Somms Memo

Aebischer for President? You must be kidding

image 15. September 2023 um 10:10
Matthias Aebischer (SP, BE), Bundesratskandidat, im Gespräch mit einem Kollegen.
Matthias Aebischer (SP, BE), Bundesratskandidat, im Gespräch mit einem Kollegen.
Die Fakten: Matthias Aebischer (SP, BE) will Bundesrat werden. Er sitzt seit 2011 im Nationalrat. Warum das wichtig ist: Seine Chancen sind gering. Hinter ihm aber lauern die Krokodile: Wermuth und Nordmann. Matthias Aebischer, ein ehemaliger Primarlehrer und Journalist, kann sicher nichts verlieren:
  • Er ist 55 und darf nur noch einmal für den Nationalrat antreten. In der Berner SP herrscht eine Amtszeitbeschränkung, nach vier Legislaturen ist Schluss
  • Aebischer müsste also 2027 – nach 16 Jahren im Rat – ohnehin abtreten. Dann ist er 59 (faktisch 60, er wurde am 18. Oktober 1967 geboren). Mit 60 hat es auch ein Sozialdemokrat schwer, noch einen vernünftigen Job zu finden

Warum nicht Bundesrat? Es gibt unwirtlichere Arbeitsmärkte als das Bundeshaus. Aebischer hat gestern in Bern seine Kandidatur für die Nachfolge von Bundespräsident Alain Berset (SP, FR) angekündigt. Die Gesamterneuerungswahlen für den Bundesrat finden im Dezember statt. Seine Chancen sind intakt, aber doch sehr überschaubar. Weil Aebischer in seiner Partei natürlich kein Schwergewicht ist. Das spricht für und gegen ihn:
  • Der gutaussehende, immer freundliche Mann kommt zwar bei den Bürgerlichen nicht schlecht an, zumal er als einstiger SRF-Moderator auch weiss, dass selbst Bürgerliche Menschen sind, für die man ab und zu ein Programm macht (Service Public!)
  • Zudem ist er eloquent, offen für Argumente, intelligent und geschmeidig, wenn er auch am Ende fast immer auf SP-Parteilinie bleibt

Wenn es allerdings eine Partei gibt, wo Parteitreue nicht ausreicht, sondern ein radikales Geschmäcklein einfach zum Stallgeruch gehört, dann die SP:
  • Aebischer ist den meisten zu geschmeidig, manche sagen zu schleimig
  • Man bewundert in linken Kreisen immer jene, die noch radikaler als man selbst mit den kapitalistischen Verhältnissen brechen wollen, die den Mut aufbringen, das Unrecht anzuklagen, als lägen in unseren Strassen die Hungertoten herum

Einer wie Cédric Wermuth zum Beispiel, der SP-Ko-Präsident. Der Aargauer Che Guevara, dem man jederzeit zutraut, dass er im Parlament den Revolver zieht und den nächstbesten Weibel über den Haufen schiesst – sofern dieser die falsche Partei wählt. Zwar wissen alle, dass auch Wermuth geschmeidig wird, wenn es denn sein muss, der Mann kann richtig charmant sein, wenn er etwas will, aber er tut es eben nicht in aller Öffentlichkeit wie Aebischer, er ist kein Moderator, sondern eine Naturgewalt.


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Ich nenne den Namen nicht zufällig. Meine Prognose:
  • Sollte die SP diese Wahlen mehr oder weniger unbeschadet überstehen, ja sogar einen kleinen Gewinn machen, dann ist Wermuth nicht mehr aufzuhalten
  • Dann ist auch Wermuth Kandidat für den Bundesrat – und die Fraktion, die ihn durchaus schätzt, wird ihn auch nominieren

Denn selbst er steckt in der Bredouille einer allzu einseitig parteipolitischen Karriereplanung. Auch in der Aargauer SP gilt eine Amtszeitbeschränkung. Da sie 12 Jahre beträgt, hätte sich Wermuth schon jetzt nicht mehr um eine Wiederwahl bemühen dürfen – zumal er seine Partei seit 2011 im Nationalrat vertritt. Allerdings kann die Partei diese Regel mit einer 2/3-Mehrheit des Nominationsgremiums aufheben – was man im Fall von Wermuth gerne getan hat. Man darf es aber laut Statuten nur einmal tun. Kurz, ab 2027 braucht Wermuth dringend einen neuen Job.
  • Er ist Berufspolitiker – und er ist noch jünger als Aebischer: 37 Jahre (2027: 41)
  • Er ist Familienvater – und benötigt ein regelmässiges Einkommen
  • Und Ehrgeiz geht ihm, so viel man weiss, nicht ab

Was tun? Warum nicht Bundesrat? Umso mehr, als Wermuth wenig Alternativen offenstehen, sofern er in der Politik bleiben will:
  • Regierungsrat im Aargau wird er wohl nie
  • Ständerat ebenso wenig – wie er 2019 erlebt hat, als er das versuchte

Wenn Che Guevara bei seinen eigenen Guerillas zwar beliebt war, so hätte er wohl nie eine Volkswahl gewonnen. Dem arroganten, gewalttätigen Arzt aus Argentinien traute niemand über den Weg. Wermuth, dem ich diese unangenehmen Eigenschaften nicht unterstelle, sieht sich trotzdem mit dem gleichen Schicksal geschlagen: Nie würden ihn die Aargauer – in ihrer Mehrheit bürgerlich bis in die Knochen – in den Regierungsrat oder in den Ständerat wählen. Dead End für Wermuth.

Wenn er jetzt die Gelegenheit nicht packt, dann wird er sich bald nach einer Stelle ausserhalb der Politik umsehen müssen:
  • Dozent an der Pädagogischen Hochschule für Marxismus in Havanna?
  • Automechaniker bei Tesla?
  • Freischaffender Trauerredner für linke Beerdigungen: säkular, aber erhebend
Man ahnt es: Die Aussichten sind durchzogen. Wenn ich auch nicht in Wermuths Kopf blicken kann, so glaube ich doch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Cédric Wermuth in die Privatwirtschaft wechselt. So gesehen, halte ich ihn für einen sehr wahrscheinlichen Bundesratskandidaten – mit hervorragenden Wahlchancen. Es sei denn, sein Kollege Roger Nordmann (SP, VD) kommt auf die gleiche Idee. Auch er muss wegen der Amtszeitbeschränkung seine berufspolitische Laufbahn beenden – ausser man wählt ihn in den Bundesrat. Dass er ein Welscher ist, könnte die Bundesversammlung abschrecken – es sei denn? Thema für ein nächstes Memo. Was allerdings feststeht: Weder Aebischer noch Daniel Jositsch (SP, ZH) dürften je in den Bundesrat gelangen. Manchmal ist die Sache wichtiger als die Person, worauf schon Che Guevara hinwies: «Es macht mir nichts aus, wenn ich falle; solange jemand anderes mein Gewehr aufhebt und weiterschiesst.» Ich wünsche Ihnen ein geruhsames Wochenende Markus Somm

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