Somms Memo
AKW-Verbot: Wie Freisinn und Mitte versagten. Oder die Pandemie des Hösi-tums
AKWs. Sie sind die Zukunft der schweizerischen Energieversorgung.
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Die Fakten: Ein Antrag der SVP, das AKW-Verbot aufzuheben, scheitert im Nationalrat. Nur vier Freisinnige und ein einziger von der Mitte stimmten mit der SVP dafür.
Warum das wichtig ist: Wovor haben FDP und Mitte Angst? Eine Mehrheit der Schweiz will wieder AKWs, wie eine jüngste Umfrage zeigt.
Es gibt Fragen, wo eigentlich jeder, der bürgerlich denkt, weiss, was er zu denken hat:
- Wir wissen, dass wir um ein höheres Rentenalter in der AHV nicht herumkommen. Simple Mathematik, das Einmaleins, sagt uns das. Es ist nicht einmal mehr eine Frage der Zeit, es müsste längst geschehen sein
- Wir wissen, dass eine Staatsquote, die gegen 50 Prozent rast, eine Fahrt an die Wand bedeutet – ein Blick auf alle Länder, die unter aufgeblähten Staatsapparaten leiden, beweist uns das. Das ist Empirie, nicht Ideologie
- Und wir wissen, dass die Atomkraft zurzeit die einzige taugliche Alternative zu fossilen Brennstoffen darstellt, die Zukunft hat. Das wissen die Erwachsenen, alles andere (Solar, Wind, Regentanz etc.) sind Märchen, die man Kindern erzählt – oder Menschen, die nie erwachsen werden wollen
Trotzdem getrauen sich sehr viele bürgerliche Parlamentarier nicht, das offen zu sagen, – was einer Mehrheit des Volkes im Übrigen nach wie vor klar ist.
- Nur in den Redaktionen unserer Medien sind die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt
- Aber diese, schätzen wir: rund zweitausend Journalisten, entsprechen 0,036 Prozent aller Wahlberechtigten
Keine erdrückende Mehrheit.
Und trotzdem stimmten fast alle bürgerlichen Nationalräte der FDP und der Mitte gestern gegen einen Antrag der SVP, das AKW-Verbot im Rahmen des neuen Energie-Mantelerlasses aufzuheben. Das Parlament hat dieses Gesetz («Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien») als Zweitrat beraten.
Was ist in diese Politiker gefahren? Hatten sie Angst vor einem bösen Kommentar im Tages-Anzeiger (brutal) oder in der WoZ (so gemein)?
Nur vier Freisinnige sowie ein einziger Vertreter der Mitte behielten die Nerven, es sind Helden der bürgerlichen Restüberzeugungsmenge (neben der vorbildlich geschlossenen SVP), sie verdienen es, dass sich jeder bürgerliche Wähler ihre Namen gut merkt:
- Christian Wasserfallen (FDP, BE)
- Peter Schilliger (FDP, LU)
- Marcel Dobler (FDP, SG)
- Hans-Peter Portmann (FDP, ZH)
- Fabio Regazzi (Mitte, TI)
Ausserdem enthielten sich zwei Freisinnige, sie verdienen ein Viertel-Lob:
- Andri Silberschmidt (FDP, ZH)
- Kurt Fluri (FDP, SO)
Alle anderen aber – darunter früher so atomsichere AKW-Anhänger wie Mitte-Präsident Gerhard Pfister – drückten den falschen Knopf – nicht, weil sie den richtigen nicht fanden, so vermute ich einmal grosszügig, sondern weil ihnen die Hand nicht mehr gehorchte – vor lauter Schreck.
Drohte nicht die Pest und die Cholera?
Mumpitz. Vielmehr beobachten wir eine Pandemie des Hösi-tums, die so viele Bürgerlichen in unserem Land ergriffen hat. Lieber rot als tot, hiess es früher, lieber Hösi als von den Medien totgeschwiegen, gilt heute.
Das ist unverständlich. Umso mehr als eine Umfrage des politisch unverdächtigen (da Mitte-links stehenden) Sotomo-Institutes gerade eben ergeben hat, dass eine Mehrheit der Schweizer dieses AKW-Verbot aus der Steinzeit abschaffen will:
- 57 Prozent sprechen sich dafür aus (48 Prozent ja, 9 Prozent eher ja)
Die Umfrage wurde im Auftrag des Blicks vorgenommen.
Wenn man die Ergebnisse nach Parteipräferenz aufschlüsselt, sind sie noch bemerkenswerter:
- 76 Prozent der Freisinnigen wollen das Verbot aufheben (ja und eher ja)
- 54 Prozent der Mitte
- Und 86 Prozent der SVP-Sympathisanten
Mit anderen Worten, die Nationalräte der FDP und der Mitte entschieden sich im Parlament genau für das Gegenteil dessen, was ihre Wähler vorgezogen hätten. Wenn das noch Volksvertreter sind, dann muss man vielleicht das Wort neu definieren. Oder andere Volksvertreter wählen. Die Wahlen stehen im Oktober an.
In Zahlen ausgedrückt, am Beispiel des Freisinns:
- Umfrage: 76 Prozent gegen Verbot
- Nationalrat: 78 Prozent für Verbot (21 stimmten gegen Antrag der SVP, 4 dafür, 2 Enthaltungen, zwei abwesend)
So stimmt eine Partei, die sich auf den Kopf stellt, sofern das noch möglich ist, nachdem man den Kopf verloren hat.
Das gleiche gilt für die Mitte.
Wer auf den Generalsekretariaten dieser beiden Parteien dieses Memo liest (was ich, unbescheiden wie ich bin, dringend empfehle), sollte auch ein weiteres Resultat der Sotomo-Umfrage zur Kenntnis nehmen, da es aufzeigt, wie man Wahlen gewinnt, indem man tut, was der Wähler will:
- Der Atomausstieg ist extrem unpopulär
Auf die Frage, was sie von der Idee der Grünen halten, bis 2037 alle schweizerischen AKWs abzustellen,
- sagten 64 Prozent nein oder eher nein
- bloss 36 Prozent meinten ja oder eher ja
64 Prozent. Wenn man sich die lange Geschichte der Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz vergegenwärtigt, dann ist das nicht ganz überraschend.
Obwohl die Linke jahrelang mit zahllosen Initiativen und Vorstössen gegen AKWs gekämpft hat, ist es ihr nie gelungen, in einer Volksabstimmung eine Mehrheit für den Ausstieg zu gewinnen – sofern man die Bürger ausschliesslich über AKWs entscheiden liess.
Dass das Verbot – in der Monster-Vorlage der neuen Energie-Strategie gut versteckt – irgendwie durchflutschte, gehört zu den fragwürdigen Meisterleistungen einer Bundesrätin, deren Reputation inzwischen viel von seinem einstigen Glanz verloren hat. Von Doris Leuthard redet kaum jemand mehr – seit wir um unsere Energieversorgung bangen, deren Untergang sie wesentlich mitgestaltet hat. Leuthard, das talentierte Rätsel, gibt niemandem mehr Rätsel auf. Wir wissen, wozu sie nicht imstande war.
Oder um es mit Heinrich Heine, dem grandiosen deutschen Dichter, zu sagen:
«Jede Zeit ist eine Sphinx, die sich in den Abgrund stürzt, sobald man ihr Rätsel gelöst hat.»
Ich wünsche Ihnen einen fantastischen Tag
Markus Somm