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Der Bundesrat wartet auf Godot. Der Schweiz geht bald Strom und Gas aus

image 30. Juni 2022 um 10:34
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Die Fakten: Der Bundesrat geht davon aus, dass schon diesen Winter Gas und Strom fehlen. Er plant eine «Sensibilisierungskampagne», er rechnet mit Rationierungen.

Warum das wichtig: Selten musste eine Regierung die Folgen ihrer verfehlten Politik noch selbst erleben. Die Energiestrategie ist ein Fiasko.


Gestern traten die Bundesräte Simonetta Sommaruga (SP) und Guy Parmelin (SVP) vor die Medien, um das bisher vielleicht grösste Staatsversagen in der Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu verkünden:
  • Schon im kommenden Winter, so sagten sie, werden uns aller Wahrscheinlichkeit nach Strom und Gas ausgehen
  • Es droht eine Rationierung wie im Krieg

Staatsversagen?
Wenn der Staat etwas beherrschen sollte, dann die Vorbereitung auf Notlagen. Unser Staat kann es nicht mehr. Wir haben es zu Anfang der Corona-Pandemie erlebt, wir erfahren es von neuem.
  • Zwar wird viel herumgedoktert an diesem Staat
  • auch wird er laufend umfangreicher, teurer und aufdringlicher
  • doch in seinem Kerngeschäft – Sicherheit und Vorsorge – versagt er immer öfter

So wie unsere Politiker die schweizerische Armee dermassen vernachlässigt haben, dass sie inzwischen nicht mehr bereit ist für einen Krieg – obwohl alle wissen, dass Kriege seit Tausenden von Jahren vorkommen, solange es Menschen gibt, – genauso haben unsere Politiker mutwillig die Energieversorgung ruiniert:
  • Seit gut hundert Jahren verfügte die Schweiz stets über eine erdbebensichere Stromversorgung. Selbst in Kriegszeiten
  • Nun warnt der Bund vor einer «Strommangellage», zuerst hiess es, das könnte 2025 eintreffen, dann war es 2024, jetzt ist es schon morgen: 2023

Hundert Jahre die beste Stromversorgung der Welt – und dabei zum grössten Teil von eigenen Unternehmen aufgebaut, eigenen Banken finanziert und von einheimischen Firmen betrieben.
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Das war umso wichtiger, weil das gleiche Jahrhundert auch bewies, wie sehr die Schweiz dem Ausland ausgeliefert war, wenn es um alle anderen Energieträger ging. Man war verletzlich:
  • Im Ersten Weltkrieg wurde die Kohle knapp. Deutschland, der wichtigste Lieferant, führte Krieg und brauchte die Kohle selber. Kohle war damals unverzichtbar: damit heizte man, betrieb die Eisenbahn und auch die Industrie hing noch weitgehend von der Kohle ab
  • Im Zweiten Weltkrieg ging der Treibstoff aus – und an Kohle fehlte es erneut. Synthetische, hier produzierte Treibstoffe reichten nie und nimmer aus. Es wurde rationiert
  • In den 1970er Jahren erlitten wird den Öl-Boykott der arabischen Erdölproduzenten. Das stürzte den Westen in die Rezession. In der Schweiz behalf man sich mit Sonntagsfahrverboten

«Gott sei Dank», das sagten sich alle Schweizer in jenen schweren Zeiten, hatten wir immer genug Strom – hausgemacht, krisensicher, sauber.
Vor diesem Hintergrund war die Energiestrategie ein Irrsinn. Doris Leuthard, eine Bundesrätin mit viel Ehrgeiz, aber wenig Demut, was ihre eigene Kompetenz in Energiefragen anbelangte, trat an, die Stromproduktion dieses Landes von Grund auf neu zu bauen, – wozu gar kein Anlass bestand:
  • Die Klimapolitik diente als Vorwand, denn unsere Stromproduktion war so gut wie CO2-frei – wie uns selbst die Internationale Energieagentur attestierte
  • Die Energiestrategie, die Leuthard durchsetzte, zielte in erster Linie darauf ab, den Atomausstieg voranzutreiben. Dabei war schon damals klar, dass die erneuerbaren Energien noch lange nicht in der Lage sein würden, den Atomstrom zu ersetzen
  • Noch lange nicht? Solange es keine gute Speicherungsmöglichkeit für Strom gibt: eigentlich nie. Denn für jede Solaranlage und jedes Windrad braucht es ein Back-up, zumal Wind und Sonne unberechenbar sind
  • Und dieses Back-up bieten entweder AKWs oder Kraftwerke, wo man mit fossilen Brennstoffen den Strom erzeugt

Schon in der Botschaft zur Energiestrategie, die 2013 vorgelegt wurde, ging der Bundesrat deshalb davon aus, dass neue thermische Kraftwerke errichtet werden müssen, die man entweder mit Gas oder sogar Erdöl betreiben würde.
Bis 2020, so steht es in der Botschaft, wollte man 1,65 TWh Leistung zubauen. Und im Jahr 2035 sollten gar weitere 13 TWh Strom aus fossilen Kraftwerken zur Verfügung stehen.
Ich wiederhole: Das schrieb der Bundesrat vor 9 Jahren. Was hat er bisher getan?
Nichts.
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Die beiden Landstreicher Wladimir und Estragon im Stück Warten auf Godot von Samuel Beckett. Ratlos. 
Kein neues Kraftwerk ging in Betrieb, kein neues Kraftwerk wurde geplant, stattdessen hoffte man auf die baldige Ankunft von Godot:
  • «Warten auf Godot» heisst ein berühmtes Theaterstück von Samuel Beckett, einem irischen Autor, das alle kennen, ohne es je gelesen zu haben
  • Im Fall von Leuthard und ihrer Nachfolgerin Sommaruga bestand Godot aus einem freundlichen Ausländer, der einem seinen Strom verkauft
  • Denn die Energiestrategie war schon immer eine Stromimportstrategie, worauf deren Kritiker schon im Abstimmungskampf hinwiesen

Und so traf ein, was nie hätte eintreffen dürfen: Godot spielte Gott – und tauchte nie auf.
Inzwischen ist der Strom im Ausland knapp – also gibt es auch keinen Strom für uns.
Schon am 17. Februar 2022, also sieben Tage bevor der Krieg in der Ukraine ausbrach, trat Bundesrätin Sommaruga vor die Medien und warnte vor einer «Strommangellage».
Dann kam Godot doch noch – aber als Putin verkleidet und stellte das Gas ab. Nun mangelt es uns auch noch an Gas. Hätten wir in den vergangenen neun Jahren ein Kraftwerk gebaut (am besten ein AKW, aber auch ein Ölkraftwerk würde genügen), dann hätten wir immerhin genug Strom.
Stattdessen bekommen wir nun eine «Sensibilisierungskampagne», die der Bund bezahlt, also wir, wo wir vielleicht lernen, wie man im Dunkeln seine Brille wiederfindet. Ebenso spricht der Bundesrat von einer möglichen «Kontingentierung» der Energie, um das etwas missverständliche Wort «Rationierung» zu vermeiden, das allzu sehr an trockenes Brot und ranzige Butter erinnert.
Doch wofür werden wir da sensibilisiert: auf unsere Notlage oder die Not, in die sich der Staat selbst gebracht hat?
Staatsversagen im Jahr 2022. Der hilflose Staat, der sich selbst nicht mehr helfen kann.
Als ein Journalist des Tages-Anzeigers an der Medienkonferenz der Regierung die Frage stellte, worauf sich die Bevölkerung nun im schlimmsten Fall einstellen müsse, verschlug es den Magistraten buchstäblich die Sprache:
  • zehn Sekunden lang antwortete keiner
  • dann begann Sommaruga ihrem Kollegen Parmelin etwas zuzuflüstern: Sie übersetzte ihm die Frage, als hätte er sie nicht verstanden, (was ich bezweifle), womit sie aber vor allem davon ablenkte, dass die Frage auch sie anging, die Energieministerin
  • Schliesslich nahm sich Parmelin ein Herz und warnte vor einer Katastrophe
Er glich ein wenig dem Jungen in Becketts Stück, der manchmal vorbeikommt, um die beiden Landstreicher, die da auf Godot warten, auf morgen zu vertrösten. Parmelin und Sommaruga, die Boten Godots.
Sicher kommt er noch.


Ich wünsche Ihnen einen heiteren Tag Markus Somm


P.S. Ich entschuldige mich für die ausserordentliche Verspätung. Auch ich wartete zu lange auf Godot.

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