Somms Memo

Biden muss sparen – ob er will oder nicht. Amerika steht sonst vor dem Staatsbankrott.

image 9. Mai 2023 um 10:00
US-Präsident Joe Biden im Gespräch mit amerikanischen Kongressabgeordneten.
US-Präsident Joe Biden im Gespräch mit amerikanischen Kongressabgeordneten.
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Die Fakten: Joe Biden trifft heute die Führer des Kongresses, um über die Schuldenobergrenze zu sprechen. Ohne Einigung werden die USA im Juni zahlungsunfähig. Warum das wichtig ist: Die amerikanischen Staatsausgaben sind ausser Rand und Band. Die Republikaner haben recht, wenn sie das nicht mehr mitmachen wollen. Irgendwann wird der Staat unbezahlbar – selbst für das reichste Land der Welt, Amerika. Eine Zeitlang macht man deshalb Schulden, irgendwann werden auch diese Schulden unbezahlbar, und irgendwann ist Schluss mit lustig. Wer wissen möchte, in welchem Schuldensumpf die USA versunken sind, dem mögen ein paar Zahlen helfen, die Abgründe des fiskalischen Feuchtgebietes zu erfassen:
  • 1929 beliefen sich die Staatsschulden der USA auf 17 Milliarden Dollar
  • Ende 2022 lagen sie bei 30,6 Billionen oder besser: bei 30 600 Milliarden Dollar
  • Das ist eine Steigerung um den Faktor 1800 – und selbst wenn man die kumulierte Inflation von 1700 Prozent berücksichtigt (also Faktor 17), die seither aufgelaufen ist, bleibt es eine ganz ausserordentliche Zunahme

Gewiss, ich höre bereits die Stimmen der Apologeten, die stirnrunzelnd darauf hinweisen, dass seither auch die Aufgaben des Staates sich vermehrt hätten. Und das stimmt ja: 1929 gab es in den USA kaum einen Sozialstaat, weder Autobahnen noch die NASA, ebenso besass das Land eine lächerlich kleine Armee. Last but not least ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA seit dieser Zeit gewaltig angestiegen, die Amerikaner sind 2022 unendlich viel reicher als 1929 kurz vor der Weltwirtschaftskrise – also können sie sich auch einen viel gewaltigeren Staat leisten.
Wenn man also wissen will, ob ein Land im Morast steckt oder nicht, dann ist eine andere Zahl zugegebenermassen aufschlussreicher als der absolute Schuldenstand, nämlich das Verhältnis der Staatsschulden zum BIP. Hier die Prozentzahlen für die USA:
  • 1929: 16 Prozent
  • 2022: 123 Prozent

123 Prozent. Das mag nicht so hoch sein wie in Italien (144 Prozent), dem uns am besten vertrauten Schuldensumpfbewohner – dem wir das allerdings meistens nachsehen
  • Weil es katholisch ist
  • Und weil wir das Land lieben

Doch für die seit dem 17. Jahrhundert super-protestantisch geprägten USA sind 123 Prozent ein Debakel. So hoch lag dieser Wert das letzte Mal im Jahr 1946, als er auf 119 Prozent zu stehen kam, aber das war ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg!
  • Dem teuersten Krieg aller Zeiten, den die USA praktisch allein für sich und alle anderen Länder bezahlt – und auch gewonnen hatten. Ohne USA würden selbst wir Schweizer heute vermutlich Hochdeutsch sprechen und uns auf eine komische Art begrüssen
  • Die USA bezahlten die Panzer und Flugzeuge für die Briten, und sie bezahlten Panzer, Flugzeuge, Schiffe, Waffen, Schlafsäcke, Uniformen, Lebensmittel und Stiefel für die Sowjetrussen
  • Bald übernahmen die Amerikaner auch die Kosten für den Wiederaufbau Westeuropas, insbesondere Deutschlands

Mit anderen Worten, 119 Prozent nach einer solchen welthistorischen Parforceleistung, für die wir Europäer den Amerikanern auf ewig dankbar sein müssen, geht wohl in Ordnung.
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Aber 123 Prozent im Jahr 2022 – zu Friedenszeiten (der Ukraine-Krieg spielt in dieser Rechnung noch kaum eine Rolle). Das geht gar nicht. Dieser Meinung sind auch die Republikaner – und sie haben recht, selbst dann, wenn man weiss, dass es ausgerechnet ihr Superstar Ronald Reagan war, der den Weg in die Schuldenwirtschaft als Erster beschritten hatte.
  • 1980, als er sein Amt antrat, lag die Schuldenquote bei 32 Prozent (Bund)
  • 1988, am Ende seiner Amtszeit, bei 50 Prozent

Nach ihm steigerten so gut wie alle Präsidenten die Schulden, ob Republikaner oder Demokraten, allein Bill Clinton (gemeinsam mit dem Republikanischen Mehrheitsführer Newt Gingrich) gelang es, sie im Verhältnis zum BIP zu mässigen, bis 2008 infolge der Finanzkrise alle Dämme brachen. Seither kommen die USA nicht mehr aus ihren selbstverschuldeten, strukturellen Defiziten heraus.
  • Jahr für Jahr geben die amerikanischen Politiker mehr aus, als sie einnehmen
  • Stattdessen häuften sie die Schulden an, als handelte es sich um ein Lego-Spiel. Je höher der Turm, desto besser

Präsident Joe Biden, der früher noch als fiskalpolitisch vernünftig galt, scheint das allerdings nicht zu beunruhigen. Als im Januar klar wurde, dass die USA keine neuen Schulden mehr aufnehmen durften, um ihre Ausgaben zu bestreiten, weil sie die gesetzlich vorgeschriebene Schuldenobergrenze längst überschritten hatten, behalf sich der Treasury, das Finanzministerium, noch mit ein paar buchhalterischen Tricks. Auf die Dauer geht das aber nicht. Hier steht Amerika nun. Nicht im Sumpf, sondern eigentlich unter Wasser. 10 000 Meter unter dem Meer. Wenn sich Republikaner, Demokraten und Präsident Biden in diesen Tagen nicht einigen, wie der Kongress diese sogenannte Schuldenobergrenze erhöhen kann, (was ihm zusteht, wenn eine Mehrheit dafür zustande kommt), dann dürfte die Zeit der Abrechnung angebrochen sein, der Schluss-mit-lustig-Zeitpunkt, der Bankrott. Man erwartet ihn im Juni.
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Und die USA, nach wie vor das mächtigste Land der Welt, sähe sich ausserstande, seine vielen Rechnungen zu begleichen:
  • Man könnte unter anderem die Schulden nicht mehr bedienen
  • Staatsangestellte bekämen keinen Lohn mehr
  • Oder die zahllosen Menschen, die auf Sozialhilfe, Lebensmittelmarken, auf Medicare oder Medicaid angewiesen sind, warteten vergebens auf ihr Geld

Kurz, die Zahlungsunfähigkeit steht bevor, und was das für die USA, aber auch die Weltwirtschaft bedeuten würde, will man sich gar nicht erst ausmalen. Es wäre eine Katastrophe. Nun wird verhandelt – obschon Biden tapfer behauptet, er verhandle keinesfalls.
  • Die Republikaner wollen die Obergrenze nur dann nach oben verlegen, wenn gleichzeitig gespart wird – unter anderem sollen die ungebundenen Ausgaben auf dem Niveau von 2022 eingefroren werden; OK, nicht ganz, sie dürften in den kommenden zehn Jahren um maximal 1 Prozent pro Jahr zulegen. Da die Inflation die Staatsausgaben aufbläht, ist das mehr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, und dennoch bleibt es viel zu wenig. Insgesamt würde man damit 4,8 Billionen Dollar weniger ausgeben – in einer Dekade wohl verstanden. Die Republikaner stellen im Repräsentantenhaus die Mehrheit. Vor wenigen Wochen haben sie eine entsprechende Vorlage beschlossen
  • Biden und die Demokraten wollen davon nichts wissen, gar nichts. Sie halten die Ideen der Republikaner für «extrem» und «gefährlich»

Wenn ich dabei an die 123 Prozent denke, frage ich mich, wer da Gefahren unterschätzt und zu extremen Positionen neigt. Joe Biden dürfte nachgeben müssen. Ganz Amerika litte unter einem Staatsbankrott, die ganze Welt, ja selbst wir in der Schweiz. Niemand aber litte mehr als Joe Biden. Er will 2024 wiedergewählt werden. Milton Friedman sagte zum Thema alles, was nötig ist: «Den grössten Teil der politischen Energie muss man dafür aufwenden, um die Auswirkungen des Missmanagements der Regierung zu korrigieren.» Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag Markus Somm PS. Gestern unterlief mir ein Fehler. Der Brief von Paulus an die Kolosser gehört nicht zum Evangelium. So gesehen hat Rishi Sunak an der Krönung von Charles III. nicht aus dem Evangelium vorgelesen, wie ich geschrieben habe. Das bleibt in einem anglikanischen Gottesdienst nach wie vor einem Priester vorbehalten.

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