Somms Memo

Christoph Blocher zum Ukraine-Krieg: Er irrt

image 22. August 2022 um 10:00
Christoph Blocher, alt Bundesrat und Vordenker der SVP.
Christoph Blocher, alt Bundesrat und Vordenker der SVP.
Die Fakten: Christoph Blocher, alt Bundesrat, sieht im Ukraine-Krieg die Schweiz als Kriegspartei an. Sie habe ihre Neutralität gebrochen.

Warum das wichtig ist: Indirekt macht Blocher die Schweiz für den Tod von russischen Soldaten verantwortlich. Ist es Unsinn, so hat es doch Methode.


In einer Kolumne in seinen zahlreichen Gratisblättern hat sich Christoph Blocher letzte Woche zum Ukraine-Krieg geäussert. Mit Blick auf einen Artikel im Tages-Anzeiger, wo die vielen jungen russischen Soldaten beklagt wurden, die gefallen sind, stellte er die Frage:
«Warum sind sie tot? Irgendjemand muss sie ja getötet haben.»
Natürlich war das eine rhetorische Frage. Die Antwort gab er gleich selbst:
«Und damit sind wir bei der anderen Seite der Medaille: Wie in jedem Krieg kämpfen zwei Parteien. Die jungen russischen Soldaten wurden von ukrainischen Soldaten getötet. Diese wiederum werden durch den Westen bewaffnet, vor allem durch die USA, aber auch durch die EU. Sogar mit Unterstützung der neutralen Schweiz, welche die schweizerische Neutralität brach und damit Kriegspartei ist. Sie hilft mit, dass blutjunge russische Soldaten sterben müssen. Beispielsweise Eduard, Maxim, Boris oder Chan-Tsaj. Warum nur hat sich die Schweiz hier eingemischt?»
Blocher ist ein Meister der politischen Ruhestörung. Er überlässt nichts dem Zufall der Rezeption durch Dritte.
Wenn er sich so vernehmen lässt, dann dürfte er ganz genau wissen, welchen Entrüstungs-Tsunami er auslöst, wie viele Politiker er damit verschüttet, wie viele Journalisten plötzlich nach Luft schnappen – die Frage ist bloss, zu welchem Preis?
Zwei Beobachtungen:
  • Wie erwünscht regten sich sogleich diverse Politiker über Blocher auf, den ganzen Sonntag lang, genauso viele Journalisten. Blocher all over the News
  • Die Neutralität, ein Abstraktum, ist in aller Munde. In wenigen Wochen will Blocher seine Neutralitätsinitiative unter die Leute bringen. Neutralität in the News. Ziel erreicht

In der Sache mag Blocher auf den ersten Blick einen Punkt haben.
Selbstverständlich hat die Schweiz ihre Neutralität geritzt, als der Bundesrat sich entschloss, die Sanktionen der EU – und somit der USA und des gesamten Westens zu übernehmen. Sie sind Teil der Kriegsführung gegen Russland. Und doch ist es Unsinn.
  • Die Schweiz hatte keine Wahl
  • Und historisch ist es auch nicht das erste Mal, dass sich die Schweiz so verhält. Die Ukraine ist kein Präzedenzfall. So alt die schweizerische Neutralität auch ist, so alt sind auch deren Ritzungen

Nicht aus Frivolität oder Schwäche liessen wir das zu, sondern weil wir nicht darum herumkamen. Wir sind auch ein Kleinstaat – was Blocher besser weiss als fast alle Zeitgenossen.
Drei Beispiele:
  • Im Zweiten Weltkrieg lieferte die Schweiz in beträchtlichem Umfang Waffen ins Dritte Reich. Das war neutralitätsrechtlich in Ordnung. Es blieb uns auch nichts anderes übrig, wollten wir nicht verhungern. Doch die Schweiz gewährte den Nazis grosszügig Kredit, um diese Waffen zu kaufen, was dem Neutralitätsrecht widersprach. Manchmal fiel dieser Kredit sehr grosszügig aus, un-neutral grosszügig
  • Die Schweiz erlaubte den Amerikanern, während des Krieges in Bern eine Spionagezentrale zu unterhalten. Damit brachen wir ebenfalls die Neutralität. Es stellte sich als eine Lebensversicherung heraus
  • 1943 – Hitlers Armeen standen noch weit in Russland – verlangten die Amerikaner und Briten ultimativ, dass die Schweiz ihre Exporte nach Deutschland drosselte, was auf einen Boykott hinauslief. Die Schweiz wehrte sich zuerst, dann gab sie nach. Zuerst ein wenig, dann noch mehr, Anfang 1945 stellte sie den Handel faktisch ein:

«So möge denn der Bundesrat in Gottes Namen Realpolitik treiben und sich mit den Alliierten, von denen man so sehr abhänge, verständigen», gab Bundesrat Walther Stampfli zu Protokoll. Monatelang hatte sich die Regierung mit Verweis auf die Neutralität dagegengestemmt.
Ohne Zweifel, das waren ungewöhnlich harte Zeiten, und man kann sich fragen, ob die Zeiten heute auch so hart sind. Darüber kann man geteilter Meinung sein.
image
Ob Blocher aber, um seine Kritik vorzutragen, so ungeschickt und schlau zugleich operieren musste, steht auf einem anderen Blatt.
Es ist Krieg. Es sterben Menschen.
Ist es in solchen Zeiten wirklich nötig, Tabus zu brechen – um eine Debatte über integrale Neutralität anzustiften?
Um der Provokation willen, um ein paar Politiker zu erregen und ein paar Journalisten aus der Fassung zu bringen, so macht es den Eindruck, hat Blocher sich sehr zweideutig ausgedrückt, was einem wie ihm, der immer zum Eindeutigen neigt, nicht passiert, ausser er will es.
Ist es Unsinn, so hat es doch Methode:
  • Warum beklagt Blocher den Tod von russischen Soldaten – ohne je darauf einzugehen, wer für deren Tod wohl noch etwas mehr Verantwortung trägt als der schweizerische Bundesrat – wie zum Beispiel Wladimir Putin, der diese Soldaten in den Krieg geschickt hat? Blocher muss diesen Namen nicht erwähnen – aber, dass er ihn nie erwähnt, wirkt kurios. Der Richter verurteilt einen Taschendieb, der einen Mörder bestohlen hat, und lässt diesen deshalb laufen.

  • Hätte Blocher den Tod von jungen deutschen Soldaten auch dem Bundesrat angelastet, als dieser 1943 faktisch die Sanktionen der Alliierten übernahm?
  • Starben nicht zuerst auch ein paar ukrainische Soldaten? Wer tötete denn diese?

Gewiss, Blocher verteidigt nirgendwo das Vorgehen der Russen – und doch scheint ihn das auch nicht zu kümmern. Das macht es so herzlos, was er sagt, obwohl er so tut, als gehe ihm ans Herz, was in der Ukraine geschieht.

Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenbeginn Markus Somm

#WEITERE THEMEN

image
Bundeshaus-Briefing #13

Asyl, Gleichstellung, Banken-Boni

10.6.2023

#MEHR VON DIESEM AUTOR