Somms Memo
19 Grad Celsius für alle! Wie der Bundesrat der Frauendiskriminierung das Wort redet
Frau bei der Arbeit im Büro ab Januar 2023.
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Die Fakten: Um im Winter Energie zu sparen, empfiehlt der Bund, die Raumtemperatur auf 19 °C einzustellen. Das trifft Frauen viel härter als Männer, wie Studien belegen.
Warum das wichtig ist: Wer Vorschriften macht, behandelt alle gleich, selbst wenn sie das nicht sind. Vom Irrsinn der Temperatur-Planwirtschaft.
Als ich vor kurzem in einer Redaktionssitzung die Frage stellte, ob die neuesten Sparvorschläge des Bundes möglicherweise Frauen diskriminieren, weil eine tiefere Raumtemperatur sie mehr beeinträchtigen könnte als Männer, sah mich eine junge Redaktorin mit jenem berühmten Blick an, den weisse alte Männer inzwischen mehr fürchten als den Dritten Weltkrieg:
- Hände hoch! Sexismus-Verdacht
- Oder anders ausgedrückt: «Was Du sagst, ist so blöd, dass es sich nicht lohnt, mit Worten darauf einzugehen». Ein letaler Blick muss genügen
Angeregt von einem Hinweis in der SonntagsZeitung ging ich meinen sexistischen Vorurteilen auf den Grund.
Tatsächlich sind es keine Vorurteile, sondern, wie so oft, wenn man meint, man müsste dem eigenen gesunden Menschenverstand misstrauen, als wäre man krank, zeigt sich, dass dieses Misstrauen selbst ein Vorurteil ist.
Wer im Internet nach dem «Gender Gap» im Zeichen der Raumtemperatur sucht, findet auf Anhieb zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegen,
- dass Frauen und Männer die Temperatur eines Raumes nicht bloss subjektiv unterschiedlich erleben,
- sondern dass sie sich sogar auf ihre Produktivität auswirkt
Um diesen Gender Gap in Celsius auszudrücken, liessen Forscher junge Frauen und Männer eine relativ leichte Arbeit verrichten. Dazu trugen sie bloss ein T-Shirt und eine Trainingshose. Dann wurde die Temperatur auf verschiedene Grade eingestellt. Der Befund:
- Frauen fühlten sich am wohlsten, wenn der Raum auf 24,5 °C geheizt war.
- Für Männer waren 22 °C ideal.
Eine chinesische Studie veranschlagte diesen Gender Gap gar auf 5 Grad.
Mit anderen Worten, Facility Manager, wie der gute, alte Hausabwart heute heisst, stehen vor einer gewaltigen Herausforderung, es allen recht zu machen, wenn sie die Innentemperatur eines Gebäudes verwalten. Und das nicht bloss im Winter, sondern vor allem im Sommer, weil die meisten Studien eben auch zeigen, dass der neue Trend, die Büros mittels Klimaanlage in begehbare Kühlschränke zu verwandeln, die Frauen noch härter trifft, – zumal sie im Sommer meistens leichtere Kleidung tragen als die Männer.
Wer meint, dieser Gender Gap sei nur eine Frage des Wohlfühlens, dürfte sich täuschen. Am Ende geht es auch ins Geld. Arbeitgeber, die ein Interesse daran haben, dass ihre hoch bezahlten Arbeitnehmer möglichst viel leisten, werden sich in Zukunft um die Raumtemperatur kümmern müssen.
So haben zum Beispiel zwei Forscher herausgefunden, dass Frauen bei einer höheren Raumtemperatur sehr viel besser in der Lage sind, mathematische Aufgaben zu lösen oder sich verbal auszudrücken, als wenn es kalt ist. Wogegen bei den Männern genau das Gegenteil der Fall ist: Sie schlagen sich besser, wenn die Temperatur im Raum sinkt.
Dabei ändert sich die Performance der Frauen viel ausgeprägter – je nach Temperatur. Mit anderen Worten:
- Wer Frauen unproduktiver machen will, senkt die Raumtemperatur
- Wer Männer zur Höchstleistungen bewegen möchte, schaut zu, dass es nie zu warm wird
Dass dieser Unterschied zu Konflikten führt, liegt auf der Hand. In Amerika spricht man deshalb von «Thermostat Wars», Thermostat-Kriegen.
Sie finden zu Hause statt, womit sich in Amerika nun die Ehetherapeuten herumschlagen
- «Warum hast du am f.. Thermostat gedreht?»
- «Mir ist kalt in dieser Ehe!»
Und sie werden in den Büros ausgetragen, wo Männer als Frauenhasser denunziert werden, wenn sie das Thermostat herunterstellen – ohne sich im Klaren zu sein, welchen arktischen Schock sie damit bei den weiblichen Angestellten auslösen.
Denn medizinisch betrachtet ist der Gender Gap auf den unterschiedlichen Stoffwechsel von Mann und Frau, sowie auf die Tatsache zurückzuführen, dass deren Muskulatur sich anders verhält, wenn es kälter oder wärmer wird.
Natürlich ist Sexismus im Spiel – aber anders, als meine Kollegin wohl dachte. Dass die meisten Büros heute auf eine Temperatur von rund 20 °C geeicht sind, liegt am «Standard 55».
- Dieser Standard 55 wurde 1966 von der American Society of Heating, Refrigerating, and Air-Conditioning Engineers (ashrae) geschaffen
- Dabei ging man vom Ruhestoffwechsel eines 40-jährigen, amerikanischen Mannes aus – der einen Anzug mit Krawatte trug. Bei 20 °C arbeitete er am besten
- Dann verbreitete sich der Standard 55 in der ganzen Welt
Amerika ist auch eine Supermacht des Thermostats.
Der neue Kalte Krieg.
Wenn der Bund, insbesondere Simonetta Sommaruga (SP) und Guy Parmelin (SVP), die obersten Facility Manager der Gegenwart, nun alle Räume auf 19 °C herunterkühlen wollen, damit uns im Winter das Gas und der Strom nicht ausgehen, dann dürften sie sich nicht bewusst gewesen sein, wie sehr sie die Frauen zurückwerfen:
- Nicht ins Jahr 1966, wo immerhin 20 °C galt
- Nein, ins 19. Jahrhundert, wenn nicht ins Mittelalter
Der frauenfeindliche Bundesrat. Wer einmal die Planwirtschaft bis in die Raumtemperatur ausgedehnt hat, kommt aus dem Planen nicht mehr heraus, wenn er den vielen Nebenwirkungen Herr werden möchte, die er nie bedacht hatte.
Oder wie es Friedrich Schiller, der grosse deutsche Dichter, formuliert hat:
«Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.»
Ich wünsche Ihnen einen wohltemperierten Wochenanfang
Markus Somm