Printausgabe
Die Poesie des Unterleibs
Marian Kamensky
Till Lindemann, Sänger der Band «Rammstein», ist eigentlich Dichter. Zwar geht er jeden Abend auf eine Bühne und entzündet Feuerwerke, die das Kreuzlinger Seenachtsfest zum Kindergeburtstag degradieren. Das tut er aber nur, weil sich Lyrik furchtbar schlecht verkauft und er drei Kinder durchfüttern muss. Derzeit steht Lindemann in der Kritik, weil er sich angeblich von einer Assistentin nach Konzerten jeweils die attraktivsten weiblichen Fans aus der vordersten Reihe pflücken und hinter die Bühne bringen lässt. Was dort geschieht, ist nicht genau überliefert. Man muss aber nicht immer gleich vom Schlimmsten ausgehen, was in seinem Fall heissen würde: Er liest ihnen aus seinen Gedichten vor.
Der eigentliche Übeltäter in der ganzen Geschichte ist nämlich der ehemalige Deutschlehrer des Rammstein-Gründers. Der hätte ihm erklären sollen, dass sich Gedichte nicht zwingend reimen müssen und dass Poesie vom Rhythmus lebt. Das sieht man sehr schön an dieser Zeile, die – ich schwöre bei allem, was mir heilig ist – wirklich von Till Lindemann stammt. Sie lautet: «Nicht gewaschen ist der Pimmel / Alles stinkt zum Himmel.»
Ode an den Himmel
Was den Reim angeht, war der Autor hier chancenlos. Auf «Himmel» reimt sich so gut wie nichts. «Schimmel» ginge und würde inhaltlich sogar irgendwie passen. Aber ansonsten bleibt wirklich nur «Pimmel». Wenn Lindemann also eine Ode an den Himmel schreiben wollte, führte kein Weg um dieses Wort herum.
Beklagenswert ist hingegen, wie arrhythmisch die zwei Zeilen verlaufen. Das merken Sie selbst, wenn Sie diese laut lesen. Verlassen Sie aber bitte vorher den Raum, falls sich dort noch andere Leute befinden.
Dichter Dichter
Rhythmisch sauberer gelöst ist dieses zweite Originalbeispiel aus dem Schaffen von Lindemann: «Und wegen dieser blöden Fotze / Erstick ich fast an meiner Kotze.» Hier hätte es allerdings Alternativen gegeben, wenn er schon unbedingt über Erbrochenes schreiben muss. Gepasst hätte beispielsweise: «Und wegen dieser blöden Glotze / Erstick ich fast an meiner Kotze.» Dann wäre der Dichter für seine schonungslose Kritik am miserablen Fernsehprogramm gelobt worden. So bleibt er aber ein Schöpfer von Unterleibslyrik. Und es gilt weiterhin: Egal, wie dicht einer ist, Till Lindemann ist Dichter.