Somms Memo
Die Credit Suisse am Ende. Oder wie Amerika eine Schweizer Bank ruinierte.
Rainer E. Gut. Am Anfang des Elends stand er. Amerika als Versuchung.
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Die Fakten: Die UBS übernimmt die Credit Suisse. Damit endet eine 166-jährige Schweizergeschichte.
Warum das wichtig ist: Noch nie stürzte ein Schweizer Unternehmen so rasch so tief. 10 Jahre Missmanagement, 30 Jahre Verirrung nach Amerika. Ein Panoptikum des Versagens.
Als Bundesrat, Nationalbank, Finma und die beiden Chefs der UBS und CS gestern das Ende der Credit Suisse in Bern bekanntgaben, genügte ein Blick auf die beiden Bankpräsidenten, um zu erkennen, was hier vorgegangen war:
- Axel Lehmann von der CS, nicht unsympathisch, aber hilflos und harmlos, ein freundlicher Berner, dem man gerne auf der Skipiste in Grindelwald begegnet, wo er einem den Weg zum nächsten Skilift zeigt, ein Mann, dem man ansieht, dass er noch nie als Chef irgendeine Krise gemeistert hat. Er redet leise, etwas weinerlich, was den Umständen geschuldet sein mag, kein Stahl ist da zu spüren, sondern gebrochene Eierschalen
- Daneben Colm Kelleher von der UBS, ein Ire von Geburt, ein Historiker aus Oxford, vor allem ein Banker von der Wall Street, der von Beginn weg klarstellt, dass er der Chef ist, dass er gesiegt hat, dass er weiss, wie man in einem amerikanischen Haifischbecken herumschwimmt, als wäre es eine warme Badewanne mit Entlein, die manchmal quietschen, bevor man sie erwürgt Der Mann ist Stahl, der Mann ist Amerika – neben ihm wirken die Schweizer alle irgendwie wie Menschen von einem anderen Planeten, dem Planeten der ewigen Liebe, wo alle nett zueinander sind
Es war ein Sinnbild für die Tragödie der Credit Suisse, einer Bank, die mehr als ein Jahrhundert lang «Schweizerische Kreditanstalt» hiess, also deutsch und deutlich, bis sie sich 1997 als Credit Suisse Group neu erfand, eine Anglifizierung, die kein Zufall bedeutete, sondern Programm:
- War man nicht fast eine amerikanische Bank geworden, die selbst an der Wall Street in New York zu triumphieren vermochte? Im Sinne von Liza Minelli: «If you can make it there, you’ll make it anywhere, New York, New York»
- 1978 hatte die Zusammenarbeit der Kreditanstalt mit der First Boston, einer blutrünstigen Investmentbank von New York, begonnen, 1988 übernahm man sie ganz, und bald setzte das ein, was am Ende die CS zu Fall bringen sollte: die Amerikanisierung des Managements, der Risikokultur, der Banksitten, der unverschämten Boni und Saläre aus dem Raumschiff Enterprise
Grössenwahn und Verblendung. Biedere Schweizer wollten nicht mehr biedere Schweizer sein, sondern amerikanische Haifische.
An erster Stelle dafür verantwortlich war Rainer E. Gut, ein Schweizer, der es in New York als Banker tatsächlich geschafft hatte, und vielleicht der Meinung war, die Schweiz sei zu klein für einen wie ihn. Statt in Amerika zu bleiben, kehrte er zurück und versuchte die Schweiz zu einem Amerika im Kleinen zu machen – sicher die Kreditanstalt. Er amtierte von 1983 bis 2000 als deren Präsident.
Wenn Gut mit seinem grenzenlosen Ehrgeiz, der in manchem einem eidgenössischen Selbsthass gleichkam, die CS ins Nirwana führte, dann verleitete er übrigens auch die Swissair dazu, sich plötzlich für die grösste europäische Airline zu halten. Gut war als Verwaltungsrat massgeblich an einer viel zu ambitionierten Strategie beteiligt. Wenn die Swissair überschnappte, dann auch dank Guts überspanntem Selbstbewusstsein.
Als die Swissair 2001 scheiterte, war es Guts Beziehungsnetz, das CS-Netz, das hinter dem Niedergang steckte. Sie trugen viel Verantwortung. So wie im Fall der CS wiederum das gleiche Netz im Hintergrund wirkte und unterging – zum letzten Mal. Es ist ein Panoptikum des Versagens. Eine Galerie der Versager:
Sie alle wurden direkt oder indirekt von Gut gefördert und oft noch gesteuert, als Gut selbst nur mehr Ehrenpräsident der CS war:
- Walter Kielholz, kein unfähiger Manager, aber ein Mann mit der Gabe, fatal falsche Personalentscheide zu fällen (Präsident 2003–2009)
- So machte er Brady Dougan zum CEO, der die Bank ausnahm wie eine Weihnachtsgans (CEO 2007–2015)
- und er bahnte Urs Rohner den Weg zum Chairman, ein brillanter Anwalt, aber ein vollkommen überforderter Bankier, der die Bank zehn Jahre lang im Abgrund versenkte (Präsident 2011–2021)
- Rainer Gut selbst hatte noch Lukas Mühlemann in die CS geholt und zum Chef berufen. Mühlemann misslang so gut wie alles, insbesondere spielte er bei der Swissair eine ebenso trostlose Rolle (CEO, Präsident 1997–2001)
Gewiss, die CS stand nicht allein. Die Versuchung, in der Weltliga mitzuspielen, ergriff viele Schweizer Konzerne in den 1990er Jahren. Grössenwahn und Verblendung herrschten nicht bloss am Paradeplatz, sondern genauso in Basel (Novartis), Baden (ABB) oder Zürich (Zürich-Versicherung) – vor allen Dingen auch an der Zürcher Bahnhofstrasse und am Aeschenplatz in Basel, wo die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) bzw. der Schweizerische Bankverein (SBV) residierten, zwei Grossbanken, die 1998 zur UBS fusionierten.
Beide hatten sich zu diesem Zeitpunkt genauso amerikanisiert – und es lief am Ende gleichermassen schief. Die UBS, die jetzt die CS retten muss, war 2008 beinahe untergegangen.
Dabei hätte man es wissen können. Amerika ist etwas grösser als die Schweiz, und die Geschäftspraxis an der Wall Street etwas ruppiger als an der Bahnhofstrasse, wo selbst das Tram höflich nickt, wenn man die Strasse überquert.
Christoph Blocher, ehemaliger SBG-Verwaltungsrat. Er war skeptisch.
Als Anfang der 1990er Jahre die SBG erste Amerika-Pläne erwog, wurde das im Verwaltungsrat natürlich diskutiert. Dabei nahm auch einer teil, den man bald (nach dem EWR) aus dem Gremium hinausdrängen sollte: Christoph Blocher, damals Nationalrat der SVP und Besitzer der Ems-Chemie.
Alle im Verwaltungsrat stimmten für die Amerika-Expansion, nur Blocher war dagegen (und liess diese Gegenstimme protokollieren):
«Wir sind keine Amerikaner», sagte er: «Wir sind Schweizer. Als Unternehmer, der auch in Amerika tätig ist, weiss ich, wie anders dort geschäftet wird. Ich warne vor diesem Schritt.»
Man stand am Abgrund, ohne es zu ahnen. Am nächsten Tag war man einen Schritt weiter.
Ich wünsche Ihnen einen trotz alledem gelungenen Wochenbeginn
Markus Somm