Somms Memo

30 Jahre Arena: Die virtuelle Landsgemeinde, die das Land verändert hat

image 30. Juni 2023 um 10:00
Galerie der Giganten: Moderatoren der Arena seit 1993. (Bild: SRF)
Galerie der Giganten: Moderatoren der Arena seit 1993. (Bild: SRF)
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Die Fakten: 1993, vor dreissig Jahren, strahlte das Schweizer Fernsehen die erste Arena aus. Heute findet eine Jubiläumssendung statt. Warum das wichtig ist: Wenn es eine Sendung gibt, die Geschichte schrieb, dann die Arena. Sie zerstörte Karrieren, sie entschied Abstimmungen, sie liess viel Dampf ab.  Peter Hess, Fraktionschef der CVP (ZG), begann von den vielen Schwierigkeiten zu sprechen, in die unser Land geraten war – und sollten die bilateralen Verhandlungen mit der EU scheitern, die man vor zwei Jahren angefangen hatte, dann Gnade uns Gott! Christoph Blocher, Nationalrat der SVP (ZH), blickte ihn lauernd an: «Was für eine Katastrophe würde eigentlich über die Schweiz hereinbrechen, wenn beide Seiten zum Schluss kämen, man werde sich nicht einig?» «Das ist ja genau das Problem, das wir haben …» entgegnete Hess. «Geben Sie mir jetzt eine Antwort!» unterbrach ihn Blocher. «Wir müssen doch ehrlich sein und zugeben, dass wir heute in einer wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch schwierigen Lage sind…» Die beiden Politiker standen in der Arena. Thema: «Schweiz–EU: Wie weiter?». Moderator: Filippo Leutenegger. Wir schreiben den 22. März 1996.  Blocher setzte nach: «Wo haben wir Probleme?» und er blickte Hess an, als wäre er ein Lehrer, der einen besonders miserablen Schüler zu prüfen hatte. «Europa bremst doch überall…» «Wo, Wo?» Hess, unterdessen stammelnd: «Es ist kaum mehr möglich, die jährlich zwei Mal stattfindenden gemeinsamen Sitzungen abzuhalten … Wir haben Probleme im grenzüberschreitenden Warenverkehr…» «Wo, Wo?» «Wir haben Schwierigkeiten, die Teigwarenindustrie, die Schokoladenindustrie…» Man spürte, dass Hess die Teigwarenindustrie nicht so gut kannte, wie es ihm im Moment wohl lieb gewesen wäre. Nach weiteren qualvollen Minuten, in denen sich Hess selber an einem unsichtbaren Strick aufhängte, sagte Blocher:  «Ich gebe Ihnen die Antwort: Es würde praktisch nichts passieren! Es steht bei diesen bilateralen Verhandlungen für unser Land nichts Entscheidendes auf dem Spiel…» Um kurz darauf anzufügen:  «Ich sage Ihnen jetzt, was ich tun würde.» Er sagte dies so bestimmt, dass das Publikum auf seiner Seite in stolze Heiterkeit ausbrach, während ihn die Gegenseite auslachte. Man hätte meinen können, Blocher würde sogleich selbst nach Brüssel reisen, um die Gespräche an die Hand zu nehmen. Das war vor 27 Jahren. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig, aber beabsichtigt

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Blocher fuhr nicht nach Brüssel, aber die Arena, – nicht diese allein, sondern viele, viele Arenen, an denen er noch teilnehmen sollte –, diese einzigartige Sendung, wie es sie eigentlich nur in der Schweiz gab, sie würde seinen Namen und seine scharfe Stimme in die Stuben des ganzen Landes tragen. Wenn ein Medium seinen Aufstieg und jener seiner Partei, der SVP, befördert hat, dann die Arena. Nur hier kam er ungeschnitten zu Wort. Natürlich merkten das auch seine Gegner, und es fehlte nicht an Versuchen, ihn aus der Arena zu eliminieren:
  • Frank A. Meyer, der Ringier-Publizist, der Blocher hasste, lud Leutenegger wiederholt zum Mittagessen ein, um ihn zu überreden, den Teufel aus der Arena zu treiben. Ohne Erfolg
  • Selbst im Bundesrat wurde der Antrag gestellt, die Arena nicht mehr zu besuchen, um ihr die Relevanz zu nehmen. Otto Stich (SP), der selber fürs Leben gern in der Arena diskutierte, verschleppte jedoch die Sache, bis sie aus Abschied und Traktanden fiel

Tatsächlich lag ein Missverständnis vor. Zwar mochte die Arena Blocher berühmt machen, doch nur, weil sie wiedergab, was im Land ohnehin vorfiel. Dass eine beachtliche, ständig wachsende Minderheit einem EU-Beitritt skeptisch gegenüberstand, hatte weder Blocher noch die Arena erfunden. Was die Arena leistete – und das ist das historische Verdienst von Filippo Leutenegger, der sie 1993 geschaffen hatte: Sie liess zu, dass dieser zuweilen harte, ja feindselige Streit zwischen Europa-Freunden (nahezu das ganze Establishment) und den Europa-Gegnern (die rechte Opposition) zutage trat und so auch ausgetragen werden konnte:
  • In der Schweiz motteten die Gegensätze nicht im Unterholz – bis sie plötzlich in Flammen aufgingen, wie wir das in unseren Nachbarländern beobachten können
  • Es wurde gekämpft, ja zuweilen auch unanständig und grenzwertig (auf beiden Seiten), es wurde gehasst, gelogen und übertrieben, aber eben immer auch debattiert, zugehört und gelacht

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Die Arena wuchs zur virtuellen Landsgemeinde heran, wo alle zu Wort kamen, die etwas zu sagen hatten (oder das meinten). Gab es das je oder irgendwo? Dass eine Fernsehsendung die Leute am späten Freitagabend an die Bildschirme zog, als handelte es sich um den Fussball-WM-Final? Herrliche Zeiten, herrliche Einschaltquoten:
  • 1996, dem besten Jahr, kam die Arena auf einen durchschnittlichen Marktanteil von 37 Prozent, das entsprach rund 380 000 Zuschauern pro Sendung
  • Je nach Thema, erzielte man manchmal gar eine Quote von über 50 Prozent

Von solchen Werten ist die Arena heute weit entfernt. Wenn eine Sendung über 20 Prozent erzielt, dann gilt das als Durchbruch, seit Jahren schwankt der Zuspruch zwischen 18 und 20 Prozent im Jahresdurchschnitt. Warum?
  • Selbstverständlich liegt das in erster Linie am medialen Strukturwandel, dem sich niemand, auch das SRF, nicht entziehen kann. Je jünger die Leute, desto seltener schalten sie den Fernseher ein. Das Medium wirkt so archaisch wie eine Schreibmaschine – wie die Presse ja auch
  • Die Arena vom letzten Freitag zum Thema «Asylchaos» (23. Juni) kam zwar auf 20 Prozent, was aber bloss 97 000 Zuschauern entsprach. Noch mitleidloser sind die Zahlen im Fall der 15-59-Jährigen, also unter der aktiven Bevölkerung, die sich doch am meisten um Politik kümmern müsste: 10,9 Prozent Marktanteil, konkret: 24 000 Zuschauer

24 000. Das ist Wettingen. Früher sahen 380 000 zu. Das war Zürich. Gewiss, man machte auch Fehler. Es half dem Format nicht, dass man unablässig daran herumdokterte, womit man wohl den Vorwurf, Populisten eine Bühne zu bieten, zu entkräften suchte:
  • Die Landsgemeinde wurde zum polit-pädagogischen Seminar umgestaltet. Vom egalitären, radikaldemokratischen Geist, wo ein Konzernchef neben dem Tramchauffeur stand und nach dem Wort verlangte, ist wenig übriggeblieben
  • Einspieler zerhacken dauernd die Debatte, was Tempo herausnimmt, aber auch Lebendigkeit und Spontaneität. Valium statt Espresso
  • Experten erhalten eine Art Kanzel, wo sie scheinbar über den Parteien schwebend, die politisch motivierten Streithähne über die «Wahrheit» belehren

Dass Sandro Brotz, ein glänzender Moderator, überdies politische Schlagseite verrät wie kaum einer seiner Vorgänger zuvor, wäre sogar ein Vorzug, wenn das SRF dazu stehen würde. Kritik, die ja jetzt schon regelmässig aufkommt, könnte man leicht die Spitze brechen, indem man Brotz nicht zum politischen Eunuchen umrüstet, sondern einen zweiten Moderator einstellt, der genauso klar bürgerlich positioniert ist, wie Brotz auf der linken Seite steht. Die beiden könnten sich wochenweise abwechseln – und niemand zweifelte mehr an der Ausgewogenheit von SRF. Arena zur Wirtschaftspolitik, irgendwann in den 1990er Jahren. Rechts traf auf links, Christoph Blocher auf Peter Bodenmann, den damaligen sozialdemokratischen Gott der Rhetorik. Plötzlich griff sich Blocher an seine Hemdentasche und zog einen Zettelhervor: «Steuerbares Einkommen: eine Million. Vermögen: eine Milliarde. Ich zahle pro Jahr persönlich 6,7 Millionen Franken Steuern

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Blocher versus Bodenmann. Gipfel der Unverschämtheit.

Bodenmann wich zurück, zögerte einen Moment und sagte: «Einkommen: 170 000. Vermögen: 200 000 bis 300 000.» «Sie erben doch von Ihrem Vater einen Haufen Geld?» «Das Erbe ist noch nicht verteilt». Vor zwei Jahren war Bodenmanns Vater Hermann verstorben. Ein mächtiger CVP-Ständerat, der das Oberwallis im Griff hatte.  Blocher liess nicht locker, bis der Präsident der SP deklarierte:  «Acht bis zehn Millionen. Sie werden verteilt auf die Mutter und die drei Brüder.» Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende Markus Somm PS. Jubiläumssendung, unter anderem mit allen ehemaligen Moderatoren: Freitag, 30. Juni 2023, 22:25 – 23:55 Uhr, SRF 1. Diskussionsleitung: Sandro Brotz.

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