Somms Memo

Deutsche Bahn. Desaster-Bahn. Ein Land im Niedergang

image 14. August 2023 um 10:00
Warten auf den Zug. Bahnhof in Deutschland. (Bild: Keystone)
Warten auf den Zug. Bahnhof in Deutschland. (Bild: Keystone)
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Die Fakten: Bloss 65 Prozent der Fernzüge der Deutschen Bahn kommen pünktlich an. In der Schweiz sind es über 90 Prozent. Warum das wichtig ist: Es ist nur symbolisch – und doch scheint es, als ob die Deutschen ihre Identität verloren hätten. Ein Land im Niedergang. Wenn ich früher, in den 1980er Jahren, mit dem Zug nach Deutschlandfuhr – was ich oft tat, da ich dort studierte – dann war ich als Schweizer noch beeindruckt:
  • Die hellen IC-Züge wirkten ungleich moderner als unsere dunkelgrünen Wagen, die an die Geistige Landesverteidigung erinnerten. Füsilier Wipfli fuhr mit
  • Rollmaterial ohne jede Eleganz – mit überfülltem Nicht-Raucher-Abteil (grünes Polster, Kunststoff) bzw. Raucherabteil (rotes Polster), wo der Erstickungstod zum Angebot gehörte

Und natürlich kam ich in Deutschland immer genau dann an, wie der Fahrplan das vorsah.
Man mochte den Deutschen vieles vorwerfen, aber dass ihre Züge nicht pünktlich verkehrten: Das wäre niemandem als Kritik eingefallen. War es nicht schlimmer? Wenn etwas die DNA der Deutschen prägte – in guten und in schlechten Zeiten, in friedlichen und in schrecklichen – dann die je nach Epoche brutale oder erfreuliche Leistungsfähigkeit ihrer Bahn.
  • Es war zweifellos eine gute Zeit, als ich in der damaligen Bundesrepublik lebte: Ein heiteres, vernünftiges, selbstkritisches und tüchtiges Land
  • Vielleicht muss man gar von der besten Zeit sprechen, die die Deutschen in ihrer jahrhundertelangen Geschichte je erlebt hatten – zumal die Westdeutschen

Heute, so macht es den Eindruck, kann man an der Qualität ihrer Bahn ablesen, wie miserabel es den Deutschen gehen muss.
  • 65 Prozent der Züge der Deutschen Bahn kamen 2022 noch pünktlich an. Das entspricht in etwa der Leistungsbilanz der Kenya Railways

Um ihre schwergeprüften Fahrgäste zu entschädigen, gab das Staatsunternehmen 2022 insgesamt 92,7 Millionen Euro aus. Ein Rekord

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Witze über die Bahn scheinen inzwischen die einzigen noch politisch korrekten Witze im Land zu sein – und sie grassieren, selbst unter Bahnangestellten:
  • «Es wird Sie überraschen», soll ein Schaffner laut NZZ am Sonntag seinen Kunden vor kurzem mitgeteilt haben, «aber wir kommen heute tatsächlich pünktlich an, und Sie erreichen alle Anschlusszüge»
  • Das erinnert an den Galgenhumor, wie er seinerzeit im Arbeiter– und Bauernparadies DDR herrschte. Über die Staatsführung hiess es: «Sie tun so, als ob sie uns bezahlen – und wir tun so, als würden wir arbeiten».

Die Deutsche Bahn gilt in der Schweiz mittlerweile als so unzuverlässig, dass die SBB Ersatzzüge bereithalten, wenn ein ICE aus Deutschland in Basel anzukommen droht – im Wissen, dass er kaum je fahrplangemäss eintrifft. Mit den italienischen Bahnen, so hört man, erlebten die SBB solche Probleme so gut wie nie.

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Dolce far niente in Berlin, Pünktlichkeit in Neapel? So weit ist es mit Deutschland gekommen. Gewiss, die Deutsche Bahn ist bloss eine einzige Firma, und dazu eine staatliche. Nach wie vor gibt es zahlreiche, beeindruckende Weltkonzerne und Familienunternehmen, auf die die Deutschen zu Recht stolz sind, und doch scheint es symptomatisch:
  • In den letzten Jahren haben die deutschen Politiker die Weichen konsequent falsch gestellt – nicht nur bei der Deutschen Bahn, deren Führung sie verantworten
  • Sie setzten auf eine Energiewende, die unermessliche Ressourcen verschlungen hat, ohne ihre Ziele zu erreichen. Inzwischen fährt Deutschland seine Kohlekraftwerke wieder hoch – und das liegt nicht allein an den Russen. So gut wie nirgendwo auf der Welt liegen die Energiepreise höher als in Deutschland
  • Ebenso wurde der Sozialstaat unverdrossen ausgebaut, als ob es das Geld dazu vom Himmel regnete

Zum Teil traf das auch zu. Die Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank verleitete alle Politiker in Europa zum Überborden. Wenn sich das in Deutschland so verheerend auswirkte, dann vielleicht deshalb, weil es die Mentalität der Politiker ruinierte:
  • Sparen, eine alte protestantische Tugend, die die Deutschen gepflegt hatten wie einst die Pünktlichkeit, wirkte altmodisch, wenn nicht fantasielos
  • Man hielt zwar die Griechen zum Haushalten an, selbst aber gab man mehr aus und verschuldete sich weiter, als ob der Finanzminister kein strenger Süddeutscher war (Wolfgang Schäuble), sondern aus Kreta stammte
  • Das schien umso leichter zu fallen, weil man Jahr für Jahr als Exportweltmeister amtierte, eine Leistung, die auf ähnlichen Illusionen beruhte wie die schwarzen Zahlen im Bundeshaushalt

Denn bei aller Tüchtigkeit der deutschen Industrie: Der Euro war stets zu schwach und erleichterte ihr den Export, ebenso hatte man den ersten Rang als Exportweltmeister nicht allein wegen der eigenen Konkurrenzfähigkeiterrungen, sondern auch, weil das Land über Jahre hinaus weniger importierte. Warum? Weil der deutsche Staat die eigenen Infrastrukturen in einem Ausmass vernachlässigte wie kaum je zuvor.
  • Das betraf den Unterhalt und Neubau von Strassen, Brücken, Stromnetzen oder Gebäuden
  • Das bekam insbesondere die Deutsche Bahn zu spüren, die sich mit den fast tiefsten ErneuerungsinvestitionenEuropas zu arrangieren hatte


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So konnte man sich den Import mancher Rohstoffe, Maschinen oder Anlagen sparen. Und so bezahlte man am Ende für die Energiewende und den Sozialstaat. Windräder und Renten statt Brücken, die halten, und Bahnen, die pünktlich von A nach B fahren. Ist es wieder so weit, und wir müssen Heinrich Heine, den grossen deutschen Dichter, rezitieren «Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht Ich kann nicht mehr die Augen schliessen, Und meine heissen Tränen fliessen.» Heine schrieb das 1844. Damals mass das deutsche Schienennetz bereits 5000 km. Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Wochenbeginn
Markus Somm

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