Somms Memo
China warnt die USA. Kommt es zum Krieg?
Xi Jinping am Nationalen Volkskongress in Peking. Herr über Krieg und Frieden.
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Die Fakten: Die chinesische Regierung hält den USA und dem Westen vor, den Aufstieg ihres Landes zu hintertreiben. Das führe zu «Konflikten und Konfrontation».
Warum das wichtig ist: Reden die Chinesen einen Krieg herbei? Wer dermassen aufrüstet wie China, hat etwas vor. Die Situation erinnert an die Zeit vor 1914.
China sucht den Konflikt – oder meint, dass Amerika das tut, und will sich wehren. Eskalation heisst in Peking das neue aussenpolitische Programm.
Am Montag äusserte sich Staats- und Parteichef Xi Jinping am Rande der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses ungewöhnlich aggressiv:
- «Westliche Länder, angeführt von den USA, betreiben eine umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas, was beispiellose, ernste Herausforderungen für die Entwicklung Chinas mit sich bringt»
Einkreisen, Unterdrücken? Eine interessante Einschätzung von einem Staatspräsidenten, der in seinem eigenen Land Tausende von muslimischen Uiguren einkreisen und unterdrücken lässt, um sie dann in Konzentrationslager zu sperren.
Das war es allerdings nicht, was an erster Stelle auffiel.
Wenn etwas ungewöhnlich war, dann die Tatsache, dass Xi die USA so explizit und öffentlich angriff. Bisher vermied er das – und überliess das Säbelrasseln seinen Untergebenen oder den von seiner Regierung gesteuerten Staatsjournalisten. Selten nannte Xi die USA oder andere westliche Staaten beim Namen, wenn er sie kritisierte, sondern redete dann lieber von «gewissen Ländern» – wenn auch jedermann wusste, auf wen er damit zielte.
Ebenso lässt der Begriff «Eindämmung» aufhorchen, im Englischen: «Containment», ein Terminus aus dem Kalten Krieg. Damals sprachen die Amerikaner davon, die Sowjetunion «eindämmen» zu wollen, heute sehen sich die Chinesen als die von westlichem «Containment» betroffenen Opfer.
Eine zutiefst kommunistische Perspektive – natürlich –, und dennoch aus Sicht der Chinesen die Realität. Oder anders ausgedrückt:
Im Irrenhaus finden die Irren, die Wärter hätten den Verstand verloren.
Einen Tag später doppelte der neue Aussenminister Qin Gang nach. An einer Pressekonferenz sagte er:
- Der amerikanische Präsident Joe Biden sei unehrlich, wenn er behaupte, er möchte gute Beziehungen bewahren, stattdessen trage seine Regierung die alleinige Schuld an den Spannungen zwischen China und den USA
- Falls die Amerikaner ihren Ansatz nicht überdenken würden, gebe es «Konflikte und Konfrontation»
- Und er warnte sie davor, einem neuen McCarthyism zu verfallen
McCarthyism? Qin, der bis vor kurzem als chinesischer Botschafter in Washington gedient hatte, wusste genau, wie er die Amerikaner maximal beleidigen konnte.
Wenn er von McCarthyism sprach, dann meinte er die völlig überzogene Kampagne, die der amerikanische Senator Joseph McCarthy in den 1950er Jahren gegen Kommunisten und vermeintliche Kommunisten in den USA betrieben hatte. Wer auch nur im Verdacht stand, ein Buch von Marx auf dem Nachttisch liegen zu haben, wurde von McCarthy vor Gericht gezogen und dessen Familie bis ins siebte Glied verfolgt – etwas überspitzt gesagt. In den USA klingt das Wort wie Faschismus.
Spinnen also die Amerikaner? Hetzen sie wie seinerzeit McCarthy gegen kinderfreundliche Kommunisten, die nur schöne Kindergärten bauen wollen?
Die Realität ist eine andere:
- China hat in den vergangenen zwanzig Jahren seine Militärausgaben laufend erhöht. Von 2012 bis 2021 fand eine Verdoppelung statt. Niemand (ausser den USA) gibt heute mehr für den Krieg aus
- Die chinesische Marine – was es bis vor kurzem gar nicht gab – ist heute die grösste der Welt, wenn man ihre Schiffe zählt. Ausserdem verfügt das Land über eine riesige Küstenwache, sowie über eine ebenso riesige Fischereiflotte, die es, wenn nötig auch militärisch einsetzen kann, wie China das bereits bewiesen hat, als es zuerst mit Fischerbooten diverse Inseln im Südchinesischen Meer besetzte, die ihm eigentlich nicht gehörten. Inzwischen sind die Inseln zu militärischen Stützpunkten umgebaut worden
- Ebenso erweitert China ständig seine Luftwaffe, die bald, was ihre Grösse betrifft, zur amerikanischen aufschliessen dürfte. Genauso wie es sein Raketen-Arsenal erhöht hat. Und natürlich die Zahl der Atomwaffen. Nach amerikanischen Schätzungen hat das Land inzwischen 400 Atomsprengköpfe. Das ist doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren
Wozu rüstet China auf? Wer bedroht es denn? Die Philippinen, die Australier - oder eben die Amerikaner?
Gewiss, in anti-amerikanischen Kreisen, wie sie sich in Europa immer lauter vernehmen lassen, seit Russland die Ukraine überfallen hat, was man merkwürdigerweise den USA anlastet, ist man auch der Meinung, China sei ein Opfer des amerikanischen «Imperialismus».
Das ist natürlich Unfug.
- Es ist China, das sich offen mit dem Gedanken trägt, Taiwan, ein (faktisch) souveränes und demokratisches Land zu erobern. Man spricht von «Wiedervereinigung», wie wir uns das gewöhnt sind, wenn Diktatoren ihre Einkaufslisten vorlegen. China hat die Insel Formosa (heute Taiwan) übrigens 1894/95 nach einem verlorenen Krieg den Japanern abgetreten. Soll also Frankreich seine Ansprüche auf Algerien wieder aufwärmen? Auch Schlesien gehörte einmal zu Deutschland
- Es ist China, das dem grosszügigen (und etwas geldgierigen) Westen seinen Aufstieg verdankt, was es nicht davon abhält, heute noch in grossem Stil im gleichen Westen Industrie- und Militärspionage zu betreiben. Wer hat denn vor kurzem einen Ballon nach Amerika geschickt, um Raketenbasen auszukundschaften?
- Und es ist China, das sich nicht an die chinesisch-britische gemeinsame Erklärung aus dem Jahr 1984 hält, wo Hong Kong eine gewisse Rechtsstaatlichkeit und Demokratie für mindestens 50 Jahre zugesichert worden war. In Hong Kong wird auf Pekings Befehl hin die Demokratie ausgeräuchert
Manchmal kommt es mir vor, als ob China selbst nicht so genau wüsste, was es will. Das Land erinnert an einen Teenager, der zu rasch gewachsen ist und nun über überschäumende Kräfte verfügt, die er irgendwie einsetzen möchte – aber wofür?
China spannt die Muskeln die ganze Zeit, schüchtert alle Nachbarn ein, stösst Drohungen aus, beklagt sich an allen Orten, wie wenig Respekt man ihm entgegenbringe, es zeigt eine Kreuzung von Selbstbewusstsein und Weinerlichkeit, kurz, ein Land, das mit dem eigenen Aufstieg nicht zu Rande kommt.
Das Land erinnert mich an das deutsche Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg. Ein tüchtiges, von Erfolg strotzendes, glückliches Land, das trotzdem überall nur Rivalen und Neider sah, die ihm angeblich den Untergang wünschten. Thema für das Memo von morgen:
Worin gleicht China dem einstigen deutschen Kaiserreich – und welche Schlüsse müssen wir im Westen daraus ziehen?
Oder um es mit Konfuzius, dem grossen chinesischen Denker (551–479 v. Chr.), zu sagen:
«Wer fragt, ist ein Narr für einen Augenblick. Wer nicht fragt, ist ein Narr sein Leben lang.»
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag
Markus Somm