Somms Memo
Die Deutschen kaufen weniger E-Autos – weil sie weniger subventioniert werden. Eine Technologie mit Zukunft sieht anders aus.
E-Autos auf der Strasse der Zukunft. Oder auch nicht.
Die Fakten: Der Absatz von E-Autos in Deutschland ging im Januar um 32 Prozent zurück – nachdem Subventionen gestrichen oder verringert worden waren.
Warum das wichtig ist: Politiker können die Technologieentwicklung nicht lenken. Solange sich die E-Mobilität am Markt nicht durchsetzt, hat sie keine Zukunft.
Noch im Dezember 2022 sah alles anders aus:
- 174 000 E-Autos wurden in Deutschland, dem grössten Auto-Markt in Europa, neu zugelassen
- Was einen Zuwachs von 114 Prozent bedeutete (gegenüber Vorjahr) – es roch nach Rekord, die Politiker feierten vorgezogene Weihnachten
Allerdings lagen dem Boom profane Ursachen zugrunde. Im Januar, das wussten die Deutschen, würden die Subventionen für E-Autos zurückgefahren:
- Bisher erhielt bis zu 9000 Euro, wer ein reines Batteriefahrzeug oder ein Brennstoffzellenauto kaufte. Die Prämie zahlte der Staat zum grösseren Teil, den Rest der Hersteller
- Etwas tiefere Vergünstigungen gab es, wenn man sich für einen Plug-in-Hybrid entschied
Ab Januar 2023 gelten neue Regeln:
- Maximal 6000 Euro statt 9000 für E-Autos
- Gar keine Subventionen mehr für Plug-in-Hybride
- Und ab 2024 sinken die Zuschüsse noch einmal: von 6000 auf 4500 Euro
Was tut der Mensch, wenn sich die Anreize verändern? Er passt sein Verhalten an – und Ökonomen, die an den Homo oeconomicus glauben, dürften mit einer gewissen Befriedigung Weihnachten verbracht haben, sofern sie sich die Zahlen der Neuzulassungen am Weihnachtsbaum zu Gemüte geführt hatten.
Denn die Deutschen kauften im Dezember so viele E-Autos wie nie zuvor, um von der höheren staatlichen Förderung noch zu profitieren, – wogegen im Januar wohl nur ein E-Auto kaufte, wer die Zeitung nicht gelesen hatte. Dass die Deutschen mit ihren eigenen Steuern die schöne Adventsstimmung finanziert hatten – das ging möglicherweise vergessen.
Wie erwartet brachen im Januar 2023 die Verkäufe der Lieblingsautos der Politiker geradezu ein:
Gewiss, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, will heissen, die Verkaufszahlen könnten, ja dürften sich in den kommenden Monaten wieder verbessern. Ebenso denkbar ist, dass die Deutschen, die weltweit als die grünsten Menschen gelten, sich dieses Rufes von neuem entsinnen und wieder vermehrt «grüne» Autos aus politischer Überzeugung kaufen. Wenn die Deutschen etwas tun, das wissen wir Deutschschweizer, dann tun sie es gründlich.
«Grüne Autos»? Ich habe diese Anführungszeichen mit Bedacht gesetzt.
- Ob die guten E-Autos nämlich übers Ganze gesehen weniger CO2 ausstossen als die bösen Autos, die Benzin und Diesel verbrennen, hängt im Wesentlichen davon ab, woher der Strom kommt
- In Deutschland stammt er zunehmend aus Kohlekraftwerken – seitdem das Land kaum mehr Erdgas aus Russland bezieht (was auch CO2 nach sich zog, aber deutlicher weniger als Kohle)
Mit anderen Worten: Wer sich um das Klima sorgt, fährt am besten gar nicht mehr Auto (und nimmt auch den Zug nicht, der ebenfalls dank Kohlestrom fährt) – sondern bleibt zuhause.
BEV Batterie-Elektrofahrzeuge / PHEV Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge
E-Autos sind auch moralisch gesehen nicht die guten Autos im Gegensatz zu den bösen Benzin- und Dieselautos.
Vor kurzem hat der amerikanische Autor Siddharth Kara ein Buch über den Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo veröffentlicht: «Cobalt Red: How the Blood of the Congo Powers Our Lives» (St. Martins).
- Das Metall ist eines der wichtigsten Bestandteile in den Batterien der E-Autos (und befindet sich auch in unseren Handys und Laptops, allerdings in viel geringeren Mengen)
- Ohne Kobalt läuft kein Tesla
Kara, ein Professor für Menschenhandel und moderne Sklaverei an der Universität Nottingham in England, bezeichnet sich selber als «Aktivisten». Er gilt als einer der besten Kenner der grauenhaften Materie.
Und grauenhaft sind die Geschichten, die er aus dem Kongo nach Hause gebracht hat. Im Kongo werden rund drei Viertel des weltweiten Bedarfs an Kobalt abgebaut – unter grauenhaften Bedingungen.
Wer sich an Steven Spielbergs Indiana Jones-Filme erinnert, wo Kinder in Bergwerken schuften, der hat etwa die richtigen Bilder im Kopf. Kara besuchte eine Mine, wo
- Tausende von Kindern, Frauen und Männern mit baren Händen das Kobalt aus dem Boden kratzten – in der drückenden Hitze und im dichten Staub
- Er fand «eine Höllenlandschaft aus Kratern und Tunneln, die von Wahnsinnigen mit Gewehren bewacht wurden». Er schildert eine «Mondwüste», eine «zerstörte Landschaft», die aussah, wie «ein Schlachtfeld nach einem Luftangriff»
In unzähligen Interviews, die Kara geführt hat, kommen diese Menschen zu Wort, die für unsere Teslas ihre Gesundheit und manchmal ihr Leben aufs Spiel setzen. Man vernimmt Geschichten, die man im Jahr 2023 nicht mehr für möglich gehalten hätte.
- Es sind Geschichten, wie wir sie aus dem 18. Jahrhundert kennen, als die Spanier in Peru die Indianer in ihre Silberminen schickten – als Sklaven, als Totgeweihte, als Menschenverbrauchsmaterial
- Es sind Geschichten von Kindern, die bei Unfällen verstümmelt werden, oder Müttern und Vätern, die ihre Kinder in der Mine haben sterben sehen
Dabei handelt es sich bei den Minen, die Kara beschreibt, um keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern sie kommen viel häufiger vor, als die E-Auto-Promotoren das zugeben. Kara geht davon aus, dass 30 Prozent der Minen im Kongo unter solche mittelalterlichen Bedingungen betrieben werden.
70 Prozent des Kobalts aus dem Kongo werden in China weiterverarbeitet. Mag sein, dass es daran liegt, dass wir im Westen so wenig davon erfahren.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die E-Autos die guten Autos sind.
Wer sich den Kauf eines neuen E-Autos überlegt, ist jedenfalls gut beraten, zuerst Karas Buch zu lesen – bevor er sich über die staatlichen Subventionsreglemente beugt.
Im Buch gibt es übrigens keine Bilder. Hätte Kara versucht Fotos zu machen, wäre er wohl nie mehr lebend aus dem Kongo zurückgekommen.
Ich wünsche Ihnen ein geruhsames Wochenende
Markus Somm