Somms Memo
Amerika hat gewählt. Aber was denn nun?
Joe Biden, glückloser Präsident der USA, im Glück.
Die Fakten: Die Zwischenwahlen in den USA zeigen bisher ein unklares Ergebnis. Die Republikaner bleiben deutlich unter den Erwartungen.
Warum das wichtig ist: Joe Biden ist unbeliebt und hat eine miserable Politik gemacht. Trotzdem wird er nicht abgestraft. Sind die Wähler verrückt geworden?
Das ist ein schlechtes Resultat für die Republikaner. Zur Stunde (11 Uhr 30) sieht es eher danach aus, dass sie
- keine Mehrheit im Senat erreichen, was möglich schien
- und im Repräsentantenhaus, der zweiten, grossen Kammer, sehr viel weniger Sitze zulegen als erhofft
Weitum, selbst in den Mainstreammedien, die in der Regel die Demokraten unterstützen, hatte man mit einem Massaker für Joe Biden gerechnet. Von einer Red Wave war die Rede, einer roten Welle (rot ist die Farbe der Republikaner, blau jene der Demokraten), Wahldebakel in der Vergangenheit wurden herangezogen, die vielleicht übertroffen werden könnten, was das Ausmass der Demokratischen Niederlage anbelangte:
- Und nun das
- keine Welle, sondern ein rötliches Rinnsal
Noch ist es zu früh, die Ursachen genau bestimmen zu können, ein paar Vermutungen drängen sich auf.
1. In Trump We Trust?
- Im Senat scheiterten mehrheitlich Leute, die von Donald Trump, dem Republikanischen Ex-Präsidenten, empfohlen worden waren. Zum Teil hatten sie Vorwahlen für sich entschieden – gegen gemässigtere Republikaner, die jetzt in den Wahlen wohl besser abgeschnitten hätten. Ein Beispiel liegt in Pennsylvania, wo Mehmet Oz, der Trump-Fan, unterging – gegen einen Demokraten, John Fetterman, dessen Gesundheitszustand viele Fragen aufwarf. Dennoch gewann er.
- Gewiss, es gibt auch Gegenbeispiele, wie etwa in Ohio, wo der bekannte Autor und Republikaner J.D. Vance («Hillbilly Elegy») die Oberhand behielt. Auch für ihn hatte sich Trump ausgesprochen
Jedenfalls gilt: Wenn die Republikaner ihre Ziele nicht erreicht haben, dann hat auch Donald Trump verloren.
Er ging davon aus, dass sich die Rote Welle als ein Trump-Tsunami erweisen würde. Und dieser Tsunami ihn ins Weisse Haus zurückschwemmt. Das ist nicht geschehen.
Mag sein, dass er mit seinem Verhalten in den letzten Tagen der Sache der Republikaner noch mehr geschadet hat, als das bereits der Fall gewesen war.
- Kurz vor den Wahlen, fiel ihm nichts Besseres ein, als auf die eigenen Truppen zu schiessen. Trump, Oberkommandeur des Friendly Fire
- Er machte sich lustig über Ron DeSantis, den Republikanischen Gouverneur von Florida, ein aussichtsreicher Präsidentschaftsanwärter und damit Rivale von Trump
- er riss Witze über Ted Cruz, den konservativen Senator von Texas, auch ein Konkurrent
- er stellte Mike Pence, seinen ehemaligen, fast immer super-loyalen Vizepräsidenten, als Anfänger hin. Auch Pence überlegt sich eine Kandidatur fürs Weisse Haus
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Wenn es um Trump geht, sind wir uns ja einiges gewohnt: Unsinn, der Charme des Grobians sowie die Neigung, Loyalität mit Ohrfeigen zu belohnen (siehe Pence), doch so ungeschickt-egomanisch hat er sich noch selten benommen.
Womöglich meinte er, die Wahlen seien schon gewonnen. Stattdessen hat er sie verbockt.
Trump, das Kassengift?
Das allein dürfte jedoch nicht genügen, um die schwindsüchtige Performance der Republikaner zu erfassen.
2. Demokratie oder Glaubenskongregation?
Joe Biden, der amerikanische Präsident, hat keine beeindruckende Leistungsbilanz vorzuweisen. Je nach Standpunkt nennt man sie «durchzogen» oder «katastrophal»:
- die Inflation liegt so hoch wie schon lange nicht mehr: 8,2 Prozent
- die Kriminalität ebenso
- die Immigration ist ausser Kontrolle geraten. 2022 wurden bisher 2,21 Millionen illegale Grenzübertritte verzeichnet, ebenfalls ein Rekord. 2021 waren es 1,67 Millionen, damals schon ein Rekord
- Amerika erwartet eine Rezession
Hinzu kommt, dass Biden in allen Umfragen auf versalzene Werte kommt, was seine Popularität betrifft. Er ist etwa so unbeliebt, wie Trump das war.
Unter gewöhnlichen Umständen werden ein solcher Präsident und seine Partei in Zwischenwahlen abgestraft. Big Time.
Daran liegt mir viel, – nicht nur, weil ich Biden für unfähig halte, sondern weil ich an die Demokratie glaube.
Wenn Demokratie sich in den vergangenen zweihundert Jahren allen anderen politischen Systemen als überlegen gezeigt hat, dann liegt es an einer Eigenschaft vor allem:
- Demokratie sorgt für politischen Wettbewerb
- Wie in der Marktwirtschaft kann sich der Wähler aussuchen, welche Politik ihm passt und welche ihn enttäuscht
- Wer nicht liefert, wird abgewählt. So einfach ist das. Keine Regierung bleibt an der Macht, wenn sie eine schlechte Politik macht, die die Bürger ärmer und unglücklicher hinterlässt
Kurz, es muss Konsequenzen haben, wenn eine Regierung versagt. Das allerdings scheint je länger je weniger vorzukommen.
In Europa leiden wir schon lange unter diesem Phänomen: Welche Partei die Bürger auch wählen, es ändert die Politik kaum, die der Bürger erhält – siehe Deutschland, siehe Frankreich.
Nun beobachten wir in Amerika eine ähnliche Deformation. Demokratie verkommt zu einem Streit unter verschiedenen Glaubensrichtungen wie einst zu Zeiten der Reformation – und dabei sind Resultate und das Leistungsprinzip nicht mehr von Belang:
- Die einen sind protestantisch – und bleiben es, bis sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen
- Die anderen katholisch – und komme, was wolle, sterben sie katholisch
Wenige wechseln ihren Glauben, ganz gleich, ob sich eine neue Variante auftut, einen direkteren Weg in den Himmel zu finden.
In Amerika wählen die einen die Demokraten, die anderen die Republikaner, und das ist keine Frage mehr der politischen Ergebnisse, die eine Partei vorlegt, sondern bloss noch eine Frage des Glaubens.
Gleichen diese Parteien nicht eher Glaubenskongregationen?
Woran auch liegen mag, dass der politische Kampf so gehässig und absolutistisch geworden ist:
- Wer meine Meinung nicht teilt, soll in die Hölle fahren
- Selbst das Fegefeuer ist für meinen politischen Gegner noch zu schön
- Im Himmel treffe ich nur noch auf Parteifreunde
Amerika, Du hast es besser? Manchmal bin ich mir, ein grosser Bewunderer dieses Landes, nicht mehr ganz sicher. Otto von Bismarck, der einstige deutsche Reichskanzler, war in dieser Hinsicht optimistischer:
«Kinder, Betrunkene und die Vereinigten Staaten haben einen Schutzengel.»
Ich wünsche Ihnen einen versöhnlichen Tag
Markus Somm