anerkennt Taiwan offiziell nicht – wie fast alle Staaten dieser Welt. Das kann man bedauern, aber es handelt sich um einen alten, pragmatischen Kompromiss, um Rot-China nicht unnötig zu reizen.
- Denn natürlich meint das kommunistische China nach wie vor (und immer emphatischer), Taiwan sei eine «abtrünnige Provinz», die rechtmässig zu China gehöre. Das ist Unsinn, aber China eine Grossmacht
- China weist 1,4 Milliarden Einwohner auf, Taiwan 23 Millionen
- Wer also ordentliche Beziehungen mit China will, muss auf solche zu Taiwan verzichten. Das betrifft insbesondere die Diplomatie, die Abteilung der Symbol-Politik – wirtschaftlich und kulturell hat die Schweiz immer eng und zu beiderseitigem Nutzen mit Taiwan kooperiert
Wie gesagt befindet sich die Schweiz damit in unverdächtiger Gesellschaft. Selbst die USA haben dies jahrelang so gehandhabt, wenn sie auch in jüngster Vergangenheit davon abwichen, um China unter Druck zu setzen. Ob man das richtig findet oder nicht, tut hier nichts zur Sache.
- Amerika ist die Supermacht
- Die Schweiz dagegen ein Zwerg, der seit dem 16. Jahrhundert unter anderem deshalb als Zwerg unter Zyklopen überlebt hat, weil er sich nie mit einem Zyklopen anlegte
Das mag unheroisch gewesen sein, vor allem war es klug.
Wenn wir wussten, dass der französische König lieber Champagner trank, drängten wir ihm nicht unseren Zürcher Landwein auf. Wenn wir ahnten, dass der deutsche Kaiser Wilhelm II. es ungern hört, wenn man seine Kolonialpolitik in Südwestafrika bemängelte, dann redeten wir halt lieber übers Wetter in der norddeutschen Tiefebene. Ist es nicht schön in der Mark Brandenburg?
Dass man mich nicht falsch versteht: Neutral zu sein, bedeutet nicht, es allen recht zu machen und jedermann nach dem Mund zu reden, aber es heisst, dass man hin und wieder einfach den Mund hält. Vor allem dann, wenn einen niemand nichts gefragt hat.
- Noch pflegt die Schweiz allerbeste Beziehungen zu China – besonders, was die Wirtschaft betrifft. China ist ein bedeutender Handelspartner
- Und solange zwischen China und den USA kein Krieg ausgebrochen ist – was durchaus bald geschehen könnte –, solange sollte sich die Schweiz keinesfalls exponieren. Warum auch?
Wird China seine Politik anpassen, aus Angst vor Fabian Molina?
Aussenpolitik ist keine Gesinnungspolitik. Im Gegenteil. Oft scheint die Welt eben doch verdammt: Die meisten Länder dieser Welt sind keine Demokratien, in den meisten werden die Menschenrechte missachtet, selten funktioniert der Rechtsstaat, fast überall herrscht Korruption, nirgendwo geht es so zu und her, wie wir uns das in der Schweiz oder im Westen gewohnt sind.
- Brechen wir deshalb die Beziehungen zu diesen Ländern ab?
- Ergibt es denn Sinn, wenn wir die vielen Despoten in Afrika, Südamerika, Asien oder in Russland belehren, sie sollten in ihrem Land jetzt unbedingt die rot-grüne Politik Zürichs einführen? Kreis 5 für China?
Auch Fabian Molina und die Mehrheit der Moral-Politiker im Nationalrat dürften das wissen. Wenn sie dennoch darauf bestehen, den Chinesen den Schüttstein an den Kopf zu werfen, wie das die Amerikaner ausdrücken («to throw the kitchen sink»), dann tun sie das nicht, weil sie an China und dessen üble, anti-demokratische, imperialistische Politik denken – daran ändern sie damit nichts –, sondern weil sie an sich selbst denken
Hauptsache, sie haben das Richtige gesagt, wenn sich dann das Falsche einstellt, waren sie nie dabei.
Ego-Politik – geschminkt als moralischer Mut, getarnt als staatspolitisch wertvolle Aussenpolitik. Es geht ihnen nicht um unser Land, sondern allein um sie selbst. Das Molina-Land. Ich. Ich. Ich.
Dazu hat Henry Kissinger, der ehemalige amerikanische Aussenminister, alles Nötige gesagt:
«90 Prozent der Politiker ruinieren den Ruf der übrigen zehn Prozent.»
Ich wünsche Ihnen einen prächtigen Tag
Markus Somm