Printausgabe

Das Kuchendiagramm

image 24. Mai 2023 um 07:00
image
Eine unserer Paradedisziplinen ist bekanntlich das kritische Hinterfragen von Statistiken – und damit einhergehend: Von Grafiken, mit denen ebendiese illustriert werden. Lassen Sie uns heute das heiss geliebte Kuchendiagramm und die damit auftretenden Herausforderungen eingehend besprechen.
Üblicherweise stellt das Diagramm die Aufteilung einer bestimmten Menge in verschiedene Rubriken dar: 2023 sind 20 % der Ausgaben des Staates Tiki-Taka für Strassenbau budgetiert, 10 % für Bildung und so weiter, siehe bitte Illustration. Ein Teil ist auch für die Verwaltung bestimmt, denn jemand muss uns ja die Zahlen liefern, damit wir ein Kuchendia… – gut, ich höre auf, denn dies ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Ist ein Budget-Entwurf erstellt, so entbrennen in den allermeisten Fällen hart geführte Diskussionen: Der Lehrerverband hebt die Hand und sagt: «10 % für Bildung, das ist ein schlechter Witz», worauf das Tiki-Taka Verteidigungsministerium seine 30 % vom Kuchen verteidigt, verbal, zum Glück, was natürlich das Amt für Strassenverkehr erbost. Ein Dilemma jagt das andere. So ist Politik, das Leben ist kein Vermicelles.
Der Kuchen wird also neu aufgeteilt, und spätestens ab diesem Zeitpunkt sollte die Fachwelt von einem Kreisdiagramm sprechen, per Dekret, denn Menschen, die nach der Neuverteilung immer noch von Kuchen sprechen, haben in ihrem Leben vermutlich noch nie einen solchen zerteilt, an einem Kindergeburtstag beispielsweise. Wenn Leonie nach der Aufteilung ein grösseres und Karla ein … – irgendwann mutiert der Schoko-Cake zu Paniermehl. Ein Krümelmeer.
Was tun? Der Klassiker ist unbestritten Situation A in der Illustration: Der eine Budgetposten wird mit mehr Geld bespasst, weshalb der andere (siehe rot schraffierter Bereich) – doch warten Sie einen Moment, liebe Leserin, lieber Leser, warum nicht kreativ denken, out of the box sozusagen, und den Kuchen einfach ein bisschen vergrössern? Das kann doch nicht so schwierig sein, siehe Situation B, grün schraffiert: Leonie kriegt mehr Glasur für Militär, während alle anderen Kinderlein gleichzeitig nichts von ihrem Stück abgeben müssen. – Voilà. Wie die Mutter von Jamie, ihres Zeichens Organisatorin der Party, dies bewerkstelligen sollte, ist nicht unser Problem, Gott im Himmel, improvisiert doch ein bisschen!
Bezüglich der oben erwähnten Fragestellung sei angefügt, dass nicht überall auf der Welt mit gleicher Intensität über den Kuchen diskutiert wird. In China zum Beispiel brillieren die Volksvertreter mit einem impliziten Einverständnis. Apropos ferne Länder: Sie haben es vermutlich bemerkt, Tiki-Taka ist gar kein Land. Der Begriff stammt aus dem Fussball. Das Land von Pippi Langstrumpf heisst Taka-Tuka, aber das ist piepegal für unser Beispiel.
Um langsam zum Schluss zu kommen: Zeigen Sie Improvisationsvermögen in finanziellen Belangen, sei es nun im Staats- oder im privaten Haushalt. Und ja, denken Sie bitte über den Kauf eines zweiten Backofens nach. Auf Wiederlesen.
Nebelspalter-Abo bestellen Weil Humor die beste Medizin ist. Bestellen Sie jetzt das älteste Satiremagaz der Welt. Jahresabo (10 Ausgaben, CHF 98) Probeabo (3 Ausgaben, CHF 20) Geschenkabo (10 Ausgaben, CHF 98)
Sie können das Abo auch telefonisch bestellen: +41 44 242 87 87
image
Jürg Kühni


#WEITERE THEMEN

image
Grosses Interview zum Fachkräftemangel

Professor Eichenberger: «Wer den Einkommensbegriff nur aufs Geld verengt, ist geldgeil»

29.5.2023

#MEHR VON DIESEM AUTOR