Somms Memo
Die Partei, die Partei, die hat immer recht: Zur Kandidatenauswahl der SVP und SP
Aeschi, Vogt und Rösti bei der Pressekonferenz am vergangenen Freitag in Hérémence im Wallis. Vogt und Rösti sind Kandidaten für den Bundesrat.
Die Fakten: Die SVP nominiert Rösti und Vogt, die SP ausschliesslich Frauen, deren Namen wir am Freitag kennen. Die Parteiführungen setzen sich durch.
Warum das wichtig ist: Die beiden Polparteien sind in die Jahre gekommen. Ihre internen Auseinandersetzungen laufen ab wie gut organisierte Elternabende.
Wie sich die Zeiten doch ändern. Früher erlebten wir häufig, wie sich die Journalisten lustig machten über die Kandidaten, die die SVP für Exekutivämter vorschlug:
- Ein Bauer, ein Skidirektor, eine Hausfrau und Leiterin einer Krankenkassenagentur! Können die das? HaHa.
- Wann haben sie die Schule verlassen? Nach der Sek oder nach der Primarschule – erheiterten sich die Journalisten, schon zu jener Zeit überwiegend Akademiker (nicht immer mit Abschluss) – dabei zwinkerten sie sich zu, als hätten sie gerade den Nobelpreis in ihrem Pult verstaut
Am Freitag stellte die SVP, die angebliche Partei der einfachen Leute, ihre Bundesratskandidaten vor. Es traten auf:
- Thomas Aeschi, Fraktionspräsident. Er stellte die beiden Kandidaten vor. Ausbildung: Lizentiat der Wirtschaftswissenschaften HSG, Master of Public Administration (MPA), Harvard, USA
- Albert Rösti, Dr. sc. techn. ETH Zürich, Ingenieur Agronom, Dipl. Ing. Agr. ETH Zürich, Master of Business Administration MBA, Universität Bern und Rochester, USA
- Hans-Ueli Vogt, Prof. Dr. iur. Universität Zürich, LL.M. New York University (NYU), Rechtsanwalt (zugelassen in Zürich und New York), MBA HSG, Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich
Und alle drei lieferten eine reife Leistung ab, als es darum ging, sich den Fragen der Journalisten zu stellen, beide Kandidaten antworteten mehr oder weniger elegant auf französisch (Vogt eleganter), beide wirkten klug und moderat, niemand fiel auf als «Polterer» oder «Volkstribun» oder einfach «Depp», wie noch vor wenigen Jahren die wenig schmeichelhaften Begriffe lauteten, mit denen Journalisten SVP-Bundesratskandidaten zu beschreiben pflegten – ob in der Zeitung oder intern auf der Redaktion.
Heute sind die meisten Journalisten schlechter ausgebildet als die SVP-Kandidaten. Ein Novum, das die Berichterstattung aus dem Bundeshaus noch verändern dürfte.
Ebenso neu ist, dass die SVP-Kandidaten auch heller strahlen als ihre Kolleginnen von der SP, sofern man die formalen Abschlüsse, die akademischen Titel und das Prestige der besuchten Hochschulen vergleicht.
Die zwei SP-Kandidatinnen werden am kommenden Freitag bestimmt, nachdem die SP letzte Woche entschieden hat, dass sie der Bundesversammlung ein Zweierticket unterbreiten will: Nur Frauen kommen in Frage (Eva Herzog, Elisabeth Baume-Schneider, Evi Allemann), der einzige Mann, ironischerweise ebenfalls ein Rechtsprofessor (Daniel Jositsch) wurde ausgebremst.
- Offiziell, weil er ein Mann ist
- Inoffiziell, weil er zu rechts steht – für das durchschnittliche Fraktionsmitglied der SP
Wenn wir diese beiden Zwischenergebnisse bewerten, dann fallen zwei Dinge auf.
- Es stehen so gut wie ausschliesslich Berufspolitiker (und wie erwähnt akademisch hochdekorierte) zur Verfügung
- Die Parteiführungen setzten sich auf der ganzen Linie durch
Oder um es mit einer Strophe aus einem schönen kommunistischen Lied auszudrücken:
«Sie hat uns alles gegeben.
Sonne und Wind und sie geizte nie.
Wo sie war, war das Leben.
Was wir sind, sind wir durch sie.
(…)
Uns schützt die Mutter der Massen.
Uns trägt ihr mächtiger Arm.
Die Partei, die Partei, die hat immer recht»
Nachdem ich insbesondere der Zürcher SVP noch vorgeworfen hatte, dass sie ausserstande sei, einen vernünftigen Kandidaten zu bieten, muss ich das zurücknehmen.
- Vogt, ehemaliger Nationalrat aus Zürich, ist ein hervorragender Kandidat. Er wäre ein tüchtiger, wenn nicht brillanter Bundesrat
- Rösti, Nationalrat aus dem Kanton Bern, ist sowieso ein ausgezeichneter Kandidat – sofern er seine Neigung zur vorschnellen Versöhnung drosselt. Dann wäre er ein tüchtiger, wirksamer Bundesrat
Nach vielen Absagen und etwas erratischem Kommunikationsverhalten ist es der SVP-Parteileitung nun doch gelungen, die Kandidatenauswahl reibungslos und mit einem überzeugenden Resultat abzuschliessen – wie selbst die NZZ ihr attestiert. Die SVP, der man noch vor wenigen Jahren nicht einmal zugestanden hatte, den Kandidaten gewählt zu bekommen, den sie vorzog, – diese Kellerkinder-SVP gibt es nicht mehr. Die SVP ist angekommen.
- Niemand – nicht einmal innerhalb der Linken – wird einen wilden Kandidaten unterstützen wollen. Wild ist nicht einmal mehr die Frisur der SVP-Kandidaten
- Und keiner in Bern stellt den SVP-Anspruch auf zwei Bundesräte in Frage (die Grünen erkundigten sich zwar bei der SP, ob sie der SVP einen Sitz streitig machen sollten. Die SP winkte ab, zumal sie um ihre eigenen zwei Sitze fürchtete)
Wermuth/Meyer, Ko-Präsidenten der SP, oder das Glück der Tüchtigen.
Das gleiche gilt allerdings auch für die SP-Parteileitung. Sie triumphiert.
Cédric Wermuth und Mattea Meyer, die beiden Co-Präsidenten, wagten alles – und gewannen.
- Zuerst preschten sie voran und forderten ein reines Frauenticket. Aufruhr in der linken Männerwelt, Kopfschütteln in der Expertokratie (ich gehörte dazu), diese Anfänger!
- Jositsch, ein Star der Partei, tritt trotzdem an und sucht den Streit. Werden die beiden Greenhörner von der eigenen Fraktion desavouiert? Wird ihnen ein Kompromiss aufgenötigt, damit alle ihr Gesicht wahren können?
Nichts da. Wermuth/Meyer halten durch und bringen so gut wie die ganze Fraktion hinter sich (37 zu 6, bei 2 Enthaltungen). Gewiss, die SP ist eine traditionelle Kaderpartei, will heissen, das Kader gibt vor, das Fussvolk folgt, und dennoch ist zu anerkennen:
- Ein High-Risk-Strategie ging auf, deren Ziel nicht bloss die Frauenförderung war, sondern genauso die Jositsch-Verhinderung
- Wäre er Kandidat geworden: Er hätte beste Aussichten gehabt, von den Bürgerlichen gewählt zu werden, ein rechter Sozialdemokrat, was gar nicht nach dem Geschmack der Parteileitung gewesen wäre
Wer wird nun Bundesrat? Sehr wahrscheinlich ein Berufspolitiker – sowohl bei der SVP als auch bei der SP. Thema für ein nächstes Memo.
Oder wie der französische Präsident Emmanuel Macron, kein Berufspolitiker, zu Bedenken gegeben hat:
«Wenn Politik nicht mehr eine Mission, sondern ein Beruf ist, werden Politiker noch eigennütziger als Beamte.»
Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Wochenbeginn
Markus Somm