Somms Memo

Der Kanton Zürich bleibt Mitte-links. Ein Debakel, ein Desaster, ein Fiasko für die Bürgerlichen.

image 13. Februar 2023 um 11:00
Zürich, Hauptort des wichtigsten Kantons der Schweiz. Wer hier gewinnt, verliert selten in Bern. 
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Die Fakten: Die SVP legt leicht zu, der Freisinn tritt am Ort, die Grünen bleiben verschont: Die Zürcher Wahlen bringen kaum Veränderungen. Warum das wichtig ist: Das ist eine gigantische Niederlage der Bürgerlichen. Das scheint ihnen aber nicht bewusst zu sein. Auf den ersten Blick konnte die Lage für die Bürgerlichen nicht günstiger sein:
  • Die Klimapolitik ist zur Energiepolitik mutiert. Die Menschen sorgen sich nun eher um den Energiepreis und eine sichere Versorgung denn um die Oberflächentemperaturen irgendwann am Ende des Jahrhunderts
  • Der Krieg der Russen gegen die Ukrainer hat die pazifistischen Grünen widerlegt: Es gibt keinen immerwährenden Frieden
  • Allenthalben fürchten sich die Menschen vor der Rezession, genauso vor der Inflation: wirtschaftlich schwierige Zeiten sind für die Bürgerlichen – das mag zynisch klingen – gute Zeiten. Im Hoch ist der Realismus, im Tief die linke Traumfabrik

Mit anderen Worten, unter solchen Umständen muss man, sofern man bürgerlich ist, Wahlen gewinnen – big time, und den Gegner vor sich hertreiben, bis er sich freiwillig ins Pfefferland abmeldet. Im Kanton Zürich ist gestern bei den Kantonsrats- und Regierungsratswahlen das Gegenteil geschehen.
  • Die Bürgerlichen legen ganz, ganz wenig zu (SVP und Mitte) oder machen keinen Wank (FDP), als befänden sie sich in den Wellness-Wochen
  • Die Linke bleibt stabil (SP, GLP) oder büsst bloss ein paar unbedeutende Sitze ein (Grüne, – 3)
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Wenn man dieses aus bürgerlicher Sicht jämmerliche Ergebnis mit den letzten Wahlen vor vier Jahren vergleicht, dann wird erst klar, wie jämmerlich es ist:
  • Denn 2019 bedeutete für die Linke einen Triumph – und ein Desaster für die Rechte
  • Die Grünen gewannen 2019 9 Sitze, die GLP ebenfalls 9, die SP verlor bloss 1
  • Dagegen brach die SVP um 9 Sitze ein, die FDP verlor 2

Es war ein Erdrutsch – für Schweizer Verhältnisse, eine Schlammlawine, ein Erdbeben. Wären die Bürgerlichen gestern auch nur annäherungsweise erfolgreich gewesen, dann hätten sie diese Machtverschiebung von 2019 rückgängig machen müssen – insbesondere hätte das geheissen, dass SVP, FDP und Mitte von neuem die Mehrheit im Kantonsrat stellen.
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Hinter diesem Ziel blieben sie weit zurück. Was die Bürgerlichen erreicht haben, gleicht der Leistungsbilanz eines Maurers, der eine Ruinenlandschaft zum Wiederaufbau vorgefunden hat, aber bloss ein Kellerfenster neu betoniert – während überall die zerstörten Häuser weiter zusammenbrechen, als wäre er gar nie zur Arbeit erschienen. Wenigstens hält nun das Kellerfenster.
  • Die Grünen erzielten 2019 9 Sitze, davon gaben sie 2023 bloss 3 ab. Netto: + 6
  • Die GLP errang 2019 ebenfalls 9 Sitze. 2023 kommt 1 Sitz dazu. Netto: + 10
  • Und die SP verlor 2019 einen Sitz – den sie jetzt, 2023, zurückerobert hat. Netto null (was die Partei ja auch in anderen Dingen anstrebt)
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Wie anders sieht dagegen die Rechnung der Bürgerlichen aus:
  • Die SVP gab 2019 9 Sitze ab, gewann 2023 1 zurück. Netto: – 8
  • Der Freisinn verlor 2019 2 Mandate, errang 2023 kein neues. Netto: – 2
  • Die CVP büsste 2019 1 Mandat ein, die BDP (die es damals noch gab) verlor gar 5 Sitze. Vier Jahre später erreicht die Mitte (ein Fusionsprodukt aus CVP und BDP) 3 neue Sitze. Netto: – 3

Kurz: Die Klimalinke aus SP, Grünen und GLP legte insgesamt um 16 Sitze zu. Die Bürgerlichen fielen um 13 Sitze zurück. Im Verbund mit der Alternativen Liste (u.a. ehemalige Kommunisten) und EVP haben sich diese linken Parteien im Übrigen zu einer «Klima-Allianz» verbunden, womit sie auf 91 Sitze im Kantonsrat kommen. Einer Mehrheit. Geht es um den Kantonsrat, besitzt die Linke nun im einst bürgerlichen Beton-Kanton Zürich die Oberhand. Ein historisches Ereignis, ein historisches Desaster.
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Dem hätten die Bürgerlichen vorbeugen müssen. Das ist ihnen gründlich missraten. Warum? Drei vorläufige Überlegungen:
  • Hallo, ist da ein Wahlkampf? Wäre in den vergangenen Wochen ein Berner oder ein St. Galler nach Zürich zu Besuch gekommen, er hätte nie bemerkt, dass er hier auf einen Kanton im Wahlfieber traf. Die Journalisten dösten, die Politiker schliefen, die Bürger fuhren in die Ferien Kein Wahlkampf befestigt den Status quo. Wenn sich niemand über die herrschenden Verhältnisse aufregt, wird sich daran auch nichts ändern. Also wählten die Zürcher den bisherigen Regierungsrat vollzählig von neuem (ganz gleich, welcher Partei ein einzelner Regierungsrat auch angehörte). Und genauso bestätigten die Zürcher die Mehrheitsverhältnisse im Kantonsrat (nämlich Mitte-links)

  • Inhalte? Von den Plakaten lachten nette Menschen, die uns aber nichts mitzuteilen hatten – ausser Plattitüden. Wer wie die Bürgerlichen die Krallen ausfahren muss, darf nicht wie eine schnurrende Katze daliegen und sich zum Streicheln auf den Bauch drehen

  • Niemand kämpfte, niemand (ausser Peter Grünenfelder) tat so, als würde er kämpfen. Insbesondere die bürgerlichen Regierungsräte führten sich auf, als gehörten sie einem überparteilichen Hof an. Wie Könige thronten sie über den Meinungen. Wer den Bürgerlichen zuneigte, musste auf den Gedanken kommen, es sei alles bestens im von Mitte-Links beherrschten Kanton Zürich

Warum wählen, warum sich erst die Mühe machen? Oder wie der grosse amerikanische Präsident Abraham Lincoln, ein Republikaner, einmal feststellte: «Wahlen gehören dem Volk. Es ist seine Entscheidung. Wenn sich die Bürger dafür entscheiden, dem Feuer den Rücken zu kehren und sich den Hintern zu verbrennen, dann müssen sie selber auf ihren Blasen sitzen.» Ich wünsche Ihnen einen glänzenden Wochenbeginn Markus Somm

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