Somms Memo
Die OECD-Mindeststeuer gibt es vielleicht nie. Weil die USA sie nie einführen
Washington, D.C., Hauptstadt der Welt. Wer will hier ein Gesetz aus Paris? (Bild: Shutterstock)
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Die Fakten: Die Republikaner im US-Kongress bekämpfen die OECD-Mindeststeuer. Neuerdings wollen sie Staaten sogar bestrafen, die eine solche einführen.
Warum das wichtig ist: Ob die USA die OECD-Mindeststeuer je übernehmen, ist sehr offen. Die Schweizer sollten zuwarten und sie am 18. Juni ablehnen.
Wenn es je zwei tragische Figuren in der SVP gegeben hat, dann heissen sie Ueli Maurer und Ernst Stocker, zwei tüchtige, konservative, bodenständige Politiker, die für einmal den Boden verloren haben:
- Die beiden waren massgeblich dafür verantwortlich, dass die Schweiz sehr rasch nach einer Lösung für den OECD-Unsinn einer international festgelegten Mindeststeuer für grosse Unternehmen gesucht hat
- Man schlug zu diesem Zweck eine Verfassungsänderung vor, um die 15 Prozent Mindestabschöpfung allen Kantonen vorzuschreiben – und setzte damit einen der bedeutendsten Vorzüge der Schweiz aufs Spiel: die tiefen Unternehmenssteuern in einigen Kantonen (Gewinnsteuer genannt), was mit einem zweiten Vorzug zusammenhängt: unserem ausgeprägten Steuerföderalismus
- Jahrzehntelang hat sich die Linke auf diesen eingeschossen und eine «Steuerharmonisierung» verlangt, was mit «Harmonie» etwa so viel zu tun hat, wie wenn ich, in meiner Jugend ein ausgewiesener Schrecken für jede Klavierlehrerin, Beethovens «Für Elise» spiele
Verkehrte Welt: Nun unterstützt ausgerechnet die super-souveräne SVP die Mindeststeuer, die bei den Unternehmenssteuern eine Steuerharmonisierung auf internationalen Druck mit sich bringt, während die super-fiskalistische SP sie zur Ablehnung empfiehlt. Am 18. Juni stimmen wir darüber ab.
Tatsächlich hat die SP für einmal recht – und die SVP steht im Schilf.
Wenn wir die jüngsten Entwicklungen in den USA betrachten, könnten die SVP und mit ihr die ganze Schweiz auch im Schilf versinken:
- Zwar hat US-Finanzministerin Janet Yellen der OECD zwei Jahre lang versprochen, die Mindeststeuer-Vereinbarung auch in ihrem Land umzusetzen – alle 38 OECD-Mitgliedstaaten hatten zugestimmt, darunter die Schweiz, und selbst die USA, die noch kurz zuvor immer dagegen gewesen waren
- Noch haben die USA aber gar nichts getan – und es deutet vieles darauf hin, dass es auch nie dazu kommt
Vor kurzem haben alle 25 Mitglieder des einflussreichen «Ways and Means Committee» des Repräsentantenhauses («Wirtschaft und Abgaben», WAK, in der Schweiz) einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der darauf abzielt, die OECD-Vereinbarung in die Luft zu sprengen. Man will sie nie akzeptieren – und geht noch weiter, indem Amerika allen Staaten Vergeltung androhen soll, die eine solche Mindeststeuer einführen, mitunter also der Schweiz, falls wir am 18. Juni die OECD-Mindeststeuer annehmen. Unter Vergeltung sind Steuererhöhungen für ausländische Unternehmen zu verstehen, die in den USA tätig sind.
Gewiss, die Republikaner stören sich vor allem am ersten Teil der OECD-Pläne, wonach weltweit spezielle Steuern für Big-Tech-Unternehmen geschaffen werden sollen (was in erster Linie das Silicon Valley beträfe), aber auch der zweite Teil, die Mindestbesteuerung, ist für eine Supermacht nur schwer zu verdauen: Seit wann werden amerikanische Steuergesetze in Paris geschrieben (wo die OECD zuhause ist) – und nicht mehr in Washington? Auch hier dreht sich die Debatte letzten Endes um die Souveränität.
- Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die USA heute noch gar nicht betroffen wären. Ihre bundesweite Unternehmenssteuer beträgt bereits 21 Prozent
- und wenn sie – wie das bei uns ebenso der Fall ist – mit jener der Bundesstaaten kombiniert wird, kommen für ein Unternehmen noch deutlich höhere Tarife zustande (bis zu über 30 Prozent)
Aus Sicht der Republikaner ist das allerdings gar kein Argument, zumal sie sich ja seit Jahren dafür einsetzen, dass die Unternehmenssteuern gesenkt werden – und wenn es geht, gerne auch unter 15 Prozent.
Wer nun meint, es handle sich bei diesem Gesetzesvorstoss um das Manöver von ein paar verrückten Republikanern, (wie man in unseren Medien ja die Republikaner gemeinhin darstellt), der täuscht sich:
- Im «House» (der grossen Kammer) besitzen die Republikaner die Mehrheit, hier kommt der Vorschlag durch
- Und auch wenn er im Senat von den knapp dominierenden Demokraten verworfen werden dürfte – oder wenn nicht, dann spätestens von Präsident Joe Biden, wenn er das Veto dagegen ergreift, ist seine Bedeutung nicht zu unterschätzen
Sollten sich die Mehrheitsverhältnisse nach den Wahlen 2024 im Kongress ändern – und im Weissen Haus ein Republikaner sitzen, ist der OECD-Deal in den USA sowieso gestorben. Vorher bleibt er aber sicher auf der Intensivstation, zumal auch die Demokraten wenig davon haben, ihn nun zu reanimieren – so schwer wiegt in ihren Reihen dann das Wort von Janet Yellen auch wieder nicht.
- Wenn sie in Paris Dinge verspricht, an die man sich in Washington beim besten Willen nicht mehr erinnern kann: Who cares?
Vor allen Dingen werden die USA andere OECD-Länder verunsichern: Was, wenn die Republikaner im kommenden Jahr die Oberhand gewinnen? Warum sollen wir jetzt noch kurz vor den Wahlen etwas umsetzen, das uns womöglich in Schwierigkeiten bringt bei einer allenfalls anders zusammengesetzten US-Administration?
- Das gilt auch für die Schweiz, das Land der Musterknaben, das es allen recht machen wollte, um am Ende alles falsch zu machen
Was uns am 18. Juni als «Rechtssicherheit» angepriesen wird, dürfte sich als das Gegenteil herausstellen, solange die USA nicht mitziehen. Wenn der Anspruch nicht ohnehin infantil ist: Sicher ist in diesen unsicheren Zeiten nur der Tod.
Oder wie es John Lennon, der Beatle, gesagt haben soll (was nicht stimmt, es war zuerst Allen Saunders, ein amerikanischer Journalist):
«Das Leben ist das, was uns passiert, während wir andere Pläne machen.»
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag
Markus Somm