Somms Memo

Die CS reisst auch den Freisinn in den Abgrund. Doch vielleicht findet dort die Wiedergeburt statt.

image 21. März 2023 um 11:00
Kreditanstalt am Paradeplatz. Monument des Zürcher Freisinns.
Kreditanstalt am Paradeplatz. Monument des Zürcher Freisinns.
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Die Fakten: Mit der CS endet auch die Ära des Zürcher Wirtschaftsfreisinns. Seine Zentralbank wird abgewickelt. Warum das wichtig ist: Mehr Freiheit, weniger Staat. Der alte Glauben der FDP, der so zürcherisch war: Es glaubt sogar in Zürich keiner mehr daran. Die Wirtschaft selbst hat ihn ad absurdum geführt. Wenn junge Journalisten ihre ersten grossen Parteiromane schrieben, dann wählten sie oft mit Vorliebe den «Niedergang des Zürcher Wirtschaftsfreisinns» als Gegenstand – auch ich gehörte dazu, als ich mich beim Tages-Anzeiger zum Autor entwickelte, der sich Tiefgründigeres zutraute
  • Tiefgründig oder nicht. Man schrieb über den Niedergang, als der noch gar nicht begonnen hatte
  • Oder zu einem Zeitpunkt, da die FDP schon lange tot war. Wer zu spät schrieb, den bestrafte das Leben
Kurz, für linke Journalisten – und die meisten sind links – bot der Freisinn schon immer eine Projektionsfläche, wo sie ihr unerledigtes Verhältnis zu den meistens bürgerlichen Eltern abhandeln konnten, ohne dass das jemand persönlich nahm. Man zerbrach sich den Kopf über Ueli Bremi, und meinte den eigenen Grossvater. Ob die Realität das rechtfertigte, war zweitrangig. Niedergang, wo? Tatsächlich fällt auf, dass der Freisinn, als er denn wirklich mächtig war, sagen wir in den 1970er Jahren oder vor dem Ersten Weltkrieg, kaum je Gegenstand der Berichterstattung war. Wer Macht besitzt, sorgt dafür, dass niemand davon spricht. Das bedeutet Macht.
Auch die Historiker kümmerten sich kaum um den Freisinn.
  • Es gibt bis heute keine anständige Monografie über die zweifellos wichtigste Partei der modernen Schweizergeschichte
  • Während es diverse dicke Bücher über das vollkommen irrelevante Schicksal der PdA gibt, der einstigen kommunistischen Partei der Schweiz, die es kaum je auf einen statistisch relevanten Wähleranteil brachte

Wer sich wundert, hat nicht Geschichte studiert – zumal die meisten Historiker ebenfalls eher links standen. Wenn sie sich schon ins Archiv begaben, dann ins Sozialarchiv am Stadelhofen, wo jede noch so kleine Wendung der Arbeiterbewegung dokumentiert wurde, als wäre die Schweiz Schweden: Marxisten, Leninisten, Trotzkisten hielt man allemal für bedeutender als die ungeliebten, freisinnigen Büffel aus Zürich oder Winterthur.
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Die Schweizerische Kreditanstalt, (später Credit Suisse genannt), 1856 gegründet vom liberalen Staatsmann Alfred Escher, stellte ohne Zweifel eine freisinnige Institution dar. Wenn das gute Zürcher Bürgertum sein Geld jemanden anvertraute, dann der Kreditanstalt, wo die eigenen Verwandten sicherstellten, dass es seinen Wert behielt. Man besass ein Konto bei der CS, war abonniert bei der NZZ, schickte die Buben in die Pfadi Flamberg, als dieses Bürgertum, das am Zürichberg lagerte, wirtschaftlich, politisch und kulturell den Ton im ganzen Land angab. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es gehörte stets zum Geheimnis des schweizerischen Erfolges, dass hier viele Bürgertümer eine Rolle spielten:
  • Der liberal-konservative Daig von Basel – die womöglich arroganteste, aber auch geistreichste Variante
  • Die seltsam aristokratischen, oft blasierten Bernburger, die sich gar nicht als ein Bürgertum betrachteten, sondern lieber als burgundischen Landadel
  • Oder die calvinistischen Genfer, die ihre Republik so führten, als wären sie noch nie auf die Eidgenossenschaft angewiesen gewesen, obwohl sie seit dem 16. Jahrhundert nur dank dieser überlebt hatten

Trotzdem überragten die Zürcher alle, und auch ihre Bank hielt sich stets für die Nummer 1. Ob die Bilanzsumme das immer hergab, kümmerte niemanden. Wer am Paradeplatz stand, konnte kaum daran zweifeln. Die Bankgesellschaft mochte grösser sein, der Bankverein gerissener, die Kreditanstalt galt als vornehm. Die Queen unter den Banken.
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Vor diesem Hintergrund haftet ihrer jüngsten Geschichte etwas peinlich Berührendes an, auch Schäbiges – als ob eine alte Tante sich plötzlich einem Heiratsschwindler an den Hals geworfen hätte, so wirkte das Management der Credit Suisse zuletzt.
  • Geldgierig, draufgängerisch
  • Zu laut und in zu grellen Farben gekleidet wie ein Papagei
  • Ein verarmter russischer Grossfürst, der in der Nacht Taxi fuhr, um seine Champagner-Abhängigkeit zu finanzieren

Wenn die CS nun verschwindet, versinkt der Zürcher Freisinn mit ihr in den Untergründen des Paradeplatzes, wo jetzt der Todesfluss Hades fliesst – an den alten Schatzkammern des schweizerischen Finanzplatzes vorbei. Dabei war die letzte Ausformung des Zürcher Freisinns eigentlich schon ein Hybrid. Das Machtnetz, das einst Rainer E. Gut aufgezogen hatte, der langjährige Präsident der CS (1983–2000), ein Netz von einflussreichen Männern (und vereinzelten Frauen), das sich um Gut und dessen «Credit Suisse Group» herausbildete, als wäre er die Spinne, der sie alle ernährte – dieses Netz war bald viel mächtiger als die Partei selbst. Was früher, zu den guten Zeiten, nie der Fall gewesen war. Auch die «Freunde der FDP», ein Klub, den Walter Kielholz, ebenfalls ein CS-Mann, ins Leben gerufen hatte, schien bald mehr Freunde zu besitzen, als die FDP noch Wähler zählte.
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Beim diesem verlor der Zürcher Freisinn seit Anfang der 1990er Jahre jeden Reiz, Jahr für Jahr nahm der Wähleranteil der FDP ab, ob bei kantonalen Wahlen oder eidgenössischen. Längst hatte die SVP faktisch dem Freisinn den bürgerlichen Vorrang streitig gemacht, doch nicht zuletzt das CS-Netz, in dem auch die FDP nun zappelte, hielt die Illusion aufrecht, immer noch in der ersten Reihe zu sitzen. Macht als Vorspiegelung erwünschter Tatsachen. So gesehen mag der Untergang der CS für die FDP, insbesondere die schweizerische FDP, auch etwas Gutes haben. Wenn Tragödien etwas lehren, dann Realismus und Demut. Daran hatte es dem Zürcher CS-Freisinn schon seit längerem gemangelt. Eine Renaissance des (schweizerischen) Freisinns ist daher umso leichter zu erwirken. Oder um es mit Franz Josef Strauss zu sagen, dem bayerischen Brutalo-Realist: «Selbst dann, wenn man eine rosarote Brille aufsetzt, werden Eisbären nicht zu Himbeeren.» Ich wünsche Ihnen einen denkwürdigen Tag Markus Somm

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