EU-Politik

Bundesrat Cassis’ Plan ist zum Scheitern verurteilt

image 29. März 2023 um 14:31
Bundesrat Cassis will plötzlich Verhandlungen, obwohl die wichtigsten Fragen ungeklärt sind. (Bild: Keystone)
Bundesrat Cassis will plötzlich Verhandlungen, obwohl die wichtigsten Fragen ungeklärt sind. (Bild: Keystone)
Der Bundesrat hat also «den Auftrag für die Erarbeitung von Eckwerten eines Verhandlungsmandats mit der Europäischen Union (EU) erteilt.» Parallel dazu soll «die gemeinsame Basis mit der EU im Hinblick auf die Aufnahme von Verhandlungen weiter präzisiert werden» (Link). Die Europhilen im Land jubeln. Sie haben Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) über Monate unter Druck gesetzt, genau dies durch den Bundesrat zu bringen. Der Tessiner war zu schwach, diesem Druck zu widerstehen.

Vom Weg abgekommen

Mit dem Entscheid verlässt der Bundesrat seine selber verkündete und in der Diplomatie bewährte Strategie, in Sondierungsgesprächen vor den eigentlichen Verhandlungen alle offenen Punkte weitgehend zu klären. In acht Runden von Gesprächen hat es in den entscheidenden Punkten keine Annäherung gegeben. Beim Nachvollzug von EU-Recht, bei der Streitbeilegung durch den Gerichtshof der EU und bei der Überwachung der Schweiz durch die EU-Kommission hat Brüssel keinen Millimeter nachgegeben. Bei inhaltlichen Fragen wie Lohnschutz oder den staatlichen Beihilfen soll es minimale, aber rein technische – und deshalb politisch kaum relevante – Zugeständnisse geben. Man darf gespannt sein, ob Ignazio Cassis so ehrlich ist, dies in seinen «Eckwerten» darzulegen.

Selbstverschuldete Zwangslage

Der Bundesrat manövriert sich mit dem Entscheid in eine Zwangslage, in der er schon einmal war. Im Herbst 2018 teilte die EU der Schweiz mit, für sie seien die Verhandlungen beendet, und die Schweiz solle das Verhandlungsergebnis akzeptieren. Im Februar 2019 versuchte Bundesrat Cassis der Öffentlichkeit klarzumachen, dass alle Probleme gelöst und insbesondere die Streitbeilegung durch den Gerichtshof der EU gar kein Problem sei. Das im Abkommen vorgesehene Schiedsgericht werde «Abkommensrecht» auslegen. Es wurde schnell klar, dass dies nicht der Fall und das Schiedsgericht gar nichts zu entscheiden hätte.
Ähnliches dürfte er jetzt wieder vorhaben. Cassis’ Plan ist es offenbar, beim Nachvollzug von EU-Recht den Text der EU nicht wörtlich zu übernehmen und dann zu behaupten, es handle sich um Schweizer Recht, wofür das Bundesgericht und nicht das EU-Gericht zuständig sei. Auf diese neue Finte werden weder die EU-Diplomaten noch der Gerichtshof der EU hereinfallen. Und schon gar nicht die Öffentlichkeit in der Schweiz.

Tsunami ist unterwegs

Cassis’ Vorgänger Didier Burkhalter (FDP) sagte bei seinem Rücktritt, eine «Welle» habe ihn dazu gebracht, sein Amt niederzulegen. Der Tsunami für Ignazio Cassis – und die FDP, falls sie bei dessen Spiel mitmacht – er ist unterwegs.

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