Die neuste Nebelspalter-Printausgabe ist da

Mai-Ausgabe 2021
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser
Da sitze ich nun an meinem Stehpult und darf endlich ein Editorial schreiben. Spätestens jetzt habe ich es als Journalist geschafft. Doch es läuten nicht die Glocken Hosianna, oh nein! Ungewollt bin ich in den Strudel faschistischer Drahtzieher geraten, welche aus überteuerten Designerbüros nichts anderes im Sinn haben, als die Welt zu unterjochen. Das geht zumindest aus Dutzenden von Zuschriften hervor. Diese bewegen sich für die vergangenen Ausgaben vom März und April zwischen «… die beiden letzten Hefte zeigen, wo es unter Somm hingeht, einfach nur gruselig …» und der positiven Ausführung «… fantastisch, welche Verbesserung von einem auf den nächsten Monat möglich war».
Nun muss man wissen: Beide Ausgaben wurden, wie Dutzende davor, von meinem Vorgänger Marco Ratschiller und mir produziert, und wer uns kennt, weiss, dass wir uns nicht dreinreden liessen und lassen. Wir sind kognitiv gar nicht in der Lage, uns während der Arbeit zusätzlich um ideologische Belange zu kümmern. Dafür habe ich in meinem fortgeschrittenen Berufsleben eine interessante Erfahrung gemacht.
Zu meinem Unverständnis nehmen viele kritische Journalistinnen und Journalisten für sich in Anspruch, als Einzige den moralischen Ansprüchen, deren Massstab sie selber festlegen, zu genügen. Dabei lässt ihre Denkweise nur schwarz oder weiss, links oder rechts zu. Oder um es neudeutsch auszudrücken: «Mich interessiert nur, was in meiner Bubble passiert.» Ehrlich gesagt, das macht mir Angst. Wenn die vierte Kraft im Land schon so denkt, ist es nicht verwunderlich, wenn die Menschen auch so denken. «Doch davon geht die Welt nicht unter», sang schon Zarah Leander und ja, ich weiss, das Liebeslied wurde von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken missbraucht, und ich sehe schon wieder ein paar die Fascho-Keule schwingen. Dabei könnte uns gerade in dieser panik-pandemischen Zeit der Text etwas Mut machen: «Ich bin so allein / Wo ist ein Mensch der mich versteht / So hab ich manchmal voll Sehnsucht gefleht / Tja, aber dann gewöhnt ich mich dran / Und ich sah es ein / Davon geht die Welt nicht unter».
Doch so melancholisch möchte ich Sie nicht in den Frühling entlassen. Es gibt Veränderungen und denen kann man auch etwas Positives abgewinnen. Und so gebe ich Ihnen die Worte von Hermann Adam von Kamp (1796–1867) mit auf den Weg: «Alles neu macht der Mai, macht die Seele frisch und frei! Lasst das Haus, kommt hinaus, windet einen Strauss!»
Herzlich,
Ralph Weibel