Bundeshaus-Briefing #22
Biodiversität, Autobahnen, Tabak, Beamte
Matthias Aebsicher (SP, BE) will Bundesrat werden. (Bild: Keystone)
Die wichtigsten Themen der zweiten Sessionswoche:
- die Biodiversität und wie wir unser Kulturland brauchen.
- die Strasseninfrastruktur und ob wir sie ausbauen.
- der Tabak und wie dafür Werbung gemacht werden darf.
- die Bundesbeamten und wie sie angestellt und entlöhnt werden sollen.
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Das gibt zu reden
Der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer hat seine Kandidatur für die Nachfolge von Alain Berset bekannt gegeben. Der 55jährige Ex-SRF-Journalist und Partner von GLP-Fraktionschefin Tiana Moser hat reelle Chancen, in der SP aufs «Ticket» zu kommen – und dann gewählt zu werden.
Das Zitat (Quelle): «Ich habe einen klaren Gestaltungswillen»
Was für einen Liberalen fast wie eine Drohung wirkt, ist Matthias Aebischers Programm: Etwas tun. Dabei immer mit allen reden, aber vor allem über die eigene (Partei-)Linie. Er kann sie hervorragend verkaufen.
Was seine Wahlchancen angeht, kommt es allerdings darauf an, wer in den nächsten Wochen auch noch antritt. Folgende Kandidaturen zeichnen sich noch ab:
- Der Basler Rachenengel: Beat Jans, ex-Nationalrat und derzeit Regierungspräsident von Basel wird gedrängt, die Wunde der Nichtwahl von Eva Herzog vom letzten Dezember ungeschehen zu machen. An Ehrgeiz fehlt es ihm nicht.
- Der Jungspund: Jon Pult (SP, GR) überlegt noch und prüft «vertieft», ob er kandidieren soll. Der Bündner lebt vom Ruf, ein konzilianter Bergler zu sein. Wer in Bern mit ihm zu tun hatte, weiss: Er ist auch knallharter Ideologe.
- Der Präsident: Dass SP-Co-Präsident Cédric Wermuth mit einer Kandidatur liebäugelt, ist ein offenes Geheimnis. Für eine Volkswahl in ein Exekutivamt ist Wermuth zu links, in der Bundesversammlung könnte er es schaffen, mindestens aufs Ticket.
- Der Heimliche: Ohne Sonderregelung bei den Waadtländer Sozialisten wäre Roger Nordmann (SP, VD) Ende der Legislatur sogar aus dem Nationalrat geflogen. Das Fraktionspräsidium der SP hat er für die Credit Suisse-Kommission aufgegeben und wurde doch nicht deren Präsident. Niemand hat ihn bis jetzt auf der Rechnung. Das ist sein Vorteil.
Und da ist noch der Unwählbare: Daniel Jositsch versucht es noch einmal. Doch da ist parteiintern zu viel Geschirr zerbrochen. Der Zürcher Ständerat dürfte es nicht aufs Ticket schaffen. Dann ist Schluss.
Meine Beurteilung: Bundesratskandidaten in den Polparteien gut Slalom fahren können: Um aufs Ticket zu kommen, müssen sie sich vor der Fraktion als stramme Parteisoldaten geben. Die Partei möchte einen Bundesrat, mit dem sie eng zusammen arbeiten kann und der ihr nützt. Haben sie diese Hürde genommen, geht es darum, von allen anderen als netter Teamplayer gesehen zu werden. Dieser Slalom ist Aebischer zuzutrauen, aber auch Jans, Pult und Nordmann.
Was nächste Woche aktuell wird
Die zweite Woche der Herbstsession dreht sich um die Umweltpolitik. Der Ständerat befasst sich mit der Biodiversitätsinitiative. Sie will, ohne es ausdrücklich zu sagen, dass dreissig Prozent der Fläche des Landes unter Schutz gestellt werden müssen. Die Verwaltung hat diesem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework zugestimmt. Aber das 30 %-Ziel fehlt ebenfalls.
Der Bundesrat hat einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Damit würden 2030 neu 17 % der Landesfläche unter Schutz gestellt. Heute sind es offiziell 13,4 %. Dies würde den Initianten einen teuren und kaum erfolgreichen Abstimmungskampf ersparen. Der Nationalrat hat dem Vorschlag zugestimmt. Der Ständerat war im Juni gegen einen Gegenvorschlag.
Die Kommission des Ständerates hat vertiefte Abklärungen über die tatsächlichen Flächen in Auftrag gegeben (Link zum PDF). Und siehe da: Aus den 13,4 Prozent wurden 23,4 Prozent – weil zahlreiche Gebiete trotz Schutzcharakter nicht einbezogen wurden. Das gab den Ausschlag, dass der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag im Juni ablehnte. Am Montag ist der Nationalrat wieder an der Reihe.
Meine Beurteilung: Die «Biodiversitätskrise» ist ein statistische Spielerei, bei dem viele Arten als «gefährdet» und eigentlich schon ausgestorben dargestellt werden. Das werden wir auch nächste Woche wieder zu hören bekommen. Die Artenvielfalt war noch nie so gross wie heute. Im Kern geht es der Initiative um das Brachlegen der Schweiz. Der demokratisch ordentliche Weg wäre, die Initiative vors Volk zu bringen. Ohne Gegenvorschlag.
Volles Programm in der zweiten Sessionswoche: Bundesrat Albert Rösti. (Bild: Keystone)
Im Ständerat geht es nächste Woche um die Nationalstrassen, was sie kosten und wo sie ausgebaut werden. Der «Ausbauschritt» wird wie letzte Woche der Ausbau der Autobahn A1 von links-grün bekämpft. Das dürfte erfolglos bleiben.
Der Nationalrat hat im Juni sogar mehr Geld gesprochen als der Bundesrat beantragt hat, nämlich 5,3 statt 4,4 Milliarden Franken. Das Nationalstrassennetz soll an sechs Orten ausgebaut werden:
- acht statt sechs Spuren auf der A1 zwischen Wankdorf und Schönbühl.
- sechs statt vier Spuren auf der A1 zwischen Schönbühl und Kirchberg.
- eine dritte Röhre für den Rosenbergtunnel der A1 bei St. Gallen.
- eine zweite Röhre für den Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen.
- sechs statt vier Spuren zwischen Le Vengeron GE und Nyon VD wird auf sechs Spuren ausgebaut.
- ein Rheintunnel zwischen Birsfelden BL und Kleinhüningen BS als Entlastung der A2.
- zusätzlicher Ausbau der A1 am Genfersee (vom Nationalrat hinzugefügt).
Es handelt sich um Abschnitte, die heute stark von Stau belastet sind. Das sei ein «gezielter Ausbau» finden die Befürworter. Die Gegner argumentieren, damit werde Kulturland geopfert und das Problem nicht gelöst. Auch wenn der Verkehrsminister nun Albert Rösti heisst: Die Vorlage stammt von seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga.
Meine Beurteilung: Nach Jahren des faktischen Stillstandes wagt der Bund eine Abkehr von der Politik der zunehmenden Verknappung der Strasseninfrastruktur. Volksabstimmungen dazu sind vorprogrammiert. Die Auseinandersetzung darüber dürfte ausserordentlich hart werden. Hier die links-grünen Stadtbewohner, die schon lange kein Auto mehr haben, dort die Bevölkerung in der Agglomeration und auf dem Land, die ohne Strasseninfrastruktur nicht auskommt. In den Agglomerationen wird oft Politik entschieden. Die Debatte hat den Sprengstoff, deren Bewohner nach rechts rücken zu lassen.
Zu achten ist auf:
- Nationalräte der FDP und der Mitte-Partei: Der Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative wurde von Teilen der Mitte und der FDP im Nationalrat unterstützt, von den Ständeräten bekämpft. Was macht die Fraktion nächste Woche?
- Bundesrat Albert Rösti: Ihm dürften Abstimmungskämpfe gegen die Biodiversitätsinitiative und für den Ausbau des Nationalstrassennetzes sogar entgegenkommen.
- Ständeräte der Mitte-Partei: Fallen Sie dem Vorstoss ihres Fraktionskollegen Fabio Regazzi für ein Verordnungs-Veto in den Rücken (siehe unten)?
Was sonst noch läuft
Am Donnerstag kommt eine Revision des Tabakproduktegesetzes in den Ständerat. Es ist die Umsetzung der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Die Vorlage des Bundesrates ging jedoch weit über den Initiativtext hinaus. Es war sozusagen das Geschenk von Bundesrat Alain Berset an die (von seinem Departement mitfinanzierte) Anti-Tabak-Lobby. Die vorberatende Kommission hat die Vorlage allerdings in einigen Punkten zurückgestutzt. So könnte sie die Ständeratsdebatte überstehen.
Im Nationalrat stehen noch drei Vorstösse zu den Anstellungsbedingungen der Bundesbeamten an. In einem Postulat fordert der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod, der Bund solle die Bedingungen des Bundes mit jenen in der Privatwirtschaft vergleichen und «unlautere Praktiken» bekämpfen. Anlass dazu sind Studien, dass Bundesbeamte trotz faktischem Kündigungsschutz 6 bis 17 Prozent mehr verdienen als Angestellte in der Privatwirtschaft. Die SVP will in einer Motion den Kündigungsschutz aufheben oder das Bundespersonalgesetz gleich ganz abschaffen, damit die Verwaltung nach Obligationenrecht angestellt wird – wie alle anderen Angestellten in der Privatwirtschaft auch.
Am Donnerstag berät der Ständerat (wieder einmal) den Vorschlag eines Verordnungs-Vetos. Die Idee würde die Aufsicht des Parlamentes über den Bundesrat und die Verwaltung stärken. Seit rund dreissig Jahren (Link zum PDF eines Überblicksartikels von Prof. Felix Uhlmann, Uni Zürich) scheitert dieses Instrument an der fehlenden Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien. Der letzte Anlauf scheiterte vor drei Jahren im Ständerat. Das könnte auch jetzt wieder passieren, obwohl die Idee dieses Mal von Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi stammt.
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und alles Gute!